Es gibt keine bessere und leichtere Verfahrungsart, sich eine praktische Kenntnis von der Christlichen Wissenschaft anzueignen, als die, welche Mrs. Eddy auf Seite 495 von Wissenschaft und Gesundheit dargelegt hat. Sie lautet: „Studiere den Buchstaben gründlich, und nimm den Geist in dich auf. Hange dem göttlichen Prinzip der Christlichen Wissenschaft an, und folge dem Geheiß Gottes, indem du unentwegt in der Weisheit, Wahrheit und Liebe beharrst.” Diese Anweisung ist sehr einfach, enthält aber im wesentlichen alles, was wir zur Ausübung der Christlichen Wissenschaft nötig haben, sei es für uns selbst oder für andre. Daß diese Verfahrungsart zu jeder Zeit praktisch angewandt werden kann, ist in unzähligen Fällen dargetan worden.
Die Christliche Wissenschaft verlangt nicht von denen, die sich um Hilfe an sie wenden, daß sie Anhänger ihrer Lehren werden müssen, weist ihnen aber die offene Tür zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes, die des Menschen Erbteil ist, verbindet ihre Wunden und lindert ihre Schmerzen. Wohl handeln viele von den Hilfesuchenden wie die Aussätzigen im Evangelium, indem sie ihre Heilung annehmen und dann ihres Weges gehen, ohne des empfangenen Segens weiter zu gedenken und ohne sich in irgendeiner Weise erkenntlich zu erzeigen. Dadurch lassen sich aber gesinnungstreue Schüler der Christlichen Wissenschaft nicht abhalten, nach Kräften dazu beizutragen, daß die ganze Menschheit die volle Erlösung erlange, bis Sünde, Krankheit und Tod nicht mehr sein werden.
Ähnliche Gedanken hatte Paulus, als er schrieb: „Schaffet, daß ihr selig werdet.” Je ernstlicher jeder einzelne sein Verständnis von dieser Wissenschaft (sei es auch noch so gering) in Anwendung bringt, desto eher wird das Werk der Erlösung und Erneuerung, welches sich die Christliche Wissenschaft zur Aufgabe gemacht hat, zur Vollendung kommen. Damit ist aber nicht gesagt, daß man nie einen Praktiker um Hilfe bitten oder sich nie um Rat an seinen Lehrer wenden darf, sondern es will heißen, daß man vorerst eine ernste Anstrengung machen soll, selbst auf den Füßen zu stehen, anstatt sich fortwährend von andern stützen zu lassen. Durch tägliches Studium und unaufhörliches Gebet kommt man soweit, daß man sich bei jedem Angriff von Sünde oder Krankheit sofort an das göttliche Gemüt, den Quell aller Weisheit und alles Segens, wenden und da Hilfe und Rat finden kann.
Dies ist die wahre Weisheit, die Erkenntnis Gottes, welche der Erklärung Christi Jesu gemäß für den, der sie hat, ewiges Leben bedeutet. Das beste dabei ist, daß diese Erkenntnis mit dem Gebrauch zunimmt; je mehr man davon gibt, desto mehr hat man. Das Vertrauen auf die Allmacht und Allgegenwart der Wahrheit und Liebe wird durch jeden neuen Beweis von Gottes unwandelbarer Güte gestärkt und gefestigt. Jakobus erklärt: „Wer aber durchschauet in das vollkommene Gesetz der Freiheit und darinnen beharret, ... derselbige wird selig sein in seiner Tat.” Es verhält sich hier genau so wie in dem Gleichnis von den Zentnern, wo es heißt: „Wer da hat, dem wird gegeben werden, und wird die Fülle haben.”
Solange es Kranke und Bedürftige gibt, solange wird es Arbeit für den Praktiker der Christlichen Wissenschaft geben. Dieser hat jedoch neben seiner Heiltätigkeit die Pflicht, die strauchelnden Schritte seines Patienten zu lenken, ihm auf dem neuen Wege Mut einzuflößen und ihn dazu anzuhalten, sich mehr auf das göttliche Prinzip als auf menschliche Persönlichkeit zu verlassen, so daß er das Vertrauen gewinne, vor den Schranken der Wahrheit seinen Fall selbst zu führen, anstatt sich von dem Irrtum so in Schlaf wiegen oder mesmerisieren zu lassen, daß er sich gewohnheitsmäßig auf einen Praktiker verläßt, der ihm dann aus der Schwierigkeit heraushelfen soll, in welche ihn seine eigne Untätigkeit gebracht hat — ganz so, wie er sich früher auf den Hausarzt verließ. Eine solche Beziehung steht offenbar nicht im Einklang mit der richtigen Ausübung der Christlichen Wissenschaft.
Für den treuesten Christlichen Wissenschafter gibt es jedoch Stunden der Prüfung, des seelischen und körperlichen Leidens, Stunden, in denen trotz aller ernsten Bemühungen sein Begriff von der Allheit Gottes und der Nichtsheit des Irrtums zeitweilig getrübt ist und der liebende Vater weit entfernt scheint. Zu solchen Zeiten tut ihm der Beistand eines andern Christlichen Wissenschafters not. Wenn er treu gekämpft hat, dann darf er gewiß um Verstärkung bitten, damit er seine Stellung behaupten möge. Tatsächlich ist es ein großer Irrtum, dem Stolz Gehör zu schenken, wenn das eigne ernste Bemühen erfolglos geblieben ist.
Die Christliche Wissenschaft ist ein wirksames Mittel gegen Disharmonie jeder Art, nur muß man bei ihrer Ausübung Treue beweisen, an der Wahrheit des Seins festhalten und das größte aller Gebote, Gott und den Nebenmenschen zu lieben, stets vor Augen haben. In keiner andern Weise kann man die Siegespalme erringen.
