Es hat wohl nie ein größeres Hindernis zwischen dem sterblichen Menschen und seinem Glück und Frieden gestanden als seine Vorstellung vom Tod und seine Furcht vor demselben. Daher besteht die Notwendigkeit (die zur heutigen Stunde wohl dringender ist als je zuvor), daß man einen richtigen Begriff von diesem Gegenstand erlange — daß man einigermaßen die Tatsache erfasse, die Jesus bewies, daß der Tod hier und jetzt überwunden werden kann, daß man ihn als das erkennen kann, was er in Wirklichkeit ist, nämlich die gleiche Täuschung wie das Zusammentreffen von Himmel und Erde am fernen Horizont. Jesus Christus hat „dem Tod die Macht“ genommen, wie Paulus sagt (man merke wohl auf die Worte), hat den Vorhang zurückgezogen und „Leben und ein unvergänglich Wesen ans Licht gebracht.“
Nun ist es aber noch keinem gelungen, den Horizont zu erreichen, wenn mit diesem Wort der Berührungspunkt von Wasser und Himmel gemeint ist, noch hat ein Mensch ihn je überschritten. Er ist nichts als eine Täuschung. Der Reisende, der scheinbar auf den Horizont zufährt, erreicht ihn niemals. Er hat ihn stets vor sich, er ist für ihn stets unerreichbar. Wohl kommt es den Leuten am Ufer vor, als ob das Schiff, auf dem sich der Reisende befindet, am Horizont verschwinde; aber die an Bord sind sich keiner Veränderung bewußt. Der Horizont ist ihnen immer voraus, bis sie schließlich einsehen, daß er in Wirklichkeit nicht besteht. Für den Seemann ist der Horizont weder Ding, Ort noch Reiseziel, und er erkennt, daß er ihn nie durchkreuzen kann. Er erkennt ihn als die Grenze seines Sehvermögens, und er weiß, daß, wenn er die Welt von der Unermeßlichkeit des Raumes aus betrachten könnte, der Horizont nicht mehr vorhanden sein würde. Die Menschen am Ufer verlieren die Menschen auf dem Schiff aus dem Auge; diese aber fahren in der angenehmen Gesellschaft ihrer Reisegefährten weiter, und wenn sie dann in ein anderes Land kommen, begegnen sie alten Freunden und schließen neue Freundschaftsverhältnisse mit denen, die sie da treffen. Es gibt kein Überschreiten des Horizontes, und in demselben Sinne keinen Durchgang durch den Tod. Sagte nicht unser Meister: „So jemand mein Wort wird halten, der wird den Tod nicht sehen ewiglich“?
Und trotzdem hat sich die Welt seit Jahrtausenden von dieser Annahme fesseln lassen. Wir können die Freiheit nur durch eine wahrere, vollkommenere Auffassung vom Leben erlangen, d.h. indem wir die große Tatsache erkennen, daß gerade so wie die Behauptung, daß zwei mal zwei vier ist, keine Grenzen kennt und keinem Wandel unterworfen ist, so auch das, was wir von der Wahrheit, was wir von Gott wissen, hier und jetzt, nicht erst in künftiger Zeit ewiges Leben ist. Je mehr wir in dem Bewußtsein dieses Lebens leben, wird auch unsere Ebenbildlichkeit mit dem Ewigen allmählich so wachsen, daß es nur dem Beobachter am Ufer der Zeit vorkommt, als hätten wir den Horizont durchkreuzt. Wir werden immer mehr mit uns in die Ewigkeit nehmen und immer weniger zurücklassen, bis wir, wie Johannes, einen neuen Himmel und eine neue Erde sehen können, ohne die Grenzlinie, die man den Tod nennt, überschreiten zu müssen. Mrs. Eddy sagt (Wissenschaft und Gesundheit, S. 598): „Ein Augenblick göttlichen Bewußtseins oder das geistige Verständnis von Leben und Liebe ist ein Vorschmack der Ewigkeit. Diese erhabene Anschauung, die erhalten und festgehalten wird, wenn die Wissenschaft des Seins verstanden ist, würde die Zwischenzeit des Todes mit geistig erkanntem Leben überbrücken, und der Mensch würde in dem vollen Bewußtsein seiner Unsterblichkeit und seiner ewigen Harmonie sein, wo Sünde, Krankheit und Tod unbekannt sind.“
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