Unter all den Trugbildern, die die Menschheit quälen und ängstigen, ist wohl keines weniger vereinbar mit dem Begriff eine gerechten Gottes und einer von Ihm regierten Welt als die Furcht vor dem Mangel an den Dingen, die zum Leben nötig sind. Und doch sehen wir um uns her zahllose Menschen, die danach ringen, ihr „Auskommen” zu finden. Gar manche von ihnen werden von dem Gedanken verfolgt, sie könnten vielleicht trotz ihrer Anstrengungen in Not geraten, ihre geliebten Kinder könnten Hunger leiden, ihre Kräfte könnten aus Mangel an Nahrung dahinschwinden, Vater und Mutter könnten im Greisenalter des Notwendigen entbehren, und dergleichen mehr. Ist es da zu verwundern, daß unsre Führerin sagt: „Der sterbliche Mensch hat ein Bündnis mit seinen Augen geschlossen, um die Gottheit mit menschlichen Begriffen zu verkleinern” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 255)?
Von einem falschen, materiellen Begriff vom Leben geblendet, haben die Religionslehrer allzuhäufig den Glauben begünstigt, daß Gott Seinem „unerforschlichen Ratschluß” gemäß Seine Kinder Leiden erdulden lasse, damit dadurch für die Menschheit als Ganzes etwas Gutes bewirkt werde. Und wie vielleicht ein Gefangener noch in seiner dunkeln Zelle herumtastet, nachdem die Eisenriegel längst weggeschoben sind, so werden viele noch von diesem Glauben gefangen gehalten. Sie wissen nicht, daß das Verständnis der Christlichen Wissenschaft die Tür zum Himmelreich öffnet und von allen Fesseln befreit.
Materielles Denken war immer an Begrenzung gebunden. Vor mehr als hundert Jahren glaubte der berühmte englische Volkswirtschaftslehrer Malthus bewiesen zu haben, daß die materiellen Versorgungsmittel im Verhältnis zu den menschlichen Bedürfnissen in raschem Abnehmen begriffen seien, und daß daher in verhältnismäßig kurzer Zeit die Not allgemein werden und die Mittel zum Unterhalt schwer zu beschaffen sein würden. Malthus, der seine Berechnungen vorn materiellen Standpunkt aus anstellte, vermochte nicht vorauszusehen, daß die Vorsehung die Kenntnis neuer Wege zur Befriedigung der gesteigerten Bedürfnisse der Menschheit entfalten, oder daß die Anwendung dieser Kenntnisse das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage zu gunsten des Angebots verschieben werde. Was würde Malthus wohl heute von seiner einst in weiten Kreisen anerkannten Lehre sagen, wenn er sehen könnte, wie der Weltmarkt mit Boden- und Fabrikerzeugnissen überladen ist? Er wußte nicht, daß das menschliche Denken, wenn es sich dem göttlichen Gemüt nähert, das Grenzland der unendlichen Hilfsquellen, die unbegrenzten und unbegrenzbaren Ideen dieses Gemüts berührt.
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