Als ich einst am Abend vor Allerheiligen auf meinem Wege zum Mittwochabend-Gottesdienst an eine sehr belebte Straßenecke unserer Stadt kam, fiel mir unter den vorbeiziehenden maskierten Menschen ein kleiner Junge von ungefähr sechs oder sieben Jahren auf, der eine Maske und ein Maskenkostüm trug, hin und her sprang und dabei aus Leibeskräften schrie. Zuerst dachte ich, es mache ihm großen Spaß, die Hörner, die Knarren und das Lachen der Menge zu überschreien; aber als ich näher hinsah, bemerkte ich, daß Tränen unter seiner Maske hervorrannen. Ich trat zu ihm und fragte ihn, was er denn hätte, und nun merkte ich, daß er sich vor den Masken, ja vor allen Menschen auf der Straße fürchtete. Somit mußte ich ihm erst sehr freundlich zureden, ehe ich ihn beiseite führen konnte, um den Grund seiner Aufregung zu erforschen.
Zu allererst nahm ich dem kleinen Burschen die Maske ab, damit er besser sehen konnte. Das beruhigte ihn etwas, so daß er nun aufhörte zu schreien und mir erzählte, er habe sich verlaufen und suche seine Schwester. Sofort merkte ich, daß er von seiner älteren Schwester getrennt worden war, und dies hatte ihn in so große Angst versetzt, daß er nicht einmal mehr seinen Namen wußte und den Weg nach Hause nicht finden konnte. Ich versicherte ihm, ich würde bei ihm bleiben und für ihn sorgen; wir würden ruhig stehen bleiben und warten, bis seine Schwester käme und ihn wiederfände; er solle sich nicht fürchten, da ja die Leute nur komisch angezogen seien wie er selber; sie seien alle liebe Menschen, und würden ihm ebenso gerne helfen wie ich. Bald darauf kam die Schwester. Als der kleine Kerl sie erblickte, stürzte er mit einem Freudenschrei in ihre Arme, und von dem Augenblick an waren alle Gedanken ans Verlorensein, war alle Furcht und Unruhe verschwunden. Er fing sofort an, sich über die drolligen Kostüme, die hellen Lichter, die Hörner usw. zu freuen; aber seine eigene Maske ließ er sich nicht wieder aufsetzen. Er wußte, daß sie ihm das Sehen erschwert und all den Kummer verursacht hatte.
Nachdem der Kleine mit seiner Schwester wohlgemut davongelaufen war, fühlte ich mich geistig sehr gehoben und war dankbar für die Lehre, die ich von dem kleinen verlorengegangenen Jungen erhalten hatte. Befinden sich nicht viele von uns großen Kindern in derselben fatalen Lage, wenn uns die Wahrheit findet? Wir sind erschöpft, sind des Kampfes um die materielle Existenz müde, fürchten uns vor den ungeheuerlichen, gräßlichen Erscheinungen von Sünde und Krankheit und wissen nicht, wie wir den Ausweg finden sollen. Dann wird auf einmal die Maske unseres materiellen Denkens durchsichtiger infolge der Lehren und Heilungen, die wir durch die Christliche Wissenschaft empfangen haben; unsere Gedanken erheben sich, wir gewinnen einen weiteren Ausblick auf unsere Umgebung und gewahren überall Kundwerdungen der Liebe. Die falschen Annahmen in bezug auf Gott und das Weltall verschwinden allmählich, und vor unseren Blicken breitet sich die geistige Schöpfung aus. Wir erkennen, daß der Mensch nicht Fleisch und Blut ist, sondern der Ausdruck des einen Gemüts oder Gottes, und daß er als solcher vollkommen und rechtschaffen ist, kerne Schranken kennt und das Böse nicht sieht.
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