Im vierten Kapitel des Propheten Joel ist von dem Tale Josaphat oder dem „Tal des Urteils” die Rede. Die Bibelausleger stimmen darin überein, daß diese Bezeichnungen nur sinnbildliche Bedeutung haben. Besonders dem Schüler der Christlichen Wissenschaft, der sich nicht sowohl mit materiellen als vielmehr mit geistigen Dingen und Zuständen befaßt, bietet dieses Kapitel viel Interessantes und Lehrreiches.
Zunächst lesen wir, alle Völker würden im Tale Josaphat zusammenkommen, im Tale des göttlichen Gerichts; Gott würde „die Heiden um und um” versammeln, um sie „zu richten.” Wörtliche Ausleger haben diese Stelle dahin verstanden, daß sie den Tag des jüngsten Gerichts bedeute. Diese Anschauung kann der Christliche Wissenschafter nicht teilen, denn er weiß, daß es keinen bestimmten, endgültigen Tag des Gerichtes geben kann, sondern daß dieser Tag gegenwärtig ist und bis zur Vernichtung des falschen, sündhaften Sinnes dauern wird. Auf Seite 291 von Wissenschaft und Gesundheit sagt Mrs. Eddy: „Kein jüngstes Gericht erwartet die Sterblichen, denn der Gerichtstag der Weisheit kommt stündlich und beständig, nämlich das Gericht, durch welches der sterbliche Mensch allen materiellen Irrtums entkleidet wird. Geistigen Irrtum gibt es nicht.”
Wann tritt nun für den menschlichen Sinn Gottes Gesetz in Wirksamkeit? Sobald er sich ins „Tal des Urteils” begibt, in dem Augenblick, wo er sich entschließt, auf der Seite des Rechtes seinen Stand zu nehmen und Gottes Willen geschehen zu lassen. Wer den Wunsch hat, dem lebendigen Gott zu dienen, ist froh, in diesen mentalen Zustand einzutreten, wo er befähigt wird, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden und sich dem Guten von ganzem Herzen zuzuwenden. Solange er diesen Entscheidungspunkt nicht erreicht, trennt er nicht die Spreu vom Weizen, sondern nennt unwissentlich das Böse gut, und das Gute böse.
Es ist gewiß ein Grund zur Freude, daß heutzutage eine so große Anzahl Menschen das „Tal des Urteils” aufsuchen, damit die Wahrheit und Liebe in ihrem Bewußtsein Gericht halten möge. Der Gott Israels ist immer bereit, das menschliche Bewußtsein zu trösten, ihm Mut einzuflößen und Heilung zu bringen; aber dieses menschliche Bewußtsein kann nicht eher in das Tal des göttlichen Gerichtes eintreten, als bis es bereit ist, auf den Weg der Wahrheit hingewiesen zu werden, und bis es die Echtheit seines Wunsches dadurch beweist, daß es von der Materie abläßt und dem Geist dient. Diejenigen, die durch Unkenntnis oder durch den Einfluß falscher Erziehung in der Stunde der Not am Gebrauch materieller Mittel festhalten, haben den Entscheidungspunkt auf dem Wege des Fortschritts noch nicht erreicht. Manch einer meint, er habe überhaupt keinen Fortschritt gemacht, solange er an der Materie seine Stütze suchte und sein Glaube an das Wesen derselben unerschüttert war. Dennoch aber hat sich die Erfahrung oft als ein tüchtiger Lehrmeister erwiesen, und zwar, weil das menschliche Herz, aus dem alles Böse hervorgeht, durch Widerwärtigkeiten weicher gemacht und umgewandelt wird.
Jedes vergebliche Bemühen, Hilfe in der Materie zu finden, ist eigentlich ein Schritt himmelwärts, weil nämlich Fehlschläge, wenn auch langsam, aber sicher, dahin führen, wo des Menschen Not am größten wird und daher Gottes Hilfe am nächsten ist. Hunderte von Menschen nähern sich täglich und stündlich diesem Entscheidungspunkt; sie wenden sich durch Glauben an das Gute von endlichen und vergänglichen Dingen ab und den unwandelbaren Wirklichkeiten des Geistes zu. Dann wird das Gericht Gottes für sie zu etwas höchst Bedeutungsvollem. Sie sehen es nicht mehr als Kundwerdung der göttlichen Mißbilligung oder Wiedervergeltung, des göttlichen Zornes und Grolles an, sondern erkennen es als die freundliche Aufforderung des barmherzigen Vaters, der göttlichen Liebe, aus der Finsternis der sterblichen Sinnenvorstellung heraus in das Licht der geistigen Erkenntnis zu treten. Das „Es werde Licht” des ersten Buchs Mose wird nun nicht mehr einem menschenähnlichen Gott zugeschrieben, der in längst vergangenen Zeiten sprach, sondern es läßt sich als heilende Bekräftigungen der Wahrheit und Liebe im menschlichen Bewußtsein vernehmen, durch die das Böse oder die Materie verneint und die Allheit des Geistes oder Gemüts anerkannt wird.
Gott fordert von den Erdenkindern nur eines: daß sie sich Ihm jetzt als einem Freund nähern; denn nur dadurch werden sie Frieden erlangen. Um dieser Forderung nachkommen zu können, müssen sie sich allen Ernstes vornehmen, nur einem Herrn zu dienen, dem Gemüt, nicht der Materie. Wenn sich dieser Entschluß durch Taten bekundet, wird der falsche Stolz auf den Altar gelegt, und die Rede andrer Leute wird geringer geachtet als die Liebe Christi. Dann folgt die praktische Demonstration der Macht Gottes, die der Menschheit Segen und Erlösung bringt — eine Erfahrung, die keinen Teil des täglichen Lebens der Menschen bildet, ehe sie sich nicht im „Tal des Urteils” versammelt haben, um dort vom gerechten „Richter über alle” gerichtet zu werden.
Manche Menschen glauben, es sei zu ihrem Glück und Wohl nicht wesentlich, entschlossen für das Rechte einzutreten — dem Geist zu dienen, statt der Materie. Der allergeringste Schimmer von der Christlichen Wissenschaft beseitigt eine derartige irrtümliche Anschauung, und man erkennt, daß „des Herrn Tag ... nahe [ist] im Tal des Urteils.” Dieser Tag des Herrn hat keinerlei Beziehung zu dem menschlichen Faktor, der Zeit genannt wird. Er ist ein Zustand des Bewußtseins, in welchem das Wort Gottes als das einzige Mittel erkannt wird, durch welches sich Gott der Menschheit kundtut. Wer den Punkt erreicht, wo sein geistiges Verlangen und sein Handeln übereinstimmen, der ist bereit, alles für Christus zu lassen. Vorher treibt er auf der sehr veränderlichen Strömung des menschlichen Denkens dahin, gleich den Menschen, von denen es in der Bibel heißt, sie „lernen immerdar, und können nimmer zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.”
Das Eingehen in das „Tal des Urteils.” welches also darin besteht, daß man Gottes Willen in menschlichen Dingen zum Ausdruck kommen läßt, statt der Stimme der menschlichen Weisheit zu gehorchen — dieses Eingehen wird durch Erfolge in der christlich-wissenschaftlichen Praxis täglich als richtig bewiesen. Mrs. Eddy erkannte deutlich, wie wichtig es ist, alles schwankende und unsichere Denken bei der Behandlung von Krankheit und Sünde auszuschalten. Auf Seite 463 von Wissenschaft und Gesundheit schreibt sie: „Der erste Schritt zur Zerstörung des Irrtums ist die schnelle Entscheidung darüber, welches die richtige Behandlung des Irrtums ist — ganz gleich, ob der Irrtum sich in Form von Krankheit, Sünde oder Tod offenbart.” Der christlich-wissenschaftliche Praktiker kann nur eine Entscheidung treffen, unbekümmert um sogenannte physische oder mentale Zustände, und zwar die, sich unentwegt auf die Seite der Wahrheit zu stellen und Gott, dem allmächtigen Gemüt, das Wegerecht einzuräumen. Das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und macht den erbarmungslosen Urteilsspruch der Materie zunichte. Dies auf Grund der Christlichen Wissenschaft zu verstehen und demgemäß zu entscheiden, auch wenn die äußeren Sinne das Gegenteil befürworten, ist der erste Schritt aus der Dunkelheit zum Licht.
Den fortschrittlich gesinnten Ärzten ist bekannt, daß hoffnungslose Kranke durch die Christliche Wissenschaft geheilt werden. Wenn die Ärzte auch nicht verstehen, auf welche Art solche Heilungen Zustandekommen, so können sie doch nicht umhin zuzugeben, daß ihre eignen Ansichten, die sich auf die physische Diagnose dieser Fälle stützten, durch die Ergebnisse der christlich-wissenschaftlichen Behandlung völlig widerlegt worden sind. Schreiber dieses erhielt kürzlich von einem Fall Kenntnis, der dies in praktischer Weise veranschaulicht. Ein Arzt wurde gerufen, um die Diagnose zu stellen. Diese lautete auf eine höchst bedenkliche Erkrankung, und der Arzt riet zu einer Operation, da nur durch eine solche das Leben des kleinen Mädchens gerettet werden könnte. Er erklärte, es sei wenig oder gar keine Hoffnung auf Wiederherstellung vorhanden. Daraufhin setzten sich die Eltern des Kindes sofort mit einer ausübenden Vertreterin der Christlichen Wissenschaft in Verbindung, und diese erteilte ihr Beistand im Sinne dieser Lehre. Nach vierzehn Tagen war das Mädchen vollständig geheilt und ging wieder zur Schule.
Ist es angesichts solch praktischer Ergebnisse nicht recht, uns in das „Tal des Urteils” zu begeben, wo der menschliche Wille und menschliches Wissen dem geistigen Verständnis von Gottes Macht und Bereitwilligkeit, zu heilen und „selig” zu machen „immerdar,” gefügig gemacht werden? Laßt uns also aus dem Sinnentraum erwachen und die geistige Wirklichkeit erkennen lernen.
