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Wenn man sich selber bedauert

Aus der September 1918-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Einer der schlauesten Feinde des wissenschaftlichen und harmonischen Fortschritts ist jene Art des sterblichen Denkens, die unter Christlichen Wissenschaftern als Selbstbedauern bekannt ist. Mrs. Eddy hebt in ihren Schriften sehr oft die Tatsache hervor, daß man die Wahrheit über irgendeine Bekundung der Materialität durch Umkehrung feststellen kann, weil ja eine Lüge nichts anderes ist als eine Verdrehung der Wahrheit. Wir tun wohl daran, diesen Umkehrungsprozeß auf unseren inneren Zustand des Selbstbedauerns in Anwendung zu bringen, denn in diesem Zustand hat sich ein jeder von uns schon irgendeinmal befunden.

Das Wort Mitleid oder Bedauern bedeutet gewöhnlich eine liebevolle Teilnahme an den Schwierigkeiten anderer, von dem Wunsch begleitet, ihnen zu helfen. Das Wort Erbarmen drückt den gleichen Gedanken etwas bestimmter aus. Sollte jemand im Zweifel sein über den Wert dieser göttlichen Gedankeneigenschaft, der nehme das Neue Testament zur Hand und lese, wie der Meister sich fortwährend derer erbarmte, die in den Bereich seiner liebevollen Tätigkeit kamen. Erbarmen ist somit vor allem eine Eigenschaft des göttlichen Gemüts, die, wenn sie menschlich widergespiegelt wird, die Anwendung des göttlichen Prinzips, der Liebe, in menschlichen Angelegenheiten bedeutet. Es ist klar, daß wir das, was eine Umkehrung des vollkommenen Gemüts ist, nicht umzukehren brauchen, und wir richten daher unsere Aufmerksamkeit auf das Wörtchen „selbst,“ welches eine Umkehrung obengenannter gottähnlicher Eigenschaft bildet. Die Christliche Wissenschaft hat viel dazu beigetragen, dieses Wort aus dem Vokabularium ihrer Schüler zu entfernen. Auf der allerersten Seite von Wissenschaft und Gesundheit nennt Mrs. Eddy die „selbstlose Liebe“ als eins von den drei Haupterfordernissen des wirksamen Gebetes — des Gebetes, „das die Sünder unwandelt und die Kranken heilt.“

Wenn wir daher die Eigenschaft oder die Gewohnheit des „Selbstbedauerns“ umkehren, so haben wir die wissenschaftliche Idee der selbstlosen Liebe — jenes innige Mitleid mit dem Elend der Menschen, jenes Erbarmen, das keine Selbstsucht kennt und das sich bei treuer und andächtiger Anwendung als ein vollkommenes Mittel gegen Eigenliebe erweist. Bloßes menschliches Mitleid, das nicht von göttlichem Erbarmen durchdrungen ist, schwächt und erstickt unter Umständen seinen Gegenstand. Es ist gewiß rührend, wenn man liest, wie selbst der Meister am Grabe des Lazarus weinte; aber das Bild von einen weinenden Jesus hat die Welt so sehr gefesselt, daß sie fast vergessen hat, wie weit der Meister über den menschlichen Begriff von Kummer erhaben gewesen sein muß, als er am Grabe stand und dem Toten gebot herauszukommen. Die herkömmliche Theologie hat sich so sehr in die Qualen im Garten Gethsemane vertieft, daß sie die Bedeutung des Triumphs am Ostermorgen beinahe vergessen hat.

Wir werden ermahnt, uns mit den Fröhlichen zu freuen und mit den Weinenden zu weinen. Dieses Weinen hilft aber unseren Mitmenschen sehr wenig, es sei denn, wir geben ihnen das, was ihre Trauer in Freude verwandelt, und ermöglichen es ihnen, „schöne Kleider für einen betrübten Geist“ anzutun. Wahres Erbarmen kann nur das menschliche Vorspiel zum göttlichen Handeln sein. Mitleid ist etwas, was man dem wahren Menschen nie entgegenzubringen braucht, denn der Mensch als das Ebenbild Gottes hat es nicht nötig. Als Christliche Wissenschafter dürfen wir uns daher nur darum bedauern, daß wir so wenig von der uns dargebotenen Wahrheit erfaßt und angewandt haben, und der einzig wirksame Ausdruck des Mitleids mit uns selbst und anderen besteht darin, daß wir die Wahrheit betätigen.

Es ist uns oft sehr gewinnbringend, genau zu prüfen, in welcher Weise wir unsere sogenannten menschlichen, persönlichen Probleme in Angriff nehmen. Selbst wenn wir uns zu Beginn des Tages krank, oder nervös, oder reizbar fühlen, so handeln wir doch nicht weise, wenn wir unsere mentale Arbeit par force tun. Wir dürfen nicht vergessen, daß es unmöglich ist, den Verlauf einer Demonstration im voraus zu bestimmen, oder einen unharmonischen Sterblichen in einen harmonischen Sterblichen umzuwandeln. Der Mensch Gottes ist in Wirklichkeit jetzt schon harmonisch und vollkommen, und wir haben daher nichts weiter zu tun als uns diese Tatsache zum Bewußtsein zu bringen und uns in aller Ruhe auf sie zu stützen. Wie oft beklagen wir unser herbes Schicksal und kämpfen und ringen, um Harmonie zu erlangen, wo es doch unsere Aufgabe ist, trotz der sterblichen Scheinbarkeit uns selber zu erkennen und in dem Bestreben, anderen zu dienen, uns über unsere eigenen Angelegenheiten zu erheben.

Wir können uns nicht oft genug daran erinnern, daß der wahre Mensch so wie so harmonisch ist, ganz abgesehen davon, wie wir uns fühlen mögen. Wer aus Schwierigkeiten eine große Wirklichkeit macht, seien sie seine eigenen oder die anderer Menschen, kann nicht erwarten, sie zu überwinden. In dem Augenblick also, wo wir uns bedauern, geben wir die Wirklichkeit dessen zu, was wir zu bekämpfen suchen, und unsere Hände sind sofort gebunden, insofern erfolgreiche Demonstration in Betracht kommt. Scheinen wir elend und unglücklich zu sein, so hat es für uns kaum einen Zweck, dadurch harmonisch werden zu wollen, daß wir uns gelassen und glücklich stellen. Die bloße Anstrengung, Ruhe oder Glück zu denken, ist einfach eine Fallgrube für die Unachtsamen — ein breiter Nebenweg nach dem Reich der sogenannten Mentalen Wissenschaft, die gar nicht mit der erhaben einfachen Christlichen Wissenschaft verglichen werden kann. Unsere Pflicht besteht ausschließlich darin, zu „sein,“ Gott wiederzuspiegeln, ohne uns dabei wegen der Ergebnisse Sorgen zu machen. Das Reich Gottes ist weder Essen noch Trinken ja nicht einmal behagliches Glück. Wenn wir nach solchen Dingen trachten, dann bitten wir umsonst; wir suchen das, was uns zufallen wird und nicht das Reich Gottes.

Wir müssen unterscheiden lernen zwischen dem falschen, materiellen Begriff vom Sein und jenem wahren geistigen Sein, das die vollkommene Wiederspiegelung des göttlichen Seins ist. Es muß uns klar werden, daß wir unser falsches Selbst nicht bedauern dürfen und daß es uns keine Schmerzen bereiten kann, denn wir sind „Gottes Kinder.“ Wenn wir zu dem Entschluß gekommen sind, Gott walten zu lassen, so finden wir gewöhnlich, daß nichts übrig bleibt, dem wir zu widerstehen hätten. Wir brauchen nicht auf das Zustandekommen unserer Demonstration zu warten, denn sie kommt gewöhnlich dann zustande, wenn wir für sie bereit sind. Einem alten Spruch gemäß ist Glück ein Nebenprodukt. Die Erfahrung lehrt, daß es selten unmittelbar erreicht wird.

Wir können uns nicht selber bedauern, wenn wir tatsächlich an die Wahrheit unserer Bekräftigungen glauben und dabei verharren. Seien wir ja erbarmend und mitleidsvoll mit der Menschheit wegen ihrer Unwissenheit in betreff der Wahrheit; wenn wir uns aber selber bedauern, so ist das einfach eine Art der mentalen Malpraxis, die uns den Weg zur erfolgreichen Demonstration versperrt. Es ist ganz einerlei, ob das sterbliche Gemüt uns sagt, wir fühlten uns elend, oder nervös, oder unglücklich. Weder das eine noch das andere ist wahr. Wenn wir unser eigenes Leid abschütteln und der Notdurft des Mitmenschen unsere Aufmerksamkeit zuwenden, dann finden wir, daß wir kein eigenes Problem mehr zu lösen haben. Vom menschlichen Standpunkte aus betrachtet hatte Jesus von Nazareth gewiß am meisten Grund, sich selber zu bedauern. Aber obgleich er gegeißelt, verspottet und gekreuzigt wurde, lesen wir doch nirgends, daß er der Versuchung zum Opfer gefallen wäre, seine Bemühungen auf diese Art lahmzulegen, denn er zog umher und tat Gutes, wobei er sich selber vergaß. Und die Wahrheit über Gott und den Menschen, die er verkündigte und betätigte, gipfelte in der Himmelfahrt.

Wenn wir uns unglücklich fühlen, so offenbart oft eine aufrichtige Selbstprüfung sehr viel ungeahntes Selbstbedauern, und wir müssen uns dann klar werden, daß dieses ein mentales Unkraut ist, das ausgejätet und vernichtet werden muß, weil es sonst die zarten Blüten der selbstlosen Liebe erstickt — die Verpflichtung, die einem jeden von uns obliegt, Gott und der Menschheit in Liebe zu dienen. Wir wollen daher unsere krankhafte Selbstsucht, unser einsames Ringen mit rein persönlichen Schwierigkeiten aufgeben und über Mrs. Eddys folgende Worte in „The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany“ nachdenken (S. 200): „Wenn der Mensch danach strebt, gut zu sein, Gutes zu tun und seinen Nächsten zu lieben als sich selbst, so ist seine Seele sicher; er tritt aus der Unsterblichkeit heraus und empfängt seine unveräußerlichen Rechte: die Liebe Gottes und des Menschen. Der siebenfache Schild der Ehrlichkeit, Lauterkeit und selbstlosen Liebe wahrt uns das Leben eines Christen. Ihr habt es nicht nötig, daß ich euch das sage, denn ihr kennet den Weg in der Christlichen Wissenschaft.“

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