Weil Gamaliel mit wahrer Weisheit ausgerüstet war, erkannte er, daß jeder Rat oder jedes Werk der Menschen untergehen muß. In seiner Verteidigung des Petrus und der anderen Apostel führte er den Fall des Theudas an, der vorgab, „er wäre etwas,“ sowie den Fall des Judas aus Galiläa, welcher „machte viel Volks abfällig ihm nach.“ Diese Führer kamen beide um, und alle, die an sie glaubten, „sind zerstreut und zunicht geworden.“ Gamaliel erklärte, ein Werk, das aus Gott ist, könne nicht gedämpft werden. Es ist klar, daß er wußte, wie ein Volk vom Mesmerismus irregeführt werden kann. In unserer Zeit ist dies mit theatralischer Ausschmückung zutage getreten. Wir sahen einen Führer, der mit glänzendem Helm, blitzendem Schwert und in prächtiger Uniform an der Spitze von entmenschlichten Kriegsheeren und gewissenlosen Diplomaten und in einem Bühnengewitter der Drohungen und Großtuerei als ungestümer Weltenbezwinger auftrat. Die Menschen erkennen jetzt den täuschenden Mesmerismus, der das Volk irreführte, Kummer in die Welt brachte und Millionen in den Tod stürzte.
Geistige Führerschaft ist ganz anderer Art. Sie kann kaum besser beschrieben werden als in den Worten der Führerin der christlich-wissenschaftlichen Bewegung. Mrs. Eddy sagt in ihrer Botschaft von 1901 an Die Mutter-Kirche (S. 34): „Zuletzt, meine Brüder, harret geduldig auf Gott; vergeltet Fluch mit Segen; laßt euch nicht das Böse überwinden, sondern überwindet das Böse mit Gutem; seid standhaft, seid reich im Glauben, in der Erkenntnis und in guten Werken; forschet in der Bibel und in dem Lehrbuch unserer Konfession; leistet den bestehenden Gesetzen strengen Gehorsam und folgt eurer Führerin nur insofern sie dem Christus folgt.“
In der ganzen Welt haben diese Nachfolger keine Person nötig, sondern der Geist ihrer Führerin geht ihnen voran. Entlegene Orte werden miteinander in Berührung gebracht, und die Welt hat bessere Gelegenheit denn je Zuvor, ihr Denken in Einklang zu bringen. Als Mrs. Eddy ihre Kirche in Lynn gründete, hatte jedes Mitglied Der Mutter-Kirche Zutritt bei ihr. Diese nahe Berührung war jedoch dem Wachstum der Kirche hinderlich, indem sie die Empfindlichkeit, die Vorurteile, die Engherzigkeit, die Hartnäckigkeit und die Trägheit der einzelnen Mitglieder mehr hervortreten ließ. Der Umzug der Führerin nach einer Großstadt, wo ihre Lehren sie zum Mittelpunkt einer weit größeren Gruppe machten, befreite die Kirche einigermaßen von dem hemmenden Einfluß widerstrebender Nachfolger und störriger Mitglieder. Die ihr treu blieben, waren solche, die geistige Führerschaft anerkannten. Dennoch aber konnten sie die Führerin sehen und hören, denn sie lehrte und predigte persönlich unter ihnen. Wenn sie in einer Stadt zu einem Empfang erschien, drängte man sich von allen Seiten um sie.
Dann kam der Tag, da sich Mrs. Eddy zurückzog von einem geschäftigen Heim, wo Forschende, Besucher, Patienten und Schüler Zutritt zu ihr hatten, und von der Kirche, deren Pastor und Seelsorger sie gewesen war. Sie wurde dabei von einer Macht angetrieben, die bisher ihr Führer gewesen war. Und jetzt folgen diejenigen, die ihr Beispiel vor Augen hatten, mehr der geistigen Führerschaft in den verschiedenen Büchern Mrs. Eddys. Eins wurde ihnen immer klarer, nämlich, daß es der unsichtbare göttliche Geist ist, der das Israel Gottes führt. Sodann erschloß ihnen die Bibel das Geheimnis der Gottseligkeit, das Verständnis ihres geistigen Sinnes. Moses bedeutete nun für sie mehr als eine historische Person, Abraham mehr als einen morgenländischen Scheik. Gottes Führung des Vaters der Gläubigen, die diesen seine heidnische Umgebung verlassen und so seine Treue gegen Gott kundtun ließ, führte die Christlichen Wissenschafter zu dem Verständnis der Worte des Apostels Paulus: „Die des Glaubens sind, das sind Abrahams Kinder.“ Indem sie in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ lasen (S. 579): „Dieser Patriarch veranschaulichte den Vorsatz der Liebe, Vertrauen auf das Gute zu schaffen, und zeigte die lebenerhaltende Kraft geistigen Verständnisses,“ erkannten sie in diesen Worten die Beschreibung der Kennzüge jener Führer, welche von Gott geführt wurden, wie z. B. Moses, der nicht bloß eine Familie, sondern ein ganzes Volk aus dem Götzendienst herausführte und dann eine Theokratie gründete, welche inmitten der verwirrenden Vielgötterei der Welt die Reinheit des Monotheismus veranschaulichen sollte. Ferner konnten die Christlichen Wissenschafter jetzt die dringenden Ermahnungen der inspirierten Propheten besser verstehen, mit denen diese die Irrenden erweckten und die Trägen zum Gehorsam anhielten. Das Leben Jesu und die Wunder, die der Christus, die Wahrheit, bewirkte, jene mächtigen Taten, von denen Christus Jesus sagte: „Der Vater aber, der in mir wohnt, der tut die Werke,“ wurde nun allmählich ihrer wahren Bedeutung nach erkannt, nämlich als unwiderlegbare Beweise der lebendigen Güte dessen, der ihn gesandt hatte, damit er die Welt erlösete.
Nun war aber das Zeitalter, in welcher die Offenbarung der Christlichen Wissenschaft stattfand, im Materialismus versunken. Die Religion war äußerlich und formell, obschon mehrere hundert Konfessionen bestanden. Die Kraft Gottes war nicht als die Kraft bekannt, von der die Kranken Heilung erlangen können, wenn auch viele glaubten, nach einem gewissen Erlösungsplan würden eine Anzahl Menschen durch diese Kraft von der Sünde errettet werden. Mary Baker Eddy erlangte durch ihre eigene Heilung und durch ihr darauffolgendes eifriges Studium der Bibel die Offenbarung des Weges, von dem Christus Jesus geredet hatte, und die Absicht, die sie bei der Gründung ihrer Kirche verfolgte, war, „eine Kirche zu gründen, die den Zweck haben sollte, die Worte und Werke unsres Meisters in Erinnerung zu bringen und dadurch das ursprüngliche Christentum und sein verlorengegangenes Element des Heilens wiedereinzuführen“ (Kirchenhandbuch, S. 17).
Über diese geistige Auffassung von der Christlichen Wissenschaft wachte sie wie eine Mutter in Israel; aber als Führerin überließ sie sie in dem Maße ihrer eigenen Lebenskraft, wie sie erstarkte und bei den Menschen Aufnahme fand. Immer weniger achtete sie auf die Befürchtungen und Gehässigkeiten der Sterblichen, auf die Vorurteile und Eifersüchteleien unter ihren Kirchenmitgliedern, auf die Bitte der Arbeiter und Beamten um ihren Rat. Sie weigerte sich, bei Streitigkeiten als Schiedsrichter zu fungieren, sie lehnte es ab, Richter oder König oder Herrscher über Menschen zu sein, wahrte sich aber stets ihre Stellung als geistiger Führer dieser weltumfassenden Bewegung.
Da spezielle Führung scheinbar nötig war, wiewohl Mrs. Eddy gehofft hatte, dieselbe werde überflüssig sein, gab sie uns das Handbuch, welches der Welt ein Regierungs-Ideal gibt, indem es hauptsächlich den Charakter bildet, zugleich aber ein Führer zu ordnungsmäßigem Handeln ist. Aber die geistige Führerschaft nach dem Beispiel und den Lehren unserer Führerin ist der christlich-wissenschaftlichen Bewegung noch weit voraus, wenn auch die Arbeiter bestrebt sind, ihr immer mehr zu folgen, d. h. sich höhere Erkenntnis anzueignen, ernstlicher nach der Wahrheit zu streben, ein reicheres Maß der Lauterkeit und Heiligkeit zu erlangen. Inspiriert von der geistigen Führerschaft der Person, die sie lieben, können sie mit Paulus sagen: „Eines aber sage ich: Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich zu dem, das da vorne ist, und jage — nach dem vorgesteckten Ziel — nach dem Kleinod, welches vorhält die himmlische Berufung Gottes in Christo Jesu.“