Es gibt wohl keine Stelle in der Heiligen Schrift, die den Christlichen Wissenschaftern so teuer ist und von ihnen so oft angeführt wird wie der Ausspruch des Meisters: „Und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch freimachen.” In dem Maße, wie wir die Bedeutung dieser Worte erkennen, werden wir frei von allen Übeln, die uns jetzt in Banden zu halten scheinen oder uns für die Zukunft drohen, mögen sie sich als Krankheit, Kummer, Sünde oder Armut kundtun. Jesus bezog sich in seiner Lehrtätigkeit fortwährend auf die Macht und Anwendbarkeit der Wahrheit; und doch stehen die meisten erklärten Christen auf der Stufe des Pilatus, als er den Worten Ausdruck gab: „Was ist Wahrheit!” Sagt ihnen ein Christlicher Wissenschafter, die Wahrheit könne einen kranken Menschen ohne die Mitwirkung von materiellen Mitteln heilen, so stellen sie dies in Frage und meinen, es erscheine doch recht unklug, sich auf etwas zu verlassen, was nicht sinnenfällig ist; nur geistige Mittel anwenden zu wollen sei gerade so, als ob man nichts für den Patienten tue. Haben wir nicht alle so gedacht, ehe wir mit Mrs. Eddys Lehren bekannt wurden?
Die Wahrheit kann als die Substanz der erhofften Dinge bezeichnet werden, und die Menschheit nähert sich ihr auf dem Wege des Glaubens. Nichts ist so wichtig wie Wahrheit. Man kann sich die folgenden Worte Jesu au Pilatus nicht oft genug ins Gedächtnis rufen: „Ich bin dazu geboren und in die Welt kommen, daß ich für die Wahrheit zeugen soll.” In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, daß in der Bibel keine Antwort Jesu auf die Frage des Pilatus über das Wesen der Wahrheit zu finden ist. Der Meister schwieg wohl deshalb, weil die Materialisten um ihn her seine Antwort nicht verstanden hätten, wie ja auch die Materialisten unsrer Zeit sie nicht verstehen würden. Und doch sagte Jesus bei dieser denkwürdigen Gelegenheit: „Wer aus der Wahrheit ist, der höret meine Stimme.” Auf Seite 143 von Wissenschaft und Gesundheit lesen wir: „Wahrheit ist Gottes Heilmittel gegen Irrtum jeder Art.”
Die Schüler der Christlichen Wissenschaft gelangen sehr bald zu der Einsicht, daß sie hinsichtlich irgendeiner Sache nicht zu gleicher Zeit die Wahrheit und den Irrtum glauben können. Sie müssen die Wahrheit über die Probleme der menschlichen Erfahrung erkennen und beharrlich dieser Erkenntnis gemäß denken und handeln. Die absolute Wahrheit tritt allezeit in Widerspruch mit dem Sinnenzeugnis. In der „wissenschaftlichen Erklärung des Seins,” auf welcher alle Arbeit in der Christlichen Wissenschaft beruht, heißt es (Wissenschaft und Gesundheit, S. 468): „Geist ist unsterbliche Wahrheit; Materie ist sterblicher Irrtum.” Man muß aber die Wahrheit von dem Irrtum unterscheiden können, um die Macht der Wahrheit zu beweisen. Als Jesus in das Haus des Jairus trat, wurde ihm gesagt, das Töchterlein des Obersten sei tot, worauf er dies verneinte und deswegen verlacht wurde. Er hielt sich an die unwandelbare Tatsache, daß Gott das alleinige Leben des Menschen ist, während diejenigen, die seiner spotteten, der Meinung waren, daß Materie über Leben und Tod verfüge und daß das Gemüt seine Herrschaft diesem sterblichen Despoten wenigstens zeitweilig abgetreten habe. Was tat nun Jesus? Er gab hier die Antwort auf die Frage des Pilatus. Diejenigen, die „aus der Wahrheit” waren, hörten seine Stimme und waren Zeugen der Macht der Wahrheit; ja selbst das Mägdlein, das im Todestraum befangen war, vernahm den Ruf und lieferte den Beweis, daß die Identität des Kindes Gottes nie verloren geht oder verdunkelt wird. Solche, die nicht „aus der Wahrheit” waren, hatten keinen Teil an jenem Triumph des Lebens über den Tod. „Er ... trieb sie alle hinaus,” wie uns berichtet wird. Dadurch machte er den Weg frei für den herrlichen Wahrheitsbeweis, welcher folgte. So müssen auch wir aus unserm Bewußtsein alles austreiben, was die Fähigkeit der Wahrheit, die Bande von Sünde, Krankheit und Tod zu sprengen, nicht zugeben will.
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