[Es gereicht uns zur Freude, durch die Freundlichkeit des Schreibers nachstehenden Briefes sowie des Empfängers desselben unsern Lesern dieses Zeugnis von der beschützenden Macht der Wahrheit bieten zu können, welche diejenigen genießen, die auch in scheinbarer Gefahr auf die Allmacht vertrauen.—Die Redaktion.]
In einem Brief von der Front erwarten Sie wohl, etwas über den Krieg zu erfahren; aber ich werde von etwas weit Wichtigerem schreiben als von der materiellen Seite des Krieges; ja ich werde von etwas schreiben, was den Krieg trotz der sogenannten Schrecken, die uns die materiellen Sinne als so offenkundig darstellen möchten, töricht und unwirklich erscheinen läßt, auch wenn man sich da befindet, wo es am tollsten zugeht.
Ich bin überzeugt, daß viele der Leute, die einige Monate hier draußen waren, zu dem Schluß gekommen sind, daß es nur eines gibt, was dem Leben Wert verleiht, nur eines, über das zu denken sich der Mühe lohnt, und das ist Gott. Natürlich werden sie gewissermaßen durch die schrecklichen menschlichen Erfahrungen, die sie durchmachen müssen, zu diesem Schluß gezwungen. Wenn nun diese Leute ohne die Hilfe der göttlichen Wissenschaft einen solchen Grad geistiger Erkenntnis erlangen, so können Sie sich vorstellen, wie ich, der ich diese Hilfe habe, an Erkenntnis gewachsen sein muß.
Es wäre mir unmöglich, Ihnen mit Worten dafür zu danken, daß Sie mir jenen Sommer vor vielen Jahren die Wahrheit nahegebracht haben. Nur dadurch kann ich meiner Dankbarkeit Ausdruck geben, daß ich die uns gelehrte Wahrheit demonstriere. Und Gott sei Dank war ich im vergangenen Jahre hier in Frankreich imstande, dies zu tun. Ich bin hundertfältig belohnt worden, so daß der Same, der vor vielen Jahren gesät wurde, in der Tat reiche Frucht getragen hat. Nicht nur einmal oder zweimal habe ich die Allheit Gottes und die Nichtsheit des Bösen bewiesen, sondern bei jeder Gelegenheit während meiner Zeit im Schützengraben habe ich Beweise von Gottes beschützender Macht gehabt; und Sie können mir's glauben, solcher Gelegenheiten gab es viele.
Wenn man sieht, wie große Bäume wie ein Zweig abgebrochen und viele Meter weit geschleudert werden, wenn man sieht, wie ein ganzes Haus durch eine einzige Bombe zertrümmert wird, wenn man sieht, wie Minen Öffnungen in die Erde reißen, in denen tausend Menschen Platz finden könnten, dann beginnt man zu fragen, welche Macht eigentlich die Materie hat, uns vor solcher Zerstörung zu schützen. Natürlich gibt es keine materielle Macht, die imstande wäre, einem Menschen in einer solchen Lage zu helfen. Dies ist der Wendepunkt, wo sich die Menschen von der Materie ab- und dem Geist zuwenden. Wo ihre Not am größten, ist Gott am nächsten. Über dem mächtigen Donner ertönt „als eine Stimme großer Wasser“ die unangefochtene Verkündigung: „Der allmächtige Gott hat das Reich eingenommen!“ Welch ein Segen, zu wissen, daß es unmöglich ist, sich in einer Lage zu befinden, wo Gott nicht zu helfen vermag. Glauben wir dies nicht, so geben wir zu, daß es eine Gott entgegengesetzte Macht gibt.
Es war mir oft vergönnt, mir gerade inmitten dieses mächtigen Donners mein Einssein mit Gott zu vergegenwärtigen und somit das Bewußtsein jenes Friedens zu genießen, der über alle menschliche Vernunft geht. Ich kann diesen Frieden nicht beschreiben; ich weiß nur, daß er jenes ruhige und gehobene Denken bewirkt, das von all dem Zeugnis der materiellen Sinne unberührt bleibt. Es genügt mir, zu wissen, daß ich ihn besitze solange ich gesinnet bin, „wie Jesus Christus auch war.“ Wenn man sich stets des Guten bewußt ist, braucht man sich nicht zu fürchten. Die folgenden Bibelverheißungen sind für mich von höchster Bedeutung: „Dein Gott, dem du ohne Unterlaß dienest, der helfe dir!“ „So du durch Wasser gehest, will Ich bei dir sein, daß dich die Ströme nicht sollen ersäufen; und so du ins Feuer gehest, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen.“
Wie kann man angesichts solcher Verheißungen furchtsam oder mutlos sein? Wir müssen jedoch alle unsre materiellen Ziele und Bestrebungen und Pläne aufgeben; und das sollte uns nicht schwer fallen, denn die meisten haben sich ja doch nur als schreckliche Fehlschläge erwiesen. Wenn wir vertrauensvoll alles Gott überlassen und mit Jesus sagen können: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe,“ dann können wir uns über das Getöse und die Disharmonie des sterblichen Kampfes erheben, in dem Bewußtsein, daß der Streit nicht unser ist, sondern des Herrn. Daher brauchen wir nicht zu sorgen und zu grübeln, wann wohl der Krieg zu Ende sein wird, wie er enden wird, was wir noch durchmachen müssen, ob uns Tod oder Verwundung bevorsteht. Diese Dinge haben nichts mit uns zu schaffen, denn wie Mrs. Eddy auf Seite 14 von Wissenschaft und Gesundheit schreibt: „Gänzlich getrennt von der Annahme und dem Traum des materiellen Lebens ist das göttliche Leben.“ Wie gut ist es doch, zu wissen, daß das allsehende, allwirksame, allmächtige Gemüt unsre Angelegenheiten jeden Augenblick, bei Tag wie bei Nacht, lenkt und regiert.
Wie herrlich ist doch die Lektion vom „Sakrament“ für diese Woche. Es ist dies wohl meine Lieblingslektion, obschon uns eigentlich alle gleich lieb sein sollten, da sie ja alle so schön sind. Aber es liegt etwas in diesem Thema, was mich stets anspricht und mich über die materielle Vorstellung emporhebt. Wie wohl erinnere ich mich doch der gleichen Lektion um diese Zeit letztes Jahr, etwa eine Woche bevor wir an die Front gingen. Es war an einem Sonntagabend. Ich saß unter einem kleinen Baum, in der Nähe von Stonehenge, Salisbury Plain. Ein prächtiger Sonnenuntergang mit wunderbaren Wolkenbildungen bot sich meinen Augen, und während ich die Lektion unter solch friedlichen und angenehmen Umständen studierte, tat ich wahrlich einen Blick in jene Stadt, die in der Offenbarung beschrieben wird. Wie ich damals im Schatten der Steine saß, welche Überbleibsel eines großen Altars sind, auf dem die Druiden vor Jahrhunderten ihre Menschenopfer darbrachten, so studierte ich diese Woche, zwölf Monate später, die gleiche Lektion im Schatten der Ruinen eines größeren Altars, auf dem die größten menschlichen Opfer dargebracht worden sind — der Ruinen von Ypern.
Das göttliche Gemüt wird jedoch nicht von Person, Ort oder Ding beeinflußt, und obschon die Zustände dieses Jahres wohl so grauenhaft sind, wie das sterbliche Gemüt sie sich überhaupt vorstellen kann, so durchdringt doch die göttliche Liebe all diesen Schein, ja sie hat mir noch größere Wahrheiten geoffenbart als letztes Jahr.
Welch herrliche Meilensteine sind doch die Bibellektionen auf dieser großen und erhabenen Wanderung vom Sinn zur Seele! Wir können nicht fehlgehen, wenn wir unser Auge einfältig auf das Licht richten. Der Weg ist nicht immer leicht. Sehr oft müssen wir gegen starke Strömungen ankämpfen, müssen an dunkeln Höhlen des sterblichen Denkens vorbei, wo allerlei Gefahren und Versuchungen in den Winkeln und Ecken lauern, müssen über hohe Berge der materiellen Sinne steigen und sie überwinden; aber was wir auch auf dieser Reise antreffen mögen, wir können sicher sein, daß es nichts ist, was Christus Jesus nicht schon vor uns angetroffen und überwunden hat. „In der Welt habet ihr Angst; aber seid getrost, Ich habe die Welt überwunden.“ Man kann nicht zu viel Gewicht auf die Worte legen: „Seid getrost.“ Nichts vernichtet die scheinbare Wirklichkeit des Bösen so sicher wie Heiterkeit; nicht die Heiterkeit, die von materiellem Vergnügen herkommt und die mit dem ersten Anzeichen von Gefahr zergeht, sondern jene Heiterkeit, die das Ergebnis hoher Ideale und guter Werke ist. Diese Heiterkeit scheinst wie ein Leuchtfeuer, selbst inmitten der denkbar schrecklichsten menschlichen Zustände.
Ich erinnere mich, wie wir während der Wintermonate gegen Ende letzten Jahres, als wir noch keine Gummistiefel hatten, tagelang im vordersten Schützengraben bis an die Knie und zuweilen bis an die Hüfte in Kot und Wasser stehen mußten; aber trotz alledem war ich imstande, mein Bewußtsein so mit Gedanken der Wahrheit und Liebe erfüllt zu halten, daß ich mir der materiellen Umgebung kaum bewußt war und dadurch nicht nur mich selber sondern auch die um mich her heiter erhalten konnte. Dies ist für die Kameraden eine große Ermutigung, denn sie haben nichts, was ihnen helfen könnte, und sie erwarten Hilfe von uns in all ihren Schwierigkeiten. Es ist herrlich, eine solche Stellung einzunehmen. Wenn man sieht, mit welchem Erfolg man ihnen geholfen hat, kann man ordentlich fühlen, wie das mitgeteilte Gute zehnfältig vergolten wird. Es ist dies meiner Ansicht nach die höchste Belohnung, die ein Mensch empfangen kann, denn sie ist das Erzeugnis der größten Macht der Welt — der Macht der Liebe. Darum sagt auch Paulus, der Mensch, der nicht Liebe hat, sei nichts. Wie wahr doch diese Worte sind!
All die Erfindungen des sterblichen Gemüts, die jetzt gemacht werden, um Menschen zu vernichten, führen in Wirklichkeit ihre eigne Vernichtung herbei; wie schrecklich und ungeheuer sie uns auch vorkommen, sie zergehen beim ersten Erscheinen der Liebe in Nichts. Eine gewisse Stelle an einer bekannten Straße, die zu den Schützengräben führt, ist „Höllenecke“ genannt worden. Wenn wir in X sind, müssen wir beim Arbeitsdienst jede Nacht an dieser Ecke vorbei. Sie wird irgendeinmal während der Nacht vom Feinde beschossen, und man weiß daher nie, wann die Granaten fliegen werden. Wenn ich mich dieser Stelle nähere, denke ich nicht in solcher Weise von ihr, auch erwarte ich nicht jeden Augenblick Granaten, sondern ich denke sie mir als „die Ecke der Liebe.“ Weiß ich doch, daß die Liebe hier ebensowohl gegenwärtig ist wie irgendwo anders in der Welt. Gott ist nicht mehr an einem Ort als an einem andern, denn Er füllt allen Raum; daher gibt es für Gottes Ideen keine gefährlichen Stellen.
Wie herrlich ist doch der Friede und der Trost und das Sicherheitsgefühl, das ich empfinde, wenn ich mir beim Passieren solcher Stellen diese Wahrheit vergegenwärtige. Ganz gleich ist es, wenn ich mich auf dem Horchposten vor den Schützengräben befinde, nur wenige Meter von der feindlichen Mine. In solchen Lagen sind mir oft die schönsten Gedanken gekommen. Wenn man eine Macht anrufen kann, die alle materiellen Zustände und Verhältnisse beherrscht, so hat man gewiß die „köstliche Perle“ gefunden. Dafür dürfen wir wohl arbeiten, wachen und beten, gleichviel, was wir hier durchmachen müssen, um sie zu erlangen. Dann werden wir in der Tat unsern Lauf mit Freuden vollenden und die herrliche Belohnung empfangen, von der wir in der Offenbarung lesen: „Wer überwindet, der wird's alles ererben, und ich werde sein Gott sein, und er wird mein Sohn sein.“
Welch erhabene Aufgabe steht uns bevor! Welch herrliche Ideen des Gemüts warten noch der Entfaltung! Wie ernstlich sollten wir auf jenen Tag hinarbeiten, da alle Völker und Zungen das göttliche Gemüt als das einzige Gemüt anerkennen werden, da der Mensch seinen Nächsten lieben wird wie sich selbst, da all die Ideen des Gemüts in allem, was schön und gut ist, zum Ausdruck kommen werden, da weder Leid, noch Geschrei, noch Schmerz mehr sein wird, denn es ist alles neu worden! Gott sei Dank, daß wir uns nicht mehr durch lange, mühsame Jahre hindurchzuschleppen brauchen, ehe wir diese geistigen Segnungen genießen dürfen, sondern daß wir uns ihrer hier und jetzt, gerade da, wo wir sind, erfreuen können.