Wohl allenthalben in der Christenheit wie auch unter dem jüdischen Volk hat die Befreiung Jerusalems viele dazu veranlaßt, das sechsunddreißigste Kapitel im Propheten Hesekiel aufmerksam zu studieren. Die Verheißung, welche der Prophet in früheren Weissagungen indirekt zum Ausdruck brachte, wird hier direkt gegeben und verallgemeinert, von der Vollmachtsangabe begleitet: „So spricht der Herr.“ Sie lautet: „Und ich will euch ein neu Herz und einen neuen Geist in euch geben und will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischern Herz geben; ich will meinen Geist in euch geben und will solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln und meine Rechte halten und darnach tun.“
Es gehörte zu den Überlieferungen des Volkes Israel, daß Pharao und die Ägypter ihr Herz verhärtet und sich dadurch ins Verderben gestürzt hatten; aber trotz dieser Warnung verfielen die Israeliten von Generation zu Generation in Abgötterei und gehorchten dem Wort des Herrn ebensowenig wie die Ägypter. Diesem Zustand gilt das Wort aus den Sprüchen: „Wohl dem, der sich allewege fürchtet; wer aber sein Herz verhärtet, wird in Unglück fallen.“
Unser Meister hatte großes Mitleid und viel Geduld mit dem Unglauben und der Kaltherzigkeit seiner Nachfolger. Markus spricht von ihrem Erstaunen über seine Demonstration, als er auf dem Wasser wandelte und den Sturm stillte. Jesus kennzeichnete ihren unerweckten Zustand mit den Worten: „Denn sie waren nichts verständiger worden über den Broten, und ihr Herz war erstarret.“ Und als Jesus die Jünger vor dem Sauerteig der falschen Lehre warnte, legten sie seine Worte nach dem Buchstaben aus und sagten: „Das ist's, daß wir nicht Brot haben,“ worauf er antwortete: „Was bekümmert ihr euch doch, daß ihr nicht Brot habt? Vernehmet ihr noch nichts und seid noch nicht verständig? Habt ihr noch ein erstarret Herz in euch?“ Er fragte sie also in aller Freundlichkeit, warum das Geistige so wenig Eindruck auf sie mache und warum sie dem Prinzip so wenig Aufmerksamkeit schenkten — eine Sache, die er für so sehr wichtig hielt.
In folgender Stelle zitiert Paulus aus einem Psalm seines Volkes und schreibt dabei dessen Inspiration dem göttlichen Gemüt zu: „Wie der heilige Geist spricht: ‚Heute, so ihr hören werdet seine Stimme, so verstockt eure Herzen nicht‘ ... sondern ermahnet euch selbst alle Tage, solange es ‚heute‘ heißet, daß nicht jemand unter euch verstockt werde durch Betrug der Sünde.“ Das verhärtete Herz ist für geistige Einflüsse unempfänglich, weil die Sünde es betrogen hat. Das neue Herz hingegen bedeutet sicherlich ein Bewußtsein, welches die Einflüsse des heilenden und segnenden Geistes zum Ausdruck bringt, ein Bewußtsein, in welches kein Mesmerismus des Bösen eindringen kann. Es muß ein neues Verständnis vom eigentlichen Leben sein, durch welches die Verheißung in Wissenschaft und Gesundheit auf Seite 264 in Erfüllung geht: „Wenn wir uns vergegenwärtigen, daß Leben Geist ist, nie in, noch von der Materie, so wird sich dieses Verständnis zur Selbstvollendung erweitern und alles in Gott, dem Guten, finden und keines andern Bewußtseins bedürfen.“
Können wir für dieses neue Herz, das Gott gibt, einen besseren Namen finden als den Christus-Geist? Wenn wir durch ihn belebt worden sind, so werden wir gewahr, daß das Alte vergangen ist, und sehen eine Erneuerung wie der Sonnenaufgang über dem Tal, oder wie die Wirkung des Frühlings auf Wald und Flur, oder wie die Gesichte eines Propheten,— Einflüsse, die eine Welt erleuchten und sie durch Freude und frisches Leben und brüderliche Liebe bereichern. Ohne diese Segnungen — ach wie dunkel und kalt und haßerfüllt ist oft der Erfahrungskreis der Menschen! Mrs. Eddy spricht von sich selber als von einer Person, die sowohl das Alte wie das Neue kennt; aber sie ist der Offenbarer geworden, von dem alle Menschen auf Erden das Neue kennen lernen und sich dessen freuen können — des Sonnenaufgangs, des Frühlings und der Erleuchtung. In „Miscellaneous Writings“ (S. 178) sagt unsere Führerin: „Im Fleisch sind wir eine Scheidewand zwischen dem Alten und dem Neuen, zwischen der alten Religion, in welcher wir auferzogen sind, und dem neuen, lebendigen, unpersönlichen Christusgedanken, welcher der heutigen Welt zuteil geworden ist.“
Ist zur jetzigen Zeit ein neues Herz, eine neue Liebeswärme nicht wünschenswert? Wo sich Macht, Herrschaft und Gewalt im persönlichen Willen oder menschlichen Gemüt vereinigen, findet sich ein Herz von Stein, wie aus der Geschichte zu ersehen ist. Machiavelli ist nicht der einzige, der gelehrt hat, daß ein Fürst sich alles Mitleids entledigen müsse, und eine lange Reihe von Fürsten in Kirche und Staat haben diesem Prinzip gemäß gehandelt. Es ist gewiß an der Zeit, sich von Fürstenschutz und Menschenhilfe abzuwenden und auf das Prinzip, auf die göttliche Liebe zu vertrauen, welche die Einladung an die Menschheit ergehen läßt: „Wendet euch zu mir, so werdet ihr selig, aller Welt Enden.“
Paulus und Barnabas zitierten in folgendem die Verheißung hinsichtlich des Messias: „Ich habe dich den Heiden zum Licht gesetzt, daß du das Heil seiest bis an das Ende der Erde.“ Die Christliche Wissenschaft führt uns zur weiteren Erfüllung dieser Verheißung, denn sie lehrt, wie die Menschen allerwärts erleuchtet und erlöst werden und heute „ein neues Herz“ oder den Christus-Geist erlangen können. Die Verfasserin von Wissenschaft und Gesundheit entfaltet auf Seite 141 dieses Lehrbuchs die künftigen Möglichkeiten vor unser aller Augen: „Durch Heilen der Kranken und Sündigen arbeitete Jesus bis ins kleinste die Tatsache aus, daß die heilende Wirkung dem Verständnis des göttlichen Prinzips und des Christusgeistes folgt, welche den körperlichen Jesus regierten. Für dieses Prinzip gibt es keine Dynastie, kein kirchliches Monopol. Sein einziges gekröntes Haupt ist die unsterbliche Oberhoheit. Sein einziger Priester ist der vergeistigte Mensch. Die Bibel erklärt, daß alle Gläubigen werden zu ‚Königen und Priestern gemacht vor Gott‘.“
