Im April 1906 traf mich ein harter Schlag, zugleich aber empfing ich einen Segen fürs Leben. Während ich an einem Osterkleid für eines meiner kleinen Mädchen arbeitete, wurde mir die Kunde, daß meinem Mann, der noch am selben Morgen gesund und froh das Haus verlassen hatte, ein tödlicher Unfall zugestoßen sei. Auf diese Botschaft hin kamen eine ganze Anzahl freundlich gesinnter Leute, um mir Worte des Trostes zu bringen, doch alles, was sie sagen konnten, war, es sei durch Gottes Willen geschehen, und ich müßte mich darein fügen. Ich bestritt fest, daß Gottes Hand hier gewaltet habe, und sagte, ich könnte nie wieder beten, wenn ich etwas derartiges glauben sollte.
Unter denen, die sich einfanden, war ein Ehepaar. Sie allein bezeichneten Gott nicht als den Urheber des Unfalls. Dies fiel mir damals auf, und ich war dankbar dafür. Später besuchte mich die Dame. Als sie während der Trauerfeier neben mir an der Bahre stand, hörte ich sie bei sich selber sagen: „Es gibt keinen Tod.” Ich fragte sie daher jetzt: „Warum sagten Sie: ‚Es gibt keinen Tod.” Sie mußten doch sehen, daß er tot war.” Zur Antwort gab sie mir ein Buch, nämlich Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift von Mrs. Eddy, und eben damals wurde mir der größte Segen meines Lebens zuteil. Lange nachdem die andern meines Schmerzes nicht mehr gedachten, kamen die beiden noch — er, um mir meine Angelegenheiten ordnen zu helfen, obwohl er selbst ein vielbeschäftigter Mann war, sie, um mich aufzumuntern und zu trösten. In den Worten des Jakobus: „Ein reiner und unbefleckter Gottesdienst vor Gott, dem Vater, ist der: die Waisen und Witwen in ihrer Trübsal besuchen und sich von der Welt unbefleckt behalten.”
Ich wollte mehr über die Religion wissen, die die Menschen so freundlich macht, und blieb die halbe Nacht auf, um das Buch zu lesen, das ich erhalten hatte. Das erste, was mir auffiel, war die schöne Sprache, und nachdem ich mehreremal zurückgeblättert und dasselbe Kapitel wiederholt gelesen hatte, erleuchtete ein schwacher Strahl des Verständnisses mein Bewußtsein. „Gott sendet also kein Leid,” sagte ich mir in stiller Freude, „das ist ja, woran ich all die Jahre hindurch festgehalten habe.” Am folgenden Sonntag ging ich zur Kirche der Christlichen Wissenschaft und habe sie seither immer besucht. Dies war vor acht Jahren. Ich bin im Verständnis geistiger Dinge nur langsam vorwärtsgekommen, dennoch ist er mir gelungen, scheinbar unüberwindlicher Schwierigkeiten Herr zu werden. Es sind mir viele Hindernisse begegnet, doch je mehr sich mir durch das Lesen des Lehrbuchs das Verständnis für die Wahrheit eröffnet, desto klarer erkenne ich, daß uns in Wirklichkeit nichts andres begegnen kann als die Liebe Gottes.
Etwa vier Monate, nachdem ich mit dem Studium der Christlichen Wissenschaft begonnen hatte, stellte sich bei mir ein Zustand der Niedergeschlagenheit ein, hervorgerufen durch die vielen Einwendungen derer, die die Sache ungünstig beurteilten, und ich fragte mich, ob ich nicht am Ende einem Schatten nachfolgte und alle meine Verwandte eines Nichts wegen gegen mich stimmte. Damals regte sich oft der Wunsch in mir, eine Heilung mit eignen Augen zu sehen. Da kam die Probe, eine strenge Probe, ganz unversehens, als ich eines Tages gerade recht zufrieden war und vertrauensvoll in die Zukunft blickte. Am Nachmittag hatte mein zweites Kind, ein Mädchen von dreizehn Jahren, eine giftige Säure zu Reinigungszwecken gebraucht. Gerade vor dem Zubettgehen der Kinder wurde ich durch einen entsetzlichen Schrei meines jüngsten Kindes, das zu mir gelaufen kam, in Schrecken versetzt. Die Angst, die mir ins Herz fuhr, vermag ich nicht zu beschreiben. Die Kleine spie und rief keuchend „Ich sterbe!” Zwischen dem Jammergeschrei sagte sie mir, sie hätte aus einer Flasche getrunken, in dem Glauben, es sei Limonade.
In den wenigen Sekunden, die folgten, konnte ich die Zeitungsmeldungen sehen, die erscheinen würden, falls das Kind sterben sollte, ohne daß ein Arzt herbeigerufen worden wäre, wo doch ein solcher im Nebenhaus wohnte. Ich mußte zwischen Gott und dem Menschen wählen, und zwar ohne Verzug. Da vernahm ich die stille innere Stimme, die mir zuflüsterte: „So sie etwas Tödliches trinken, wird’s ihnen nicht schaden.” Ich ging ans Telephon, rief die liebe Freundin an, die mich in die Wahrheit eingeführt hatte, und bat sie, in aller Eile zu kommen, da mein Töchterchen Gift eingenommen hätte. Die Antwort lautete: „Das Gotteskind kann keinen Schaden erleiden.” Sogleich hörte das Geschrei auf, und es stellte sich bei mir das Gefühl ein, daß alles gut werden würde. In zehn Minuten war die Vertreterin da, trug das Kind auf den Armen ins Speisezimmer und schloß die Tür. Nach etwa einer Stunde öffnete sich die Tür, und die Vertreterin winkte mir hereinzukommen. Die Kleine lag auf dem Sofa und schlief fest. An dem Abend ging ich zu Bett mit einem Gefühl des Geborgenseins wie nie zuvor.
Früh am andern Morgen ging ich ins Zimmer, wo die Kleine mit ihrer Schwester schlief, und fragte sie, wie es ihr ginge. „Ganz gut,” war die muntere Antwort. Zunge und Lippen sahen so frisch aus wie nur je. Als ich mich aber der Schwester zuwandte, bemerkte ich, daß ihre Lippen verbrannt waren, und auf meine Frage, wie denn das käme, sagte sie mir, sie hätte das Gift mit den Lippen berührt. Das eine Kind, das davon getrunken hatte, aber im Sinne der Christlichen Wissenschaft behandelt worden war, wies keine Spur des Geschehens auf, beim andern aber, das nur mit dem Munde an die Säure gekommen war, löste sich die Haut von den Lippen. Ich erwähne dies nur deshalb, weil verschiedentlich gesagt wurde, ein Kind könne nicht am Leben bleiben, nachdem es von dieser Säure getrunken habe. Ich hatte einen Beweis haben wollen und hatte ihn erhalten. Jeden Tag gedenke ich in Dankbarkeit dieser Erfahrung, denn ich habe dadurch gelernt, fest auf dem Felsen der Wahrheit zu stehen.
Seit der Zeit habe ich viel durchgemacht, doch hat sich mir die Christliche Wissenschaft stets als eine Hilfe erwiesen. Obgleich es mir noch nicht gelungen ist, die Vorstellung, daß meine Mittel beschränkt seien (und dies ist meine schwierigste Aufgabe gewesen), völlig zu überwinden, so sind mir dennoch so viele Beweise von Gottes liebender Fürsorge zuteil geworden, daß ich meine Dankbarkeit gegen unsre geehrte Führerin und die lieben Freunde, die mir beigestanden und mir geholfen haben, niemals voll zum Ausdruck bringen könnte.
Brooklyn, N. Y., V.S.A.
