Die im Matthäus-Evangelium geschilderten Erfahrungen der Weisen auf ihrer Reise aus dem Osten nach Jerusalem ist für die Christlichen Wissenschafter von besonderem Interesse, da auch sie ganz ähnliche Erfahrungen auf ihrem Weg vom Sinn zur Seele durchzumachen haben. Das Morgenland, aus dem die Weisen kamen, war damals der Sitz alles materiellen Wissens, und von da aus verbreitete es sich über die übrige Welt. Man beachte, daß sich die Weisen von all diesem Wissen und von dem glänzenden Schein des materiellen Sinnes und materiellen Wesens abwandten. Sie kehrten ihm den Rücken und begannen ihre Suche nach der Christus-Idee, nach dem, was der Welt das geistige Licht bringen und geistigen Fortschritt herbeiführen sollte.
Wir geben uns gewöhnlich mit dem zufrieden, was uns zusagt, und suchen dann nicht mehr nach etwas anderm. Diese Männer waren wahrlich weise, denn sie erkannten, daß bloßes menschliches Wissen und menschliche Besitztümer, mögen sie auch noch so wunderbar erscheinen, nie wirkliche Befriedigung bringen können. Auch wir müssen auf unsrer Suche nach den unschätzbaren Wirklichkeiten des Geistes zunächst unser Denken von einer materiellen Auffassung vom Leben ablenken — von dem Glauben, daß diese Auffassung Befriedigung gewähren könne. Da wir sie so lange für wirklich gehalten haben, trotzdem Jesus sie als „Finsternis” bezeichnete, ist unsre Erkenntnis des Geistes, der Wahrheit, anfänglich nur eine sehr schwache, gleich dem Leuchten eines blassen Gestirns in unsrer „Nacht des Irrtums,” um Mrs. Eddys Worte aus jenem wunderbaren ersten Abschnitt des Vorworts zu Wissenschaft und Gesundheit anzuführen. Die Weisen folgten aber getreulich dem schwachen Schein des geistigen Lichtes, das ihr Bewußtsein zu erleuchten begann, und somit wurden sie immer weiter geführt, näherten sich immer mehr dem Ziel ihres Strebens, dem Gegenstand ihres Sehnens, dem geistigen Ideal, das allein Befriedigung gewährt. Dem materiellen Sinn nach gewahrten sie ein Kindlein, doch ihre geistige Erkenntnis, die durch ihren Gehorsam gegen die Wahrheit und durch deren Führungen tiefer und reicher geworden, ließ sie dieses Kindlein erkennen als „den menschlichen Herold des Christus,” wie sich Mrs. Eddy weiterhin ausdrückt, „das Licht der Welt.”
Zu den verschiedenerlei Begebnissen auf der Reise gehörte auch eine Erfahrung, die wir wohl alle schon durchgemacht haben. Die Weisen kamen nach Jerusalem, wo sie Herodes zu sich berief. Der König war, wie wir lesen, ein gewalttätiger Mensch, dessen Befehle, mochten sie noch so ungerecht sein, seinen Untertanen Gesetz waren. Sein Lebenslauf läßt ihn als Inbegriff alles Bösen und Furchterregenden erscheinen. Wie die Weisen dieser anscheinend überwältigenden Verkörperung der Eifersucht und des Stolzes begegneten, so stoßen auch wir bei unserm Streben, das Licht der Wahrheit zu finden, auf ungerechte und grausame materielle Gesetze, auf unharmonische Zustände, zu denen Befürchtungen und Prüfungen hinzutreten, die uns zu überwältigen drohen. Wenn wir uns aber von der materiellen Sinnenvorstellung entfernen, werden auch wir „den Stern” erschauen. Die Weisen hätten den Stern, das Licht der Wahrheit, nicht sehen noch ihm folgen können, wenn ihr Sinn der Finsternis zugewandt gewesen wäre, die Herodes versinnbildlichte. Ebensowenig vermögen wir das geistige Licht zu sehen, solange wir auf die Einflüsterungen des Irrtums horchen. Wie die Weisen, so müssen auch wir uns vom Irrtum abwenden, wenn wir uns den Sinn für die Wahrheit wahren wollen.
Die Freude der Weisen, nachdem sie Herodes verlassen hatten, können auch wir empfinden. Auch wir sind „hoch erfreuet,” wenn unser Bewußtsein nur von Liebe und Wahrheit erfüllt ist. Und wenn wir „in das Haus” gekommen sind, wenn wir schließlich das Bewußtsein der bleibenden Gegenwart der unsterblichen Idee der Wahrheit, des immergegenwärtigen Christus, erlangt haben, dann tun auch wir unsre Schätze auf und weihen sie seinem Dienste.
Weihrauch und Myrrhe versinnbildlichen jenen Geist andachtsvoller und ehrlicher Hingebung, die ihr All auf den Altar Gottes legt. Aber auch den weiteren Schritten der Weisen auf ihrer Reise müssen wir folgen. Wie sie, so dürfen auch wir, nachdem wir einmal den Irrtum als solchen erkannt haben, nicht zu Herodes zurückkehren. Wenn uns der Glanz der Wahrheit erschienen ist, können wir nicht mehr zur alten, falschen Vorstellung von ihr unsre Zuflucht nehmen. Und wie die Weisen „durch einen andern Weg wieder in ihr Land” zogen, so führen auch wir unser Leben genau von da an weiter, wo uns die Wahrheit geoffenbart worden ist. Wir wenden uns unsern Aufgaben, Pflichten, ja selbst unsern Prüfungen wieder zu, doch in ganz anderm Geiste. Wo vielleicht früher eine Kritik unsern Zorn erregt hätte, begegnen wir ihr jetzt mit Liebe. Wo wir früher unter gewissen Umständen der Furcht, dem Zweifel oder der Entmutigung nachgegeben hätten, treten wir jetzt diesen Irrtümern mutig entgegen, in der Erkenntnis, daß Gott, das Gute, auf ewig bei uns ist und das Böse daher machtlos, unwirklich sein muß, nur ein falsches mentales Bild vom Leben, ein Bild, an das wir jetzt nicht mehr glauben und dem wir nicht mehr nachgeben können, weil wir den Christus, die Wahrheit, gefunden haben. In wunderbarer Weise legt Mrs. Eddy die tiefe Bedeutung dieser Reise der Weisen aus dem Morgenlande in „Miscellaneous Writings“ dar (siehe S. 164 und S. 230).
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