Man kann die Beziehung eines christlich-wissenschaflichen Praktikers zu seinem Patienten mit der Beziehung eines durchsichtigen Fensters zu einem Zimmer vergleichen. Das Fenster läßt das Licht herein, ist aber weder das Licht selbst noch die Quelle des Lichts. Wie man nun beim Betrachten einer Landschaft nicht an das Fenster denkt, durch das man schaut, so ist auch der Praktiker dem erhabenen Ausblick auf Gott und Seine Schöpfung, zu dem der Patient berechtigt ist, völlig untergeordnet. Keinen wahren Christlichen Wissenschafter verlangt danach, die Aufmerksamkeit auf sich selbst oder seine persönlichen Anschauugen zu lenken. Man hilft dem Patienten dadurch am besten, daß man ihn wahr über sich selbst denken lehrt. Je schneller der Patient lernt, seine eigenen Gedanken und Handlungen zu berichtigen, desto eher wird er Harmonie offenbaren und ein nützliches Mitglied der Gesellschaft werden.
Es liegt klar auf der Hand, daß man es in der christlich-wissenschaftlichen Praxis nicht nötig hat, die Lebensgeschichte des Patienten zu erforschen, um ihn heilen zu können. Nicht die Kenntnis von falschen menschlichen Annahmen, sondern das Verständnis vom unveränderlichen göttlichen Prinzip verleibt Heilung und die Fähigkeit, andere zu heilen. Es ist gewiß verfehlt, zu klatschen oder auf Klatsch zu horchen, unter dem Vorwande, dadurch Irrtum aufzudecken. Der Irrtum ist dann aufgedeckt, wenn man erkennt, daß er unwirklich ist. Solange Irrtum wahr erscheint, ist seine Maske noch nicht entfernt. Es ist daher nicht zu entschuldigen, wenn man den Irrtum unbeachtet läßt. Man muß stets dem Geheiß der Bibel gehorsam sein: „Laß dich nicht das Böse überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“
Mrs. Eddy schreibt in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 206): „Die Betätigung der höheren Gefühle — Hoffnung, Glaube, Liebe —[ist] das Gebet des Gerechten. Dieses Gebet, das von der Wissenschaft anstatt von den Sinnen regiert wird, heilt die Kranken.“ Wie klar geht doch hieraus hervor, daß diese Hoffnung und dieser Glaube allein in Gott zu finden sind, daß diese Liebe die Liebe zum Guten ist, eine übersinnliche und nicht eine sentimentale Liebe.
Der erfolgreiche Helfer bringt dem Patienten Erleuchtung und Hoffnung, anstatt ihm vorzuschreiben, welche menschliche Schritte er tun soll. Er ermahnt ihn, alle unharmonischen Probleme im Gebet vor Gott zu bringen, anstatt diesen Problemen auszuweichen. Gott, der bei Moses am Roten Meere, bei Daniel in der Löwengrube, bei Jesus am Kreuze war, ist auch jetzt gegenwärtig und kann diejenigen retten und heilen, die sich an Ihn wenden. Wahrlich, wir dürfen es dem Vater überlassen, Seine Kinder auf den richtigen Pfad zu leiten, und man darf den Patienten der liebevollen Führung Gottes anvertrauen. Obgleich in den meisten Fällen der häufige Wechsel von einem Praktiker zum anderen nicht ratsam ist, so hat doch der Patient das volle Recht, zu wechseln, so oft er will. Sobald der Patient keine Behandlung mehr wünscht, ist er kein Patient mehr, und niemand hat ein Recht, ihn als solchen zu beanspruchen.
Der Praktiker muß darauf achten, daß er nicht das Ziel des Heilens aus dem Auge verliere. Wohl gibt es heutzutage mancheriei fortschrittliche Bewegungen, die zweifellos durch die Wirkung des Sauerteigs der Wahrheit in der Welt hervorgerufen worden sind; wie fördernd aber diese auch sein mögen, so dürfen wir doch nicht vergessen, daß sie die Wirkung, nicht die Hauptursache menschlicher Vervollkommnung sind. Es trägt nicht zum Erfolg des Praktikers bei, wenn er seine Aufmerksamkeit auf die Verbreitung dieser Bewegungen richtet und hierdurch seine Aufmerksamkeit von dem hohen Streben ablenken läßt, die Gesinnung zu erlangen, „die in Christus Jesus auch war.“ Mrs. Eddys Worte in „The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany“ (S. 149) haben auf diesem Punkt Bezug. Sie sagt: „Wer über der Form den Inhalt, über dem Nebensächlichen das Prinzip, über der Wirkung die Ursache und über dem Glauben das Schauen verliert, der verliert die Wissenschaft des Christentums.“
Die heilende Kraft wird durch Geistigkeit zum Ausdruck gebracht; daher sollten die Gedanken des Praktikers nur im Reich des Geistigen weilen, wo das göttliche Gemüt als das einzige Heilmittel für alle sterblichen Nöte anerkannt wird. Dieses geistige Bewußtsein ist das gerade Gegenteil von träumerischer Geistesabwesenheit. Es fordert die volle Betätigung der Wachsamkeit, der Weisheit und der Intelligenz. Es bedeutet „Gott mit uns“—Leben mit uns, Wahrheit mit uns, Liebe mit uns, den Himmel um uns her.
Folgender Ausspruch von Phillips Brooks erschien am 6. Januar 1906 im Christian Science Sentinel: „Gott hat uns nicht große Gelehrsamkeit gegeben, damit wir alle Probleme lösen sollen noch hat er uns unfehlbare Weisheit gegeben, damit wir alle Schritte im Leben unserer Brüder lenken sollen. Aber Er hat einem jeden von uns die Kraft verliehen, geistig zu sein und durch unsere Geistigkeit das Leben derer, mit denen wir in Berührung kommen, zu heben, zu bereichern, und zu erleuchten.“ Es ist bemerkenswert, daß Mrs. Eddy unter diesem Ausspruch mit Bleistift schrieb: „Das Geheimnis meines Lebens liegt im obigen.“
Möchten doch Praktiker und Patient dieses Geheimnis so verstehen lernen, daß nichts dem universellen Heilen hindernd in den Weg treten kann.