In unseren Kirchensatzungen lautet die erste Bestimmung über das Lehren in unseren Sonntagsschulen: „Die Kinder in der Sonntagsschule sollen in der Schrift unterwiesen werden“ (Handbuch, Art. XX, Abschn. 2). Da nun der Zweck aller Erziehung der ist, zu entwickeln, nicht zu belehren, herauszulocken, nicht einzutrichtern, mit anderen Worten, das geistige Leben des Kindes zu nähren: wie sollen wir dann die Schrift lehren und was sollen wir lehren? Menschliche Kenntnis heilt nicht, wohl aber göttliche Weisheit. In „Miscellaneous Writings“ (S. 170) wird ein Auszug aus einer Predigt von Mrs. Eddy wiedergegeben, worin sie sagt: „Die materiellen Aufzeichnungen der Bibel. .. sind für unsere Wohlfahrt ebensowenig von Wichtigkeit wie die Geschichte Europas und Amerikas; aber die geistige Anwendung hat Bezug auf unser ewiges Leben.“
Einer der Absichten, die aller religiösen Unterweisung zugrunde liegen, ist die, dem Kinde eine ehrfurchtsvolle, religiöse Haltung dem Leben gegenüber beizubringen. Ein Mittel, in dem Kinde Ehrfurcht und Bewunderung zu pflegen, besteht in der Anregung, die ihm das Leben der biblischen Helden gibt. Carlyle sagt: „Verehrung ist erhabene Bewunderung.“ Und wer hat je in die verwundert emporblickenden Augen eines Kindes geschaut, ohne dann demütig um Kraft und fromme Hingabe zu bitten, damit er diese Lämmer weiden könne? In den Sonntagsschulen der Christlichen Wissenschaft werden alle Schüler, die älteren sowohl wie die jüngeren, in der Heiligen Schrift unterwiesen, wobei man mit den „ersten Lektionen“ anfängt, welche der Vorschrift gemäß aus den zehn Geboten, dem Gebet des Herrn mit dessen geistiger Auslegung, auf Seite 16 von „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ beginnend, und den Seligpreisungen bestehen. Diese Lektionen bereiten alle Schüler auf das Studium der Lektions- Predigten vor, mit dem angefangen wird, sobald die Schüler sie verstehen und im täglichen Leben zur Ausarbeitung ihrer Probleme anwenden können.
In den Sonntagsschulen anderer Kirchen werden die jüngeren Klassen zum großen Teil nach den in den Kindergärten angewandten Methoden unterrichtet, wo Kreide, Bilder und Gesang zur Anwendung kommen. Wenn wir uns auch nicht dieser Anziehungsmittel bedienen, so müssen wir doch geistig wach sein, damit es uns gelinge, die Wahrheit lebendig und ansprechend darzulegen. Wir müssen uns vergegenwärtigen, daß die Kinder die Wahrheit lieben und sich die Wahrheit um der Wahrheit willen aneignen wollen. Dabei sind wir insofern im Vorteil, als wir wissen, daß wir unsere Aussagen beweisen können, daß wir eine demonstrierbare Religion lehren. Sodann müssen wir die Sonntagsschule als einen wichtigen Teil der Kirche erkennen, von welcher Mrs. Eddy in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ sagt (S. 583): „Die Kirche ist diejenige Einrichtung, die den Beweis ihrer Nützlichkeit erbringt, und die das Menschengeschlecht hebt, das schlafende Verständnis aus materiellen Annahmen zum Erfassen geistiger Ideen und zur Demonstration der göttlichen Wissenschaft erweckt und dadurch Teufel oder Irrtum austreibt und die Kranken heilt.“
Wie ganz anders sehen wir die Gestalten in der Bibel, wenn wir sie aus dem Bereich des Kirchentums nehmen, wo sie von dem Nebel längst vergangener Jahre umgeben sind, und sie mit neuer Teilnahme und als wirkliche geistige Wesen betrachten. Was die jüdische Religion im Alten Testament hauptsächlich von anderen Religionen unterschied, war erstens ihr Monotheismus, und zweitens der Umstand, daß sie beständig Religion und Ethik, Lehre und Ausübung miteinander verband. Dies ist der goldene Faden, der sich durch die ganze Heilige Schrift hindurchzieht, der dem Leben der Propheten und Seher Bedeutung gab, und der, nachdem er eine Zeitlang vom Priestertum verdeckt worden war, in dem Christentum des Neuen Testaments wieder deutlicher zum Vorschein kommt. Jesus nannte ihn die Erfüllung des Gesetzes durch die Liebe zu Gott und zum Menschen.
Methoden sind ebenso verschieden wie Individualitäten, aber der Zweck, der all diesen Methoden zugrunde liegt, ist der gleiche, nämlich, dem Kinde Achtung vor der Heiligen Schrift, Liebe zu ihr und das Verständnis von ihr beizubringen, so daß es, mit diesem Verständnis bewaffnet, sterblichen Vorstellungen entgegentreten und sie überwinden kann. Der Plan, die Heilige Schrift vom Standpunkte des Gesetzes aus zu betrachten, hat sich für Schüler und Lehrer als sehr erfolgreich erwiesen. Wenn man die zehn Gebote studiert, so schließt das die Betrachtung der Kinder Israel und ihrer Reise in das verheißene Land in sich. Der Grundton dieser Geschichte ist strenger Gehorsam gegen das Gesetz mit nachfolgender Strafe für den Ungehorsam. Diese Betrachtungen schließen die Geschichte von Moses ein, und sie verlangen, daß man in Übereinstimmung mit der Lektion des Tages den Geschichten von Abraham, Isaak und Joseph Beachtung schenke — jener einfachen, starken Charaktere, die den einen Gott gefunden hatten und Ihn verehrten. Daniel, David und Elias, welche auftraten, nachdem die Israeliten das Gesetz bereits erhalten hatten, zeigen uns, was der Mensch ausrichten kann, wenn er dem göttlichen Gesetz gehorsam ist.
Verschiedene hervorragende Geschichtenschreiber haben behauptet, ein Kind brauche die umfassende Kenntnis, die in den Märchen und Geschichten der verschiedenen Völlker enthalten sei, und wenn man nur die Helden der Bibel betrachte, so bleibe der Gesichtskreis beschränkt. Eltern und Lehrer sollten jedoch bedenken, daß es in der Geschichte des Erziehungswesens noch nie eine Zeit gegeben hat, in der dem Kind so viel Gelegenheit gegeben wurde, in den Schulen und aus Zeitschriften sich eine Kentnis der Weltliteratur anzueignen, wie in unseren Tagen. Die Helden der Bibel bewiesen einen unerschütterlichen Gehorsam gegen den einen Gott, und es ziemt sich uns daher, dies den Kindern in der Schule und im Heim einzuprägen, so daß der Gehorsam gegen das Gesetz als der goldene Faden erkannt werde, der das Leben aller großen Menschen verbindet.
Wenn wir die geistige Bedeutung der Heiligen Schrift ernstlich suchen und in unserer Betrachtung des Alten Testaments die zehn Gebote als den Hauptgegenstand ansehen, so gehen unsere Lektionen von Sonntag zu Sonntag weiter, und es gelingt uns, die Aufmerksamkeit der Kinder zu fesseln. Indem wir das Gesetz zur Basis machen, wird es uns möglich, das Gesetz mit dem Evangelium, das Alte Testament mit dem Neuen Testament, die Lehren Mose mit den Lehren Jesu zu verbinden. Obwohl uns das Gebot, daß wir unseren Nächsten lieben sollen, von Moses ausdrücklich vorgeschrieben wird (3. Mose 19, 18), so war es doch Jesus, der uns das Evangelium der Humanität gab und der liebevoll darauf bestand, daß Liebe gegen Gott durch Liebe gegen die Menschen zum Ausdruck kommen muß. Sodann bietet uns die Betrachtung der Seligpreisungen und des Gebets des Herrn Gelegenheit, Jesu Gleichnisse und seine Demonstrationen des Heilens zu lehren. Sein Leben kann mit den alttestamentlichen Prophezeiungen, welche das Sehnen des Herzens nach einem Wegweiser ausdrückten, in Verbindung gebracht werden.
Die Gelegenheiten, die Seligpreisungen zu veranschaulichen, sind unbegrenzt, wenn wir die Tatsache vor Augen haben, daß diese Seligpreisungen aufwärtsführende Studen in der Entfaltung des wahren Bewußtseins des Menschen sind, und wenn wir sie mit dem Formenwesen und den Kirchenbräuchen der Pharisäer vergleichen. Eine Phase dieser Kirchenbräuche, nämlich das Tragen eines Stirnblatts, ist interessant. Es war dies ein Brauch, der ursprünglich den Zweck hatte, die Kinder Israel an das Gesetz zu erinnern. Mit der Zeit aber gewann er eine ganz andere Bedeutung und wurde daher von Jesus streng getadelt. In der Geschichte vom barmherzigen Samariter versäumten der Priester und der Levit, die beide mit einem solchen Stirnblatt geschmückt waren, ihre Pflicht gegen ihren Nächsten; der schlichte Samariter hingegen erfüllte das Gesetz durch sein Werk der Liebe.
Eine weitere gute Eigenschaft, die uns die biblischen Geschichten vor Augen führen, ist der Mut, mit dem Propheten und Apostel einer materiellen Welt entgegentraten. Unsere Kinder haben den anregenden Einfluß solcher Beispiele des Heldenmutes nötig, denn gar oft stehen die Schüler der christlich-wissenschaftlichen Sonntagsschulen in der Alltagsschule mehr oder weniger allein da, und das sterbliche Gemüt führt sie oft in Versuchung, ihren Glauben nicht vor allen Menschen zu bekennen. Das Herz eines Kindes ist sehr empfindsam, das Kind will nicht gerne abseits seiner Kameraden gestellt werden; deshalb hat es die Geschichte von Daniel nötig, der als Gefangener in einem fremden Lande dreimal täglich zu dem Gott seiner Väter betete, und der sich nicht scheute, Hülsenfrüchte zu essen anstatt der Leckerbissen an des Königs Tafel; oder die Geschichte von David, der sich trotz der höhnischen Bemerkungen seiner Brüder nicht fürchtete, dem Philister entgegenzutreten und ihn zu bekämpfen. Das Kind muß mit Enoch bekannt werden, der ein göttliches Leben führte und mit Paulus, dem furchtlosen, mutigen Helden, der in seinem düsteren Gefängnis Loblieder sang, und mit der Liebe und Hingabe des Stephanus, der für seine Verfolger betete.
Während wir das in der Bibel enthaltene geistige Gesetz lehren, können wir die Kinder dazu anleiten, wie Josua vor alters, das Land einzunehmen. Und die Wahrheit verlangt auch heute noch von ihnen, wie von Jousa, getrost und unverzagt zu sein. Das gelobte Land breitet sich lieblich und einladend vor ihnen aus; aber es bleibt ihnen nicht erspart, ihren Jordan zu kreuzen und die Städte eine nach der anderen einzunehmen. Wie Kaleb vor alters dürfen wir ihnen die Versicherung geben: „Wir mögen es überwältigen;“ und wir helfen ihnen gewiß, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß es keine mentale Unempfindlichkeit oder Gleichgültigkeit gegen geistige Dinge gibt. Wir können nichts weiter tun als den Samen säen, die nötige Nahrung geben und beten; das übrige liegt in Gottes Hand. Für ein jedes dieser Kleinen wird die Zeit des Erwachens kommen.