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Der Dornenpfad

Aus der Mai 1918-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Eine der bekanntesten Bibelstellen, deren wörtliche Deutung oder vielmehr Mißdeutung in so manchem leidenden Sterblichen einen glimmenden Groll gegen Gott und das Weltall im allgemeinen erzeugt hat, lautet: „Welchen der Herr liebhat, den züchtiget er; und er stäupt einen jeglichen Sohn, den er aufnimmt.“ Wird dieser Text jedoch im Lichte der Christlichen Wissenschaft erklärt, so bietet er dem getreuen Pilger großen Trost — dem, der durch den Triebsand der Materie „nach dem vorgesteckten Ziel“ strebt, „nach dem Kleinod, welches vorhält die himmlische Berufung Gottes in Christo Jesu.“

Im Propheten Habakuk lesen wir, daß Gottes Augen zu rein sind um Übels zu sehen und daß Er dem Jammer nicht zusehen kann. Es ist somit klar, daß derjenige, den Gott liebt und den Er aufnimmt, frei ist von allem Übel, denn sonst könnte Gott ihn ja gar nicht sehen. Um also von Gott aufgenommen zu werden, müssen wir uns der geistigen Vollkommenheit des wahren Menschen bewusst werden. Wie kann man sich nun das wahre Wesen des Menschen vergegenwärtigen? Des Apostels Paulus Rat lautet: „Wandelt im Geist, so werdet ihr die Lüste des Fleisches nicht vollbringen.“

Betrachten wir diesen Rat etwas näher. Wir leben in einer mentalen Welt; wir sehen und erleben die Vergegenständlichung unserer eigenen Gedanken, und solange wir materielle Gedanken hegen, sind wir uns nur einer materiellen Welt bewußt. Wollen wir also im Geist wandeln, so muß in unserem Gemüt eine Umwandlung von fleischlichen Annahmen zu geistigen Gedanken stattfinden. Aber, wie wir im Galaterbrief lesen, „das Fleisch gelüstet wider den Geist, und den Geist wider das Fleisch; dieselbigen sind widereinander“— ganz naturgemäß, denn das fleischliche Gemüt ist selber das Ergebnis der Sünde. Infolge unserer Liebe zum Fleisch und infolge der mentalen Stumpfheit, die das Resultat des zur Gewohnheit gewordenen Vertrauens auf das Zeugnis der Sinne ist, ist die Freimachung unseres Denkens von seinen materiellen Stützen keine leichte Aufgabe; ja gerade weil wir uns der göttlichen Forderung widersetzen, uns über das Fleisch zu erheben, führen wir selber unsere Züchtigung durch Seine Rute herbei. Diese Züchtigung ist jedoch keineswegs die Strafe eines launischen Gottes, sondern der läuternde Vorgang, durch den wir uns vom Vertrauen auf die Materie weg- und dem Vertrauen auf Gott zuwenden — durch den wir den materiellen Menschen aus- und den Gottes- Menschen anziehen.

Die Mißdeutung des oben zitierten Textes ist das natürliche Ergebnis der allgemeinen falschen Auffassung von Gott und von des Menschen Beziehung zu Ihm. Betrachtet man Gott vom sterblichen Standpunkt aus und das Leben bloß als die Spanne des menschlichen Daseins, so sieht man natürlich die Züchtigung des Herrn im gleichen Lichte wie die unerklärliche Züchtigung seitens menschlicher Eltern — man empfängt sie entweder mit einem Gefühl des Grolls, oder man schickt sich widerstandslos in das Unvermeidliche. Vom geistigen Standpunkt aus führen beide Wege in eine Sackgasse. Die Christliche Wissenschaft jedoch, die einen vollkommenen Gott, die einzige Ursache und den einzigen Schöpfer zum Prinzip hat, und die das Leben als die Erkenntnis oder das Bewußtsein von Gott bestimmt, lehrt uns, über den Schmerz des Augenblicks hinweg nach dem jenseits desselben gelegenen Ziel zu schauen, und befähigt uns, uns trotz unserer Prüfungen zu freuen, denn, wie Mrs. Eddy sagt (Unity of Good, S. 55): „Im Fleisch ist das Leiden ‚der Weg,‘ der aus dem Fleisch hinausführt,“ hinauf zu Gottes Thron.

Vom christlich-wissenschaftlichen Standpunkt aus können wir die Probleme, die uns das Leben darbietet, mit einer Rechenaufgabe vergleichen. Unser Prinzip ist das eine unendliche Gemüt —Leben, Wahrheit, Liebe —Gott; unsere Art der Lösung ist das Beseitigen alles Glaubens an ein sterbliches Dasein durch die Anwendung der Wahrheit; unser Resultat ist der Sohn Gottes. Nun gibt es zwei Arten, sich an eine mathematische Aufgabe zu machen. Man kann sein Augenmerk hauptsächlich auf die Antwort richten, oder man kann die Aufgabe so lösen, daß man die in Betracht kommenden Regeln anwendet und die Antwort sich selbst überläßt. Es ist leicht zu verstehen, daß erstgenannte Verfahrungsart bald Unheil anrichtet. Die Mathematik verlangt ein wachsendes Verständnis ihrer Grundregeln; folglich kommt der Schüler, der nach der ersten Art vorgeht, nicht weit, bevor sich zwischen ihm und dem Endresultat so viele Verfahren auftürmen, daß die Kenntnis der Antwort von geringem Wert ist. Er ist gezwungen, von vorne anzufangen und die Grundlehren zu erfassen, ehe er imstande ist, vorgeschrittene Aufgaben erfolgreich zu lösen. Die zweite Verfahrungsart, diejenige, die verfolgt werden muß, um die Grundgesetze der Mathematik, seien sie noch so elementar, wissenschaftlich zu beherrschen, baut auf sicherer Grundlage. Sie verläßt sich gänzlich auf die Anwendung eines gegebenen Prinzips, und insoweit dieses gewissenhaft und genau angewendet wird, führt es zum richtigen Resultat.

Wenden wir uns nun unserem Lebensproblem zu, so erkennen wir, daß die zu erlangende Antwort geistig ist. Jedesmal wenn wir uns eine begrenzte Antwort zurechtlegen, handeln wir nicht nur der ersten oder irrigen Verfahrungsart gemäß, sondern wir müssen uns auch von unserem Prinzip abwenden, um dieses materielle Ergebnis zu betrachten. Sogar bei der zweiten Verfahrungsart scheint es oft viele Fallgruben zu geben. Glücklicherweise jedoch haben wir eine Richtschnur für jeden Schritt in unserer Arbeit, denn welcher Art Problem Problem auch sei, wir wissen, daß die richtige Antwort bei einem jeden Schritt von Harmonie begleitet ist. Wenn sich anstatt der Harmonie Disharmonie irgendwelcher Art geltend macht, so wissen wir, daß wir irgendwo von unserem Prinzip abgewichen sind und daher zurückgehen müssen, bis der Irrtum aufgedeckt und berichtigt ist. „Was erreichen die Sterblichen durch Mühe, Kampf und Kummer?“ fragt Mrs. Eddy. Und sie antwortet sofort: „Sie geben ihre Annahme von vergänglichem Leben und Glück auf; das Sterbliche und Materielle wird zu Staub, und das Unsterbliche wird erreicht“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 536). Mit anderen Worten, dadurch, daß wir uns beständig des einen Gemüts, Gottes, bewußt sind, werden die falschen Zeugen des sterblichen Gemüts aus dem Bewußtsein beseitigt und der von Jesus bekundete Christus-Sinn kommt zum Ausdruck.

„Welchen der Herr liebhat, den züchtiget er; und er stäupt einen jeglichen Sohn, den er aufnimmt,“ sagt die Heilige Schrift. Es ist kein Zufall, daß Johannes in der Offenbarung die vor Gottes Stuhl Stehenden als diejenigen darstellte, „die kommen sind aus großer Trübsal und haben ihre Kleider gewaschen und haben ihre Kleider helle gemacht im Blut des Lammes.“ Die Beschreibung des sterblichen Lebens derjenigen, die zu Gunsten des geistigen Fortschritts der Menschheit bahnbrechend gewirkt haben, tut dar, daß diese geistigen Seher ihren Blick durch Leiden erlangten, jenen Blick, der sie befähigte, die sie umgebende Finsternis der Sinnlichkeit zu durchdringen und das stets leuchtende Licht der ewigen Wahrheit zu erblicken. Laßt uns daraus lernen, daß, wie schwer auch unsere Last der Sünde, der Krankheit, des Hasses, der Ungerechtigkeit, des Kummers oder des Mangels zu sein scheint, wir uns von ihr ab- und dem Licht zuwenden müssen, das da „scheinet in der Finsternis,“ dem Licht des Geistes, das den Gottes-Menschen offenbart, der weder sündigt noch leidet. So wollen wir denn „laufen durch Geduld in dem Kampf, der uns verordnet ist, und aufsehen auf Jesum, den Anfänger und Vollender des Glaubens; welcher, da er wohl hätte mögen Freude haben, erduldete er das Kreuz und achtete der Schande nicht und ist gesessen zur Rechten auf dem Stuhl Gottes.“

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