Skip to main content Skip to search Skip to header Skip to footer

Ein Freund der Sünder

Aus der Juni 1919-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Als Jesus kam, um die Unendlichkeit und Allmacht des Guten durch das Heilen der Kranken und Austreiben der Teufel zu demonstrieren, warfen ihm die Pharisäer vor, er sei ein Freund der Zöllner und Sünder. Weil sie das Gute nicht wahrhaft zu würdigen wußten, hegten sie falsche Gedanken hinsichtlich des Bösen und des Übeltäters. Ihre falsche Auffassung vom Guten machte sie selbstgerecht. Sie schienen die Tatsache, daß Gott von den Starken verlangt, den Schwachen in der Not zu helfen, scheinbar ganz vergessen zu haben und begnügten sich damit, gewisse vorgeschriebene Formen und Zeremonien zu beobachten. Da sie nicht gewillt waren, sich des Sünders zu erbarmen und ihm in dem Kampf um die Befreiung von den Fesseln des Bösen zu helfen, konnten sie die Bemühungen dessen nicht schätzen, der fähig und bereit war, denen zu helfen, die von der Sünde lassen und ein besseres Verständnis vom Leben gewinnen wollten. Jesus war im wahrsten Sinne des Wortes der Sünder Freund, wiewohl es keinen gab, der so frei von Sünde war wie er. Weil er die ewige Wirklichkeit des Guten erkannte, vermochte er auch das wahre Wesen des Bösen zu erkennen, und das befähigte ihn, denen zu helfen, die sich der ganzen Erbärmlichkeit ihrer Sünde bewußt geworden waren und sich nach Erlösung sehnten.

Jesus lehrte und demonstrierte die einzig richtige Art, die Kranken zu heilen und die Sünde zu überwinden. Seine Nachfolger müssen in diesem wie in jedem Zeitalter dieselben Taten vollbringen, die er vollbrachte, wenn sie an dem großen Werke teilnehmen wollen, die Menschheit von Sünde und Leiden, den unausbleiblichen Folgen der Sünde, frei zu machen. Hier entstehen nun zwei sehr wichtige Fragen: Wie soll man der Sünde gegenübertreten, und wie soll man über den Sünder denken? Von der Beantwortung dieser wesentlichen Fragen hängt unser Erfolg beim Heilen der Kranken und Umwandeln der Sünder ab. Vom menschlichen Standpunkte aus betrachtet, ist es schwierig, den Menschen von der Sünde zu trennen, aber geistige Erkenntnis offenbart ihn uns als eine Wesenheit und die Sünde als eine Nichtsheit.

In seiner Liebe zur Menschheit sah Jesus von Nazareth die Person nicht an, wiewohl der menschliche Sinn zuweilen nicht recht begreifen kann, wie seine Worte, bei verschiedenen Gelegenheiten geäußert und an verschiedene Menschen gerichtet, von derselben selbstlosen Liebe inspiriert sein konnten. Zu der Ehebrecherin sagte er: „So verdamme Ich dich auch nicht; gehe hin und sündige hinfort nicht mehr.“ Hatte er kein Wort der Mißbilligung für eine Person, die so tief gefallen war? Offenbar nicht. Wahrlich, größere Liebe ist niemals einem Sünder zuteil geworden. Bei einer anderen Gelegenheit hören wir ihn wiederholt sagen: „Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler.“ Hatte er kein Mitleid mit diesen? Hätte er nicht gegen sie die gleiche Liebe und Vergebung bekunden und sie dadurch von der Sünde retten können? Dem persönlichen Sinn mag es vorkommen, als ob er nicht die gleiche Liebe für alle gehabt hätte; den einen segnete er, den anderen tadelte er.

Gerade in diesen zwei Beispielen finden wir die Antwort auf unsere Fragen. In dem einen Fall sehen wir Jesu Verhalten der reumütigen Sünderin gegenüber, während er das andere Mal die Sünde rügte. In des Meisters irdischem Leben kam die Liebe zum Ausdruck, die den Menschen rettet, aber die Sünde vernichtet. Die Liebe gab ihm die Worte des Tadels wie auch die Worte der Vergebung ein. „Des Menschen Sohn ist nicht kommen, der Menschen Seelen zu verderben, sondern zu erhalten.“ Jesu Liebe zu jenen unbußfertigen Schriftgelehrten war nicht geringer als seine Liebe zu dem reumütigen Weib. Wir können nicht annehmen, daß er die Sünde des Ehebruchs bei dem Weibe weniger verdammte als die Sünde der Heuchelei bei den Schriftgelehrten und Pharisäern, und daher nachsichtiger war. Keinem ist je die Sünde so sehr verhaßt gewesen wie ihm, denn vor ihm war alles aufgedeckt — der geheimste Gedanke wie das größte sichtbare Verbrechen. Er sah, wie die Sterblichen in dem Traum des Irrtums befangen waren, dessen sogenannte Freuden genossen und dessen Leiden erduldeten. Er wußte, daß sie zu der Erkenntnis der Erbärmlichkeit der Sünde erweckt werden mußten, ehe sie willens sein würden, sich von der Sünde abzukehren.

Die Schriftgelehrten und Pharisäer waren tief im Irrtum befangen und gaben sich damit zufrieden, so zu bleiben, wie sie waren. Jesus liebte sie und wollte sie von ihren Sünden erretten. Er liebte weder den Sünder noch den Traum des materiellen Lebens, wohl aber den Menschen. Sie erkannten nicht, in welch schrecklicher Lage sie sich befanden. Sie wußten nicht, wie weit sie von der Wahrheit entfernt waren. Jesus hatte etwas Besseres für sie bereit, aber sie mußten erst zu der Erkenntnis ihrer Notlage erwachen, ehe sie es annehmen konnten. Daher erscheint uns seine Sprache oft so streng, die er beim Hinweis auf die schrecklichen Folgen anwandte, welche die Sünde unausbleiblich nach sich zieht. Jesus liebte die Menschheit, aber er war unerbittlich gegen die Sünde. In „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ lesen wir (S. 53): „Scharf und unerschrocken wies er die Sünder zurecht, weil er ihr Freund war; daher der Kelch, den er trank.“ Sein reines Denken ließ seinen Tadel um so furchtbarer erscheinen. Das Leiden, das der Mensch verspürt, wenn er von der Liebe zurechtgewiesen wird, dient dazu, seine Vorstellung von der Sünde zu vernichten und ihn dadurch zu erlösen. Er wird als Kind Gottes offenbar, das unberührt ist von Sünde, Krankheit und Tod.

Wie ganz anders offenbarte sich nach menschlichem Empfinden seine Liebe gegen das Weib, die aufrichtige Reue bekundete. Bei ihr war kein Vorwurf nötig. Sie war zur vollen Erkenntnis ihrer Lage erwacht und wollte aus derselben befreit werden. Jesus erkannte den aufrichtigen Wunsch ihres Herzens; er wußte, daß sie bereit war, die Segnung der Wahrheit zu empfangen; daher sagte er zu ihr: „So verdamme Ich dich auch nicht; gehe hin und sündige hinfort nicht mehr.“ Hierin bekundete er dieselbe Liebe wie in dem Tadel der Schriftgelehrten und Pharisäer; aber dem sterblichen Sinne erschien es anders. Während Jesus den Irrtum unerschrocken rügte, floß sein Herz über von Liebe zu Gott und den Menschen. Ohne diese Liebe wäre sein Tadel nutzlos gewesen. Er war ebenso bereit, zu den Pharisäern zu sagen wie er zu dem Weib sagte: „So verdamme ich dich auch nicht.“ Hätte er aber so gesprochen, sie würden ihn nicht verstanden haben. Wahrscheinlich hätten sie es so ausgelegt, als wolle er die Sünde, der sie frönten, nicht verdammen. Er liebte den Menschen, wie ihn Gott geschaffen hat, haßte aber jeden sündigen Gedanken. Er deckte die Sünde auf und verdammte sie, weil es ihm nur so möglich war, den Sünder umzuwandeln.

Der wahre Christliche Wissenschafter folgt in des Meisters Fußtapfen und muß daher ebenfalls ein Freund der Sünder sein. Er sieht ein, daß er nur in dem Maße, wie er den Irrtum in seinen eigenen Gedanken überwunden hat, fällig ist, andere liebevoll zurechtzuweisen und sie von ihren Sünden zu befreien. Er ist stets der Worte des Meisters eingedenk: „Zeuch am ersten den Balken aus deinem Auge; darnach besiehe, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehest!“ Dem sterblichen Sinn kommt es leicht vor, die Fehler anderer zu rügen. Um aber dies im richtigen Geiste und in der rechten Absicht tun zu können, ist reine, selbstlose Liebe zur ganzen Menschheit nötig. Wahrlich, Mrs. Eddy hat Recht, wenn sie in unserem Lehrbuch schreibt (S. 30): „Wenn wir über die Irrtümer des materiellen Sinnes so weit gesiegt haben, daß wir uns von Seele beherrschen lassen, werden wir die Sünde verabscheuen und sie unter jeder Maske rügen. Nur auf diese Weise können wir unsre Feinde segnen, obgleich sie unsre Worte nicht so deuten mögen.“ Ferner sagt sie (S. 453): „Du deckst die Sünde auf, nicht um dem körperlichen Menschen zu schaden, sondern um ihn zu segnen, und ein richtiger Beweggrund trägt seinen Lohn in sich.“ Von Mut beseelt, der der geistigen Erkenntnis entspringt, von göttlicher Liebe inspiriert, durch die Kraft der Allmacht gestärkt, geht der treue Christliche Wissenschafter in den Kampf gegen die Sünde in sich selbst und anderen, und er läßt in seinem Bestreben nicht eher nach, als bis die Schlacht gekämpft und der Sieg errungen ist.

Wenn Sie mehr Inhalte wie diese erforschen möchten, können Sie sich für wöchentliche Herold-Nachrichten anmelden. Sie erhalten Artikel, Audioaufnahmen und Ankündigungen direkt per WhatsApp oder E-Mail. 

Anmelden

Mehr aus dieser Ausgabe / Juni 1919

  

Die Mission des Herolds

„... die allumfassende Wirksamkeit und Verfügbarkeit der Wahrheit zu verkünden ...“

                                                                                                                            Mary Baker Eddy

Nähere Informationen über den Herold und seine Mission.