Das Wort Diener wird definiert als „ein Angestellter, der die Anordnungen eines Vorgesetzten zu befolgen hat.“ Wenn also Paulus an die Römer schreibt, sie seien „von der Sünde frei und Gottes Knechte worden,“ so war wohl die metaphysische Bedeutung seiner Worte die, daß ein also freier Mensch der Diener des Prinzips sei. Tatsächlich ist jeder Mensch der Diener dessen, dem er gehorcht, wie es uns der Apostel klar macht. Gehorcht er der Sünde, so ist er der Sünde Knecht; und wenn dieser Dienst fortdauert, so endet er im Tode, „denn der Tod ist der Sünde Sold.“ Andererseits befreit der Gehorsam gegen das Prinzip den Menschen von der Herrschaft der Sünde, wie er denn auch selber durch Gerechtigkeit zum Ausdruck kommt. „Denn nun ihr frei worden seid von der Sünde, seid ihr Knechte worden der Gerechtigkeit.“ Paulus führt den Vergleich weiter, indem er die Römer ermahnt, jetzt ihre Glieder, die bisher der Sünde gedient hatten, dem Dienste der Gerechtigkeit zu weihen und dadurch Heiligkeit und Gottseligkeit zu beweisen.
In unseren Tagen sollte sich ein jeder die Frage vorlegen: Was hat Macht über dich? Wem willst du gehorchen? Die Frage ist deshalb gerade jetzt angebracht, weil „ein Streit im Himmel“ stattfindet, in welchem alles, was dem Prinzip unbedingt gehorcht, von allem angegriffen wird, was unbekümmert um das Prinzip nach einem Reich, nach Macht und Herrschaft trachtet. Kein Reich wie das des sterblichen Gemüts, kein solches Haus, das „mit ihm selbst uneins“ ist, kann bestehen. Aber trotzdem das Ende des menschlichen Ehrgeizes der Tod ist anstatt vollgültige Rechtfertigung, so regt sich doch das ungöttliche Streben nach Macht, führt ein Volk nach dem anderen irre und quält die Welt. „Wir wollen leben, solange wir leben“— diese Worte bilden das Motto derer, die ihre Sinnlichkeit wenigstens auf kurze Zeit befriedigen wollen. Mrs. Eddy sagt hierüber (Miscellaneous Writings, S. 36): „Gelüste, Leidenschaften, Zorn, Rache, Schlauheit sind die tierischen Eigenschaften der sündhaften Sterblichen.“ Reue über die Sünde und Buße würde die Menschen aus diesen Zuständen erretten; statt aber dem Rufe Gottes zu folgen, herrscht sehr oft, wie Jesaja es ausdrückt, „eitel Freude und Wonne, Ochsen würgen, Schafe schlachten, Fleisch essen, Wein trinken, [und sprecht]:, Laßt uns essen und trinken; wir sterben doch morgen!‘“
Der reiche Mann, dessen Land so fruchtbar war, daß er größere Scheunen bauen und sich dann in den Ruhestand setzen wollte, war wahrscheinlich ein guter Arbeiter, der sich jahrelang abgemüht hatte, um diesen Überfluß zu erlangen. Man könnte ihn wohl einen ehrlichen Materialisten nennen. Der Materialist ist jedoch von jeher der Versuchung ausgesetzt gewesen, unehrlich zu sein, die Erde als das Revier zur Befriedigung seiner tierischen Triebe zu betrachten, und andere zu berauben, um „einen großen Vorrat auf viel Jahre“ zu haben und dann essen, trinken und fröhlich sein zu können. Wir leben in einer Stunde, in der wir folgende, vor alters in bezug auf diese falsche Vorstellung geäußerten Worte verstehen können: „Denn gleichwie ein. Vogel, der sich über Eier setzt und brüter sie nicht aus, also ist der, so unrecht Gut sammelt; denn er muß davon, wenn er's am wenigsten achtet, und muß doch zuletzt Spott dazu haben.“
Das Streben, mit Gewalt unverdiente Vorteile und Güter zu erlangen, bedeutet Unwillen über Gottes Ermahnung zum Gehorsam und zur Heiligkeit, ja es offenbart geradezu einen Groll gegen das Prinzip selber. Der ehrgeizig strebende Mensch findet es zu langsam, etwas rechtmäßig zu erlangen, denn er denkt sich das Leben als eine nur kurze Spanne. Die Entdeckerin der Christlichen Wissenschaft rügt diese falsche Vorstellung mit folgenden Worten (Miscellaneous Writings, S. 277): „Ich kann nicht anders als den Rausch, der durch Sinnlichkeit bewirkt wird, zu verabscheuen. Ich rüge ihn überall, wo ich ihn sehe. Die Gesichte in der Offenbarung sind mir vor Augen. Die Weine der Hurerei, des Neides und des Hasses sind die distillierten Spirituosen des Bösen, sie sind Zeichen unserer Zeit. Ich bin jedoch ohne Furcht, und mein Friede wendet sich wieder zu mir.“ Und im weiteren sagt sie: „Die Liebe zu Gott und nicht die Furcht vor dem Bösen ist der Antrieb in der Wissenschaft.“ Hier haben wir sicherlich sowohl den Antrieb zur Unterdrückung tierischer Neigungen wie die Inspiration, die wir nötig haben, um Diener Gottes zu werden. Wie herrlich wird dieser Dienst mit folgenden Worten aus „Unity of Good“ beschrieben (S. 3): „Nun ist gerade dieser Gott unser Helfer. Er bemitleidet uns. Er erbarmt sich unser und lenkt jedes Ereignis unseres Lebens. Er ist allen nahe, die Ihn verehren. Ihn zu verstehen, ohne im geringsten von unseren sterblichen Vorstellungen von Sünde, Krankheit und Tod befleckt zu sein, bedeutet, daß man sich Ihm naht und Ihm gleich wird.“
Im eigentlichen Sinne gehorchen wir dem Gegenstand unserer Liebe. Daneben gibt es aber einen Gehorsam, der dem gezollt wird, was man fürchtet. Ein unerleuchteter Mensch mag die Sünde lieben und dabei nicht beten wollen: „Führe uns nicht in Versuchung.“ Vielmehr öffnet er dem Versucher die Tür und zeigt sich zu allem bereit, was die genußmüden Sinne anregt und berauscht. Und doch macht oft ein solcher bei gewissen Gelegenheiten religiöse Zeremonien, ja wohl auch Bußübungen mit oder leistet große Geldbeiträge. Alles ist in solchem Falle falsch gewendet. Er fürchtet das, was er lieben sollte, und liebt das, was er vermeiden sollte. In einem solchen Gemütszustand ist keine mentale Gesundheit zu finden. Jesus beschreibt den Weg in höchst einfacher Weise, wenn er das erste Gebot wie folgt erläutert: „Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist ein einiger Gott; und du sollst Gott, deinen Herrn, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüte und von allen deinen Kräften.“ Dies muß naturgemäß von der Liebe gegen den Menschen begleitet sein.
Wenn wir Gott lieben, dann dienen wir nur dem Guten und sind keines Menschen Knechte, auch haben Krankheit, Furcht und falsche Vorstellungen keine Gewalt über uns. Die Menschen halten Gottergebenheit für Beschränkung; aber es ist eine geistige Tatsache, daß Gottergebenheit und Freiheit Hand in Hand gehen. Freiheit und Heiligkeit sind notwendigerweise verbunden, und „Freude die Fülle“ begleitet stets den Gehorsam gegen Gott. Welcher Art ist der Phoenix, der aus der Asche des gegenwärtigen Weltbrandes erstehen wird? Die Menschen erwarten eine neue Ordnung der Dinge, und so manche sind der Zuversicht, daß dieselbe in einem allgemeinen Ausdruck des Gehorsams gegen den einen Meister bestehen wird, der da sagte: „Das ist mein Gebot, daß ihr euch untereinander liebet, gleichwie ich euch liebe.“ Sein Leben war die Veranschaulichung des Gehorsams. Was kann die neue Religion, von der die Menschen flüstern und die sie erwarten, anders sein als die Betätigung des Christentums, wie die Christliche Wissenschaft sie uns lehrt?