Es ist sehr bezeichnend, daß im ersten Abschnitt des Kapitels „Die Wissenschaft des Seins“ auf Seite 268 von Wissenschaft und Gesundheit sowohl von der Befreiung des Gedankens des Zeitalters mechanischer Erfindungen wie auch von dem gleichzeitigen Eintritt der Frau in das Gebiet des allgemeinen Forschens nach einer mehr metaphysischen Auslegung und Lösung der Daseinsprobleme die Rede ist. „Die materialistischen Hypothesen,“ sagt Mrs. Eddy, „fordern die Metaphysik zum Entscheidungskampf heraus. In dieser Zeit der Umwälzungen zieht das Weib, wie der Hirtenknabe, mit der Schleuder aus, um mit dem Goliath zu kämpfen.“
Die Erfindungen auf dem Gebiete der Technik sind nichts andres als ein konkreter, für die Menschen wahrnehmbarer Beweis der Wahrheit, daß das Gemüt nicht der Materie unterworfen ist. Langsam aber sicher verdrängt die Kraft, die von dieser zunehmenden Befreiung des Gedankens ausgeübt wird, den krassen Materialismus, der dem Sterblichen den Fluch aufgebürdet hat: „Im Schweiß deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis daß du wieder zu Erde werdest.“
Die Aufhebung des Fluchs harter Arbeit, der auf dem Manne lastet, ist im Falle der Frau notwendigerweise von der Aufhebung der scheinbaren Notwendigkeit begleitet, die von dem materiellen Daseinsbegriff ihr auferlegten Bürden und Schmerzen zu tragen resp. zu erdulden. So finden wir denn heute, daß die Frau als natürliche Folge dieses Freiwerdens des menschlichen Gemüts fast auf allen Gebieten menschlicher Tätigkeit vertreten ist. Der Widerstand gegen die vollständige Emanzipation der Frau, wie er noch da und dort zu finden ist, läßt einfach das Maß des Materialismus erkennen, das noch vernichtet werden muß. Unser langsames Zeitalter hat auf der menschlichen Daseinsstufe immerhin bedeutenden Fortschritt aufzuweisen; aber die geistige Ursache dieses Fortschritts muß erkannt werden, ehe der Glaube an die Ungleichheit der Geschlechter gänzlich aufhören wird sich zu bekunden.
In der Wissenschaft des Seins gibt es weder einen sterblichen Mann noch eine sterbliche Frau. Die männlichen und weiblichen Eigenschaften des Gemüts bilden den Menschen als Gattung, das zusammengesetzte Spiegelbild Gottes. Im ersten Buch Mose lesen wir: „Und schuf sie einen Mann und ein Weib,“ und dem vollständigen und ungeteilten Menschen ward Herrschaft gegeben. Von diesem Standpunkt absoluter Wahrheit aus ist klar zu ersehen, daß alle Leiden der menschlichen Familie auf einen falschen Begriff von der geistigen Idee, vom Ebenbild Gottes zurückzuführen sind.
In dem Bericht von einer allegorischen, der Wirklichkeit entbehrenden Schöpfung wurde es notwendig, die männlichen und weiblichen Eigenschaften zu trennen, ja die letzteren den ersteren unterzuordnen. Die zusammengesetzte Idee des Gemüts wurde wegen des illusorischen, dualistischen Glaubens an einen materiellen Mann und eine materielle Frau falsch aufgefaßt. Durch die sterbliche Einteilung der Dinge in höhere und geringere wurde die geistige Idee von Gleichheit und Einheit zertrennt. Männliche Überlegenheit und Herrschaft setzte weibliche Schwäche und Unterwerfung voraus. Das Lastentragen auf einer Seite wog die mühsame Arbeit auf der andern Seite auf.
Da nun die geistige Idee der Gleichheit und Einheit dem menschlichen Gemüt durch den Glauben an Geschlechtsunterschied und Ungleichheit verloren gegangen ist, so liegt auf der Hand, daß der Vernichtung dieses Glaubens die Wiederherstellung des vollkommenen Spiegelbildes des Gemüts durch geistiges Verständnis vorausgehen muß. In der jüdischen Religion ist das geistige Motiv der Gleichheit und Einheit des Menschen einigermaßen erkennbar. Sie räumte der Frau größere Achtung ein a's in den Religionen andrer morgenländischer Völker, welche den einen, den wahren Gott nicht kannten, möglich war. Ein noch größeres Maß der Freiheit brachte das Christentum der Frau, und das wachsende Verständnis von der Wissenschaft des Christus führt ihre vollständige Emanzipation herbei. Es ist daher für den Fortschritt des sterblichen Mannes aus seiner Materialität heraus ebenso notwendig, daß er sich von dem Glauben an männliche Überlegenheit irgendwelcher Art freimache, wie es für den Fortschritt der sterblichen Frau notwendig ist, daß sie den Glauben aufgebe, als sei die Frau ein untergeordnetes Wesen. Jeder Mensch, der der geistigen Vollkommenheit zustrebt, muß sowohl die männlichen als die weiblichen Eigenschaften des göttlichen Gemüts wiederspiegeln. In der Wahrheit des Seins sind diese Eigenschaften gleichwertig und untrennbar.
Wennimmer sich das göttliche Prinzip dem menschlichen Bewußtsein geoffenbart hat, ist es durch die geistige Wahrnehmung einer geistigen Idee geschehen. Von dem Augenblick an, da die Propheten anfingen, die geistige Idee, den idealen Menschen, den erwarteten Messias wahrzunehmen, begann auch die Umkehrung jenes falschen Begriffs vom Leben, wie er durch das männliche und das weibliche Geschlecht materiell zum Ausdruck kommt. Wennimmer ein Kind der Verheißung geboren wurde, wie z. B. Isaak oder Johannes der Täufer, wurden die materiellen Gesetze des Lebens in diesem Maße aufgehoben. Als Marias Bewußtsein von der Herrlichkeit des wahren Seins überschattet wurde, konnte sich die wahre Idee des Menschen auf solche Weise bekunden, daß es der Menschheit möglich wurde, die Allgegenwart und die Macht der geistigen Idee zu erfassen. Marias Erkenntnis der Wahrheit widerlegte die Annahme, daß der Mensch einen materiellen Ursprung habe und ein materielles Wesen sei, und Jesus Christus offenbarte die Vaterschaft Gottes.
Mrs. Eddy tut nun dar, daß diese unvergleichliche Offenbarung des Idealmenschen dadurch möglich wurde, daß das weibliche Wahrnehmungsvermögen von dem Zeitpunkte an, wo die Frau die Täuschung der körperlichen Sinne entdeckt hatte, allmählich zunahm, bis dann der Punkt der vollen Offenbarung erreicht wurde. In Wissenschaft und Gesundheit sagt sie von der Frau (S. 534): „Sie [ist] die erste, welche die Annahme vom materiellen Ursprung des Menschen aufgibt und die geistige Schöpfung erkennt. Dies befähigte späterhin das Weib, die Mutter Jesu zu werden und den auferstandenen Heiland am Grabe zu erblicken, der bald darauf den todlosen, von Gott geschaffenen Menschen offenbaren sollte. Dies befähigte das Weib, als erste die Bibel ihrem wahren Sinn nach auszulegen, der den geistigen Ursprung des Menschen enthüllt.“
Auf Grund seines geistigen Ursprungs brachte Jesus die vollkommene Wiederspiegelung des Gemüts in höherem Maße zum Ausdruck als irgendjemand sonst auf Erden. Die weiblichen Gedankeneigenschaften kamen durch sein Bewußtsein ebenso vollkommen zum Ausdruck wie die männlichen. Wegen der krassen Materialität der Welt zur Zeit seines Erscheinens, wegen der herrschenden Ungleichheiten in der Gesellschaft, der Herrschaft des männlichen Menschen, des Glaubens an die untergeordnete Stellung der Frau, war es unzweifelhaft notwendig, daß der Welt die erste Offenbarung des Christus, der vollständigen geistigen Idee, durch die männliche Idee vor Augen geführt wurde. Es war notwendig, daß die Menschheit die Wahrheit über den Menschen erst durch die Demonstration der Vaterschaft Gottes kennen lernte; aber wir finden nicht ein einziges Wort in der Lehre Jesu, welches ersehen ließe, daß er den geringsten Unterschied machte zwischen Mann und Frau, soweit die Wahrnehmung dieser geistigen Wahrheit in Betracht kam.
Die von Jesus ausgesandten Jünger waren Männer, aber Frauen begleiteten sie und waren tüchtige Mitarbeiter in der Urkirche. Das Aussenden weiblicher Jünger in einem Zeitalter, in dem die Autorität des männlichen Patriarchen so tiefgewurzelt war, hätte die Frauen gegenüber einer Gesellschaft, die noch nicht bereit war, die volle Offenbarung der Wahrheit zu empfangen, einer größeren Mißgunst ausgesetzt als nötig gewesen wäre oder als sie hätten ertragen können. Sicher ist jedoch, daß Jesus seine Jünger mit Rücksicht auf die geistigen Eigenschaften, die sie wiederspiegelten, auswählte. Weibliche Gedankeneigenschaften kamen in dem geliebten Jünger in sehr hohem Grade zum Ausdruck; und doch wurde die große Ehre, die Auferstehung zu verkündigen, der Maria Magdalena zuteil.
Johannes war es, dessen geistiges Auge die Frau als einen Typus der vollen Offenbarung der Wahrheit schaute, der geistigen Idee, die mit der Zeit erkannt und demonstriert werden sollte. Und in der Fülle der Zeit war es ganz natürlich, ja unausbleiblich, daß die Entdeckung der Christlichen Wissenschaft durch Mary Baker Eddy geschah — durch ein Bewußtsein, das sich durch sein Wahrnehmungsvermögen, seine weibliche Reinheit und Liebe, seine männliche Kraft und Weisheit auszeichnete; durch ein Bewußtsein, das wie kein andres seit der Zeit des Nazareners die männlichen und weiblichen Eigenschaften, welche die Individualität in dem geistig-wissenschaftlichen Zustand des Einssein mit Gott ausmacht, in sich vereinigte.
Das Erwachen der Frau, wie es sich heute überall bekundet, weist auf den Umstand hin, daß das menschliche Gemüt von der Wahrheit über die Frau überschattet wird, von der Wahrheit über die geistige Idee der Mutterschaft Gottes. Jesus sagte: „Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnet's jetzt nicht tragen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, der wird euch in alle Wahrheit leiten.“ Die von ihm angekündigte Zeit ist ohne Zweifel da. Die geistige Idee durchdringt das menschliche Bewußtsein immer mehr. Das göttliche Gemüt fordert vom Einzelbewußtsein wie vom Gesamtbewußtsein, daß es die Christus-Idee vollständig wiederspiegele. Das göttliche Prinzip beseitigt das Mißverhältnis, die Ungerechtigkeit, zwischen den Geschlechtern einen Unterschied zu machen. Eine heftige Chemikalisation erschüttert den Glauben an intelligente Materie. Der Fluch des Materialismus wird gehoben.
Wenn ein Sterblicher glaubt, gegen die Gleichheit und Einheit der Geschlechter Einwand erheben zu müssen, so läßt er dadurch den Mühlstein des Materialismus nur noch ein wenig länger auf seinem Bewußtsein lasten. Die Frau, die zögert, das fadenscheinige Gewand der Abhängigkeit abzulegen, und die nur ungern die Verantwortlichkeit auf sich nimmt, welche die Gleichheit der Geschlechter mit sich bringt, schiebt ihre Erkenntnis des von der Materie getrennten Lebens und der von ihr getrennten Liebe hinaus. Die Ausgleichung aller Dinge ist unvermeidlich. Jene Menschen, die die Vollständigkeit der geistigen Idee, des zu Gottes Bilde geschaffenen zusammengesetzten Menschen am deutlichsten erkennen, sind die Männer und Frauen, die sich auf dem Marsch gegen den Materialismus in den vordersten Reihen befinden.
Die christlich-wissenschaftliche Kirche ist ganz besonders die Gemeinschaft auf Erden, die ohne Vorbehalt für die geistige Einheit und Gleichheit von Mann und Frau eintritt. In ihren Anweisungen über den „Amtswechsel“ und die „Leser in den Kirchen“ hat Mrs. Eddy für die ordnungsmäßige Bekundung dieses geistigen Gesetzes gesorgt. (Siehe Miscellany, SS. 254, 249.) Die geistige Gesinnung geistige Menschen, ob Mann oder Frau, ist offenbar die Vorbereitung, welche dieses geistige Gesetz wiederspiegelt. Es kann daher keine falsche Auslegung der Absicht unsrer Führerin sein, wenn man behauptet, daß die Kirche, die bei der Besetzung der führenden Ämter abwechselnd die beiden Geschlechter berücksichtigt, die vollständige Idee des Gemüts, die Einheit des Guten am besten wiederspiegelt, vorausgesetzt natürlich, es sind keine andre ausschlaggebende Faktoren zu berücksichtigen und es fehlt nicht an Männern und Frauen, die die nötige geistige Ausrüstung haben. Mit andern Worten, eine Beamtenwahl, die von Voreingenommenheit für das eine oder das andre Geschlecht beeinflußt wird — nicht in Betracht kommen hier natürlich Fälle, wo das Kirchenhandbuch entscheidet —, ist noch nicht frei von den falschen Hypothesen des Materialismus. In der Wissenschaft des Seins, die in allen ihren Tätigkeiten wiederzuspiegeln sich die christlich-wissenschaftliche Kirche bemüht, „ist kein Mann noch Weib; denn ihr seid allzumal einer in Christo Jesu.“
Eine Kirche, die an dem überlieferten materialistischen Brauch der männlichen Führerschaft festhält, verzögert nicht nur das klarere Verständnis der zusammengesetzten geistigen Idee in der Kirche, sondern sie verpaßt ebenso gewiß die Gelegenheit, der Welt die gegenwärtige Wirklichkeit, die unausbleibliche Gleichheit, der die Menschheit zustrebt, vor Augen zu führen. Über diese geistige Idee der Gleichheit und des Einsseins schreibt Mrs. Eddy auf Seite 268 von Miscellany: „Schaue lange genug, und du siehst das Männliche und das Weibliche als Einheit — das Geschlecht ist aufgehoben; du siehst, daß die Bezeichnung Mensch ebensowohl Frau bedeutet, auch siehst du, daß das eine unendliche Gemüt das ganze Weltall umfaßt und in der intelligenten zusammengesetzten Idee, dem Bild oder Gleichnis, Mensch genannt, wiedergespiegelt wird, das unendliche göttliche Prinzip, Liebe, Gott genannt, zum Ausdruck bringend, in dem der Mensch mit dem Lamm vermählt ist und Unschuld, Reinheit und Vollkommenheit gelobt hat.“