In den Psalmen lesen wir folgende trostreichen Worte: „Wo soll ich hin gehen vor deinem Geist, und wo soll ich hin fliehen vor deinem Angesicht? Führe ich gen Himmel, so bist du da. Bettete ich mir in die Hölle, siehe, so bist du auch da.“ Für die wartende, müde, kranke Welt unserer Tage hat diese vor Jahrhunderten gegebene Zusage eine tiefe Bedeutung. Wie die Regentropfen die schwüle Luft erfrischen, so daß die welken Veilchen ihre Köpfchen erheben, indem ihnen neues Leben zuteil geworden ist, so kann sich der Christliche Wissenschafter vermöge seiner Erkenntnis, daß Gott, unser Vater-Mutter, eine stets gegenwärtige Hilfe ist, und daß uns nichts von Ihm zu trennen vermag, über das Chaos des sterblichen Gemüts erheben, der Welt mit all ihrem Getümmel ins Gesicht schauen und dankbaren Herzens sagen: „Du [Gott] bist da.“
Folgende Erfahrung einer Christlichen Wissenschafterin bewies ihr in solch wunderbarer Weise den Schutz und die Macht Gottes, daß sie hier davon reden möchte, in der Hoffnung, anderen dadurch zu helfen. Es überkam sie nämlich eines Tages ein großes Gefühl der Unruhe in betreff eines Mitglieds der Familie, das damals in einem entfernten Staat lebte. Obgleich in einem Brief, der dann kam, keine Andeutung von einem unharmonischen Zustand enthalten war, so wollte doch die Unruhe nicht weichen. Die Schülerin hatte das ernste Verlangen, auf irgendeine Weise zu helfen, aber der Irrtum machte den Einwurf, daß kein Weg offenstehe, auf dem diese Hilfe erteilt werden könnte. Die genauen Umstände waren der Schülerin nicht bekannt, und die Person, wegen deren sie sich Sorgen machte, war in weiter Ferne, so daß sie nicht erreicht werden konnte.
Mrs. Eddy sagt in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 1): „Verlangen ist Gebet;“ und in vorliegendem Fall wurde der Wunsch zu helfen von der sanften Stimme der Wahrheit erhört, welche flüsterte: „Gott ist da. Ihm gehört alle Macht. Alles ist Gemüt, und für das göttliche Gemüt gibt es keine Entfernung und keine Trennung.“ Indem so den Ideen der Wahrheit die Tür geöffnet worden war, folgten viele tröstende Gedanken über Gottes schützende Macht. Die Schülerin erkannte, daß es nicht nötig war, die Art der materiellen Umstände zu kennen, sondern nur, sich bewußt zu werden, daß sie in Wirklichkeit nichts waren, weil alle Ideen Gottes erhalten und beschützt werden, und daß diese liebe Angehörige die Kraft und die Weisheit haben würde, jeder Schwierigkeit, die ihr entgegentreten mochte, Herr zu werden. Das Gefühl der Beängstigung, welches der menschliche Verwandtschaftsbegriff mit sich brachte, wurde verscheucht, und die Abwesende wurde der Fürsorge Gottes überlassen, mit der beglückenden Zuversicht, daß die nie versagenden Arme der Wahrheit und Liebe sie tragen würden.
Erst zwei Jahre später traf die Christliche Wissenschafterin diese Person wieder und hörte dann aus ihrem Munde, in welch traurigen Umständen sie sich damals befunden hatte. Worte vermögen nicht den Dank auszusprechen, den die Schülerin fühlte, als sie hörte, daß diese liebe Verwandte während all dieser Prüfungen nicht die geringste Angst verspürte, daß sie die ganze Zeit hindurch sich geschützt fühlte und die Zuversicht hatte, daß ihr kein Schaden zustoßen könne. Bei einer gewissen Gelegenheit war sie wegen ihres Mutes gelobt worden, worauf sie erwiderte, sie habe keinen Mut und habe nie Mut gehabt — etwas, was sie nicht verstehen könne, gebe ihr Kraft und erhalte sie aufrecht.
Die Christliche Wissenschafterin, die diesen Worten lauschte, erkannte deutlich, daß die Abwesende durch die tägliche Bekräftigung der Allmacht der Wahrheit aufrechterhalten worden war. Es war ihr dies ein neuer Beweis, daß die Christliche Wissenschaft eine demonstrierbare Religion ist, daß, Steine Macht ... der göttlichen Liebe widerstehen“ kann (Wissenschaft und Gesundheit, S. 224), und daß den Worten der Wahrheit gelingen soll, wozu sie ausgesandt werden. Diese Erfahrung brachte so manche Lehre mit sich. Die Nichtsheit der Argumente des sterblichen Gemüts wurde klarer denn je erkannt. In genanntem Fall waren die Umstände nach Auffassung der sterblichen Sinne viel schlimmer, als sich die Schülerin hätte vorstellen können, hätte sie sich erlaubt, nach materiellen Ursachen und Wirkungen zu.forschen. Weil sie aber ihre Unfähigkeit erkannte, materielle Hilfe zu leisten oder materielle Auskunft zu erlangen, so hatte sie sich rückhaltlos an Gott gewandt, und indem der „Starke“— das sterbliche Gemüt — durch die Bekräftigung der Allheit Gottes gebunden wurde, kam die Wahrheit zur Verwirklichung, daß es im göttlichen Gemüt keinen Fehlschlag gibt.
Eine weitere Lehre, die der Schülerin zuteil wurde und die die Ursache der Verzögerung im Ausarbeiten anderer Probleme aufdeckte, war die, daß man sich mit dem sterblichen Gemüt auf keinen Vergleich einlassen darf. Es ist durchaus unzulässig, auf dessen Argumente zu horchen, sondern man muß sie zum Schweigen bringen; denn nur so kann ihre Machtlosigkeit bewiesen werden. Theoretisch wußte die Schülerin dies schon immer, seit sie mit dem Studium der Christlichen Wissenschaft begonnen hatte; jetzt aber erkannte sie, daß sie versucht hatte, die Macht der Wahrheit dadurch zu demonstrieren, daß sie den aggressiven Argumenten „des Starken“ Zugeständnisse machte. Mit einer Hand klammerte sie sich an die Wahrheit, streckte aber die andere nach der Materialität aus und suchte etwas zu ergreifen, was das Werk der Wahrheit unterstützen würde. Sie gab der alten Täuschung nach, daß Gott der Hilfe eines Sterblichen bedürfe, um Sein Werk zu vollbringen. Wollten wir einen Strom durchkreuzen, so würden wir nie glauben, die andere Seite erreichen zu können, solange wir noch mit einem Fuß auf dem Ufer stehen.
Gerade so ist es, wenn wir das Unwirkliche fahren lassen und das Wirkliche ergreifen. Unser erster Blick auf die Wahrheit läßt uns die Schönheit des Wirklichen sehen. Dann flüstert uns der Irrtum zu, es sei nicht nötig, alles zu verlassen; wir könnten ja doch einige Dinge mitnehmen. Und so stehen wir still und suchen uns mit dem Irrtum zu verständigen, bis etwas geschieht, was uns zwingt, uns ganz und gar auf die Macht der unendlichen Wahrheit zu verlassen, um den „Starken,“ den sterblichen Sinn, zu überwinden. Ist der Schritt getan, die Demonstration vollbracht, das Problem gelöst, dann zerschmilzt der Irrtum unter den Strahlen der Wahrheit und Liebe.