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Geduld

Aus der August 1918-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


In der Christlichen Wissenschaft ist Geduld eine den Charakter bildende Kraft und nicht ein Zustand der Untätigkeit. Sie ist etwas Höheres als Warten, als Zufriedenheit, als Resignation. Sie verwandelt müßiges Warten in tätiges Warten, teilnahmlose Resignation in nützliche Tätigkeit. Müßiggang und Untätigkeit sind von Geduld ebenso verschieden wie ein Klumpen Erde von einem Bienenstock. Überall wo der Fleiß Früchte getragen hat, hat die Geduld mitgewirkt. Die Lehre, daß Tätigkeit eine Eigenschaft der Geduld ist, ist keineswegs absonderlich; denn fordert nicht Paulus uns auf, zu „laufen durch Geduld in dem Kampf, der uns verordnet ist“?

Wer oberflächlich urteilt, mag irrtümlicherweise Bewegung für Tätigkeit halten. Wenn dann Stillstand eintritt, wird ein solcher leicht ungeduldig und will etwas in Gang bringen, scheinbar ohne sich darum zu kümmern, ob sich die Dinge in der rechten Richtung bewegen oder nicht. Bloße Bewegung darf man nicht mit Fortschritt verwechseln. Mrs. Eddy sagt treffend: „Eifrig umherrennen ist kein Beweis, daß man viel vollbringt“ (Miscellaneous Writings, S. 230). Noch in jedem Fall, wo etwas von Wert durch Ungeduld zustande gekommen ist, wäre ein besseres Ergebnis durch Geduld erlangt worden. Ein Windstoß mag dem Bauern die Äpfel vom Baum schütteln; aber die Äpfel halten sich länger und sind mehr wert, wenn sie mit der Hand gepflückt werden.

Wir haben Warten so lange mit Geduld verbunden, daß diese beiden Begriffe beinahe gleichbedeutend geworden sind. Dies ist gewiß nachteilig, denn es hat Ungenauigkeit im Denken und im Ausdruck zur Folge. Warten ist keineswegs in höherem Maße ein Element von Geduld als von Ungeduld, denn man kann sowohl geduldig wie ungeduldig warten. Es ist leicht denkbar, daß Gott geduldig ist mit Seinen sündigen Kindern; glaubt man aber, Er halte inne und warte auf die Saumseligen, so bedeutet das, daß man seine Auffassung vom Prinzip auf eine Weise vermenschlicht, die nicht hilfreich und keineswegs berechtigt ist.

In der Natur finden wir unzählige Beispiele von Geduld. Die versiegelte Knospe auf dem nackten Zweig, der von den Winterstürmen hin und her geweht wird, klammert sich geduldig fest, bis die Frühlingswärme sie zum Sprießen bringt. Die Vögel kommen und gehen jedes Jahr nach der Uhr der Geduld. Ebbe und Flut wechseln mit einer Regelmäßigkeit, die unwandelbare Geduld versinnbildlicht. Saat- und Erntezeit kommt immer und immer wieder in ununterbrochener Ordnung und Folge. Alles was seinem Wesen nach aufbauend oder fortschrittlich ist oder einen veredelnden Zweck verfolgt, kann durch Geduld fruchtbarer und wirksamer gemacht werden. Wir wissen, ihr Wirken ist vortrefflich, und in der Schrift lesen wir, daß ihr Werk vollkommen ist.

Der Christliche Wissenschafter ist in keiner Weise berechtigt, die Geduld als etwas Negatives oder Geistloses zu betrachten. In ihren Werken spricht Mrs. Eddy öfters von Geduld, und zwar im Zusammenhang mit Liebe, Vergebung, festem Glauben und Zartgefühl, mit Verständnis, Ausdauer, Gehorsam, Kraft, Heiligkeit, Barmherzigkeit, Treue, Mut und Gnade. Kann Geduld in solcher Umgebung für weniger als bewundernswert gehalten werden? Und wenn sie der Bewunderung wert ist, dann ist sie es gewiß auch wert, von einem jeden gepflegt zu werden, der nach Vollkommenheit trachtet. Baut sich eine Demonstration auf diese Tugenden auf, so kann man gewiß sein, daß sie gut ist, und die Geduld ist ein Werkzeug, das wir bei solchem Bauen sehr oft gebrauchen müssen. Verzögert sich aber eine Demonstration, so liegt dies möglicherweise daran, daß der Baumeister sich zu oft des falschen Werkzeuges bedient. Ungeduld baut nicht auf, sie ist ein Hemmnis. Es ist somit klar, daß eine christlich-wissenschaftliche Behandlung umso wirksamer wird, je mehr man Geduld beweist. Wir sind dann weniger geneigt zu bestimmen, wie das erwartete Gute zum Ausdruck kommen, welche Gestalt es annehmen und was es vollbringen soll. Dies sind Dinge, die dem Prinzip überlassen werden müssen, das „alles wohl tut.“ Es genügt, zu wissen, daß Gottes Weg immer recht ist und daß es in der Christlichen Wissenschaft keinen anderen Weg gibt. Wie dürfen wir uns also unterstehen, diesen Weg selber zu bestimmen?

Im Reich des unendlichen Gemüts und seiner unendlichen Offenbarwerdung, wo Verwirklichung an Stelle der Erwartung tritt, sind die Annahmen von Zeit, Raum, Ort, von allem Vergänglichen unbekannt. Geduld ist da nicht mehr nötig, denn sie hat ihr Werk schon getan. Ihr Wirkungskreis ist auf der menschlichen Daseinsstufe, im Reich des Scheinbaren. Sie wirkt da, wo Zeit und Örtlichkeit Annahmen sind, mit denen die Sterblichen rechnen müssen. Aber in dem Verhältnis, wie wir durch Geduld ein besseres Verständnis vom Prinzip erlangen, nehmen diese Annahmen den ihnen gehörenden Platz ein: sie werden zu Dienern, die zu unserer Verfügung stehen, sie sind nicht mehr die Meister, die uns beherrschen. Dann ist die richtige Zeit, etwas zu tun, stets im Überfluß vorhanden, und der richtige Ort ist weder verloren gegangen noch verborgen.

Dem Schüler der Christlichen Wissenschaft, der Geduld weise und wohl anwendet, offenbart sich eine neue Auffassung von Gehorsam. Er erkennt, daß Gehorsam und Unabhängigkeit vereinbar und miteinander verbunden sind; denn wer den hohen Bestimmungen des Prinzips gehorcht, läßt sich weder von dem lauten Geschrei noch von den Einflüsterungen des Irrtums beeinflussen. Solch geduldiger Gehorsam gegen die Wahrheit bringt ihm auch die Macht und die Kraft, die des Menschen göttliches Erbe ist, das Erbe, um welches ihn der Irrtum beständig zu betrügen sucht. Durch diesen Gehorsam wird er befähigt, die feste Steinmauer zu beseitigen, die ihm den Weg zum Fortschritt zu versperren scheint. Er lernt sie auf die beste Art aus dem Wege zu schaffen, und zwar nicht, indem er sie niederreißt oder sprengt, sondern indem er sie mit jenem Mittel auflöst, das universal in seiner Anwendbarkeit und unbegrenzt in seiner Wirksamkeit ist. Dann wird er Mrs. Eddys inspirierter Aufforderung Folge leisten (Wissenschaft und Gesundheit, S. 242): „Laßt uns in geduldigem Gehorsam gegen einen geduldigen Gott daran arbeiten, daß wir mit dem universalen Lösungsmittel der Liebe das harte Gestein des Irrtums — Eigenwillen, Selbstgerechtigkeit und Eigenliebe — auflösen, welches gegen die Geistigkeit ankämpft und das Gesetz der Sünde und des Todes ist.“

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