Skip to main content Skip to search Skip to header Skip to footer

Die Sanftmütigen werden das Erdreich besitzen

Aus der September 1918-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Fast alle, die in einer religiösen Umgebung aufgewachsen sind, lernen bald nach ihrem Bekanntwerden mit der Christlichen Wissenschaft einsehen, daß sie sich ohne bewußte Heuchelei daran gewöhnt hatten, manche Behauptungen als wahr anzunehmen, über die sie niemals ernstlich nachgedacht hatten. Die Christliche Wissenschaft zwingt solche Menschen, ihren eigenen Standpunkt zu prüfen. Sie beweist ihnen, daß den Christen von heute nur ein Mangel an Glauben oder geistigem Verständnis daran hindert, dieselben Taten zu vollbringen, die man allgemein als Wunder bezeichnet und von denen die Bibel berichtet. Wer diesen Standpunkt erreicht hat, wird mit neuer Sorgfalt die Worte des Herrn prüfen.

In den Seligpreisungen lesen wir: „Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.“ Wer diesen Ausspruch in oben angedeuteter Weise prüft, wird sich sagen müssen, daß er all seinen bisherigen Erfahrungen direkt entgegengesetzt ist. Energie, Unternehmungsgeist, Gewandtheit, Zähigkeit, zuweilen wohl auch Ehrlichkeit verschaffen den Menschen angesehene Stellungen in dieser Welt; aber wem wäre Sanftmut als wesentlich zu wahrem Erfolg erschienen? Und dennoch sind die Worte unseres großen Wegweisers nicht nur religiöse Grundsätze, sondern absolut wissenschaftliche Wahrheiten, ebenso absolut wie die Behauptung, daß drei mal drei neun ist. Hieraus kann man deutlich ersehen, wie wenig der Durchschnittsmensch versteht, was Jesus mit dem Worte meinte, das als „Sanftmut“ übersetzt worden ist. Ja die meisten Menschen stoßen sich an diesem Worte. Jeder bewundert Mut, und fast alle schätzen die Wahrheit; aber am Altar der Sanftmut findet man nur wenige Verehrer. Für die große Mehrheit ist sie gar nicht vorhanden.

Im vierten Buch Mose K. 12 finden wir folgende Worte: „Aber Moses war ein sehr sanftmütiger Mann vor allen Menschen aus auf Erden“ (Zürcher Bibel). Worin bestand nun seine Sanftmut? Zweifellos ist Moses eine der hervorragendsten Gestalten des Alten Testamentes. Wir kennen alle die äußeren Umstände seines Lebens. Als Adoptivsohn der Tochter Pharaos erhielt er die beste Erziehung, die der gelehrteste Hof der alten Welt bieten konnte, und ohne Zweifel nützte er diese Vorteile zum besten aus. Aber als er vierzig Jahre alt war, mußte er aus dem Lande fliehen, weil er einen Ägypter, der einen Israeliten mißhandelte, getötet hatte. Hiermit schien es, als sei seine Laufbahn gänzlich zerstört und jede Gelegenheit, seinem bedrängten Volke zu helfen, für immer entschwunden. Die folgenden vierzig Jahre lebte er bei Jethro und hütete dessen Schafe auf einsamer Weide. Die Bibel berichtet uns nichts über die mentalen Kämpfe, welche in seinem Inneren während jener endlosen, äußerlich so eintönigen Jahre stattgefunden haben müssen. Aber wir können uns einigermaßen den Zweispalt zwischen seinen patriotischen Gefühlen und seinem Glauben an die Zukunft seiner Rasse vorstellen, bis sich dann, als die Zeit erfüllet war, das wunderbare Erlebnis mit dem brennenden Busch zutrug.

Nun vernahm er den Ruf der Wahrheit: „So gehe nun hin, ich will dich zu Pharao senden, daß du mein Volk, die Kinder Israel, aus Ägypten führest.“ Moses aber erwiderte: „Wer bin ich, daß ich zu Pharao gehe, und führe die Kinder Israel aus Ägypten?“ Vierzig Jahre zuvor waren alle seine Versuche, seinem Volke zu helfen, vollkommen gescheitert. Konnte er jetzt mit achtzig Jahren diese überwältigende Aufgabe ausführen? Er ersann eine Ausrede nach der anderen, bis er endlich, wie uns erzählt wird, des Herrn Zorn erregte, worauf er seinen Widerstand aufgab und dem Befehl Gottes gehorchte. Was verstehen wir hier unter dem Zorn des Herrn, und was bewirkte er?

Jeder Schüler der Christlichen Wissenschaft hat während seiner Wanderschaft auf dem Wege vom Sinn zur Seele, wo die Heiligen und Weisen der Bibel vor ihm gewandert sind, ähnliche Erfahrungen gehabt wie vor alters jene Pilger. So können auch wir in unseren Tagen den Zorn des Herrn wie einen Blitz durch die Dunkelheit zucken und zum Segen der Menschheit die Sünde, aber nicht den wahren Menschen, vernichten sehen, gerade so wie er in Moses die Feigheit zerstörte, die sich Demut nannte. Hierdurch erhob sich der gelehrte Schäfer in das Reich der wahren Sanftmut, in welchem es kein falsches Selbstbewußtsein gibt, und er sah sich nur noch als den Boten der Allmacht Gottes. Mrs. Eddy sagt in ihrem Werke „Miscellaneous Writings“ auf Seite 183: „Der Mensch ist Gottes Bild und Gleichnis, und was bei Gott möglich ist, ist auch dem Menschen als Wiederspiegelung Gottes möglich.“

Bekanntlich werden dieselben Chemikalien, die man früher zum Färben benützte, gegenwärtig zu Explosivstoffen verwendet. Diese seltsame menschliche Annahme kann dazu dienen, den Unterschied zwischen wahrer Demut und jener falschen Eigenschaft, die irrtümlicherweise als solche bezeichnet wird, zu veranschaulichen. Wahre Demut ist weder ein Schönheitsmittel noch ein Farbstoff zum Übertünchen oder Verkleiden der eigenen Persönlichkeit; wahre Sanftmut ist ein Explosivstoff. Richtig angewandt sprengt sie jedes falsche Selbstbewußtsein, und siehe da, der also Aufgerüttelte fängt an, des Menschen wahre Individualität zu erkennen, und er erblickt etwas von dem, was im Reich des Gemüts tatsächlich vor sich geht. Solange sich der Mensch an ein falsches persönliches Selbstbewußtsein klammert, wird er offenbar ebensowenig aufrichtig um Demut bitten, wie ein Holzhauer absichtlich den Ast absägen wird, auf welchem er sitzt. Wir müssen genügend Glauben haben, um uns vollkommen Gott anvertrauen zu können, ehe wir es wagen, uns in unbekannte Wasser zu stürzen. Gleich den Matrosen, die den Columbus auf seiner ersten Entdeckungsreise begleiteten, scheuen wir vor dem Unbekannten zurück und finden es leichter, an Schwierigkeiten und Gefahren als an das Gute, welches wir noch nicht kennen, zu glauben. Warum fürchten wir uns denn? Darum, weil wir unser eigenes unsterbliches Wesen und das Wesen des Unendlichen noch nicht genügend verstehen. Gott ist Liebe; Gott ist Alles, und um uns her liegt unbegrenztes Gute. Mehr brauchen wir nicht zu wissen. Vor alters sang der Psalmist: „Wo soll ich hin gehen vor deinem Geist, und wo soll ich hin fliehen vor deinem Angesicht? ... Bettete ich mir in die Hölle, siehe, so bist du auch da.“ Die Liebe ist immer gegenwärtig, und die einzige Hölle, die es gibt und je geben wird, ist jene, die wir uns selbst durch Unkenntnis dieser fundamentalen Wahrheit bereiten.

Alle Sorgen, welche einen Menschen bedrücken, hängen sich ihm durch seine Vorstellung an, daß er ein physischer oder tierischer Organismus oder ein Wesen voller Gelüste, vager Meinungen und Gefühle sei. Ständiges Gebet, Demut und das Bestreben, nur vom göttlichen Standpunkte aus zu denken, bringen den Menschen allmählich dazu, seine Individualität aus der Sphäre zu lösen oder zu entfernen, in welcher das Böse scheinbar wirkt; und infolgedessen kann ihn das Böse nicht erreichen. Auf des Menschen Annahme, daß er sterblich sei, beruht aller Irrtum. Hätte sich Moses für materiell gehalten, so wäre er während der vierzig Tage, die er ohne Speise und Trank auf dem Berge verbrachte, sicher verhungert. Hätte er sich als eine Person angesehen, so hätte er nicht bis zu seinem hundertundzwanzigsten Lebensjahre ein ungetrübtes Auge und unverzehrte Kraft bewahrt.

Mrs. Eddy verbindet an vier Stellen „Sanftmut und Macht.“ Möchten wir alle danach streben, auf den mächtigen Schwingen der Sanftmut emporzusteigen, bis wir die Zufluchtsstätte auf der Höhe erreichen, die, wie Hiob sagt, „kein Adler erkannt hat und kein Geiersauge gesehen.“

Wenn Sie mehr Inhalte wie diese erforschen möchten, können Sie sich für wöchentliche Herold-Nachrichten anmelden. Sie erhalten Artikel, Audioaufnahmen und Ankündigungen direkt per WhatsApp oder E-Mail. 

Anmelden

Mehr aus dieser Ausgabe / September 1918

  

Die Mission des Herolds

„... die allumfassende Wirksamkeit und Verfügbarkeit der Wahrheit zu verkünden ...“

                                                                                                                            Mary Baker Eddy

Nähere Informationen über den Herold und seine Mission.