In folgendem herrlichen Ausspruch im vierten Kapitel des Johannes-Evangeliums: „Meine Speise ist die, daß ich tue den Willen des, der mich gesandt hat, und vollende sein Werk,“ erteilt uns Jesus über das Thema der Versorgung eine Lehre, welche für diejenigen, die heute im Weinberge des Vaters arbeiten, sehr wichtig ist, denn er zeugt hier für die erhaltende, ernährende und belebende Macht der geistigen Ausstrahlung — des Vollbringens der Werke. Um die in seinen Worten enthaltene Wahrheit zu erfassen, wollen wir in Kürze die Umstände betrachten, die zu diesem inspirierten Ausspruch des Meisters führten.
In dem erwähnten Kapitel lesen wir, daß Jesus und seine Jünger auf der Reise von Judäa nach Galiläa durch Samaria mußten. Es war dies ein Teil des Landes, dessen Bewohner sich nicht nur gegen die Unterweisungen des Meisters, sondern auch gegen die Lehren der Schriftgelehrten und Pharisäer feindselig verhielten, so daß Jesus seine Jünger vor ihnen warnte, als er sie in die umliegenden Städte und Dörfer sandte, um zu predigen und zu heilen. „Ziehet nicht in der Samariter Städte,“ sagte er. Aber gerade hier in der Stadt Sichar, inmitten des ausgesprochenen Widerstandes gegen die Wahrheit, erkannte Jesus die geistige Empfänglichkeit des samaritischen Weibes, die aus dem Brunnen, auf dem er saß, Wasser schöpfen wollte, und er konnte diesen Leuten eine erhebende Botschaft des Trostes und der Hoffnung bringen; denn das, was das Weib von ihrem Gespräch mit Jesus erzählte, machte auf viele von den Samaritern einen solch tiefen Eindruck, daß sie kamen, um mehr von seinen Lehren zu hören. Und weil Jesus stets dadurch seines Vaters Willen zu erfüllen suchte, daß er die Wahrheit auf die ihn Umgebenden ausstrahlte, so wartete er nicht, bis er nach Galiläa kam, ehe er von seiner Heilfähigkeit Gebrauch machte, sondern er ergriff die erste Gelegenheit, die sich ihm in diesem scheinbar hoffnungslosen Landesteil darbot, ein solches Maß des geistigen Lichtes und der geistigen Liebe auszustrahlen, daß die mentalen Hindernisse des Vorurteils und des Unglaubens zergingen und seine vormaligen Feinde ihm ihre Gastfreundschaft anboten. Zwei Tage lang blieb er bei ihnen.
Kein Wunder, daß Jesus nach den geistigen Erklärungen, die er dem Weib am Brunnen gegeben hatte, zu seinen Jüngern sagen konnte, als sie ihm Speise brachten: „Ich habe eine Speise zu essen, von der ihr nicht wisset.“ Er, der müde gewesen war von der Reise, als sie ihn verließen, um Speise zu kaufen, war bei ihrer Rückkehr durch das geistige Mitteilen des Wortes so gestärkt und gekräftigt, daß er diese Schüler auf den im Gemüt bestehenden Menschen, auf die Idee Gottes, die vom Geiste göttlich erzeugt, gespeist und erhalten wird, hinweisen konnte — auf den Menschen, dessen Lebenszweck es ist, die Wahrheit auszustrahlen, daß Gottes Werk vollendet, vollkommen und gegenwärtig ist und daß alle Seine Kinder dieses Werk sehen und sich an demselben erfreuen können. Für Jesus hatte also das Mitteilen nichts Erschöpfendes, weil Energie, als geistige Kraft erkannt, unerschöpflich ist. Das Ausstrahlen, was gleichbedeutend ist mit Wiederspiegeln, war seine Lebensaufgabe unter den Menschen. Er lehrte seine Jünger, daß das Leben weder im Körper wohnt noch von dem Überfluß an materiellen Gütern erhalten wird. Wahrhaft leben besteht darin, daß man das mentale Licht, geistige Ideen verbreitet, die durch die Tätigkeit des geistigen Gesetzes die Finsternis der Unwissenheit verscheuchen, welche sich als Krankheit, Beschränkung, Sünde und Tod kundtut. Jesus ließ sein Licht — seine Erkenntnis der Wahrheit — erbarmungsvoll auf die Menschen leuchten; er befreite sie durch seine Werke von den Banden materieller Annahmen und erhielt dabei selber Nahrung, Kleidung und Obdach. Seine Demonstrationen der Macht und Güte Gottes taten dar, daß Substanz und Versorgung vom rechten Denken, vom Ausstrahlen der unendlichen Liebe, der unendlichen Wahrheit, des unendlichen Lebens abhängig ist.
Auf Seite 307 von „Miscellaneous Writings“ sagt unsere Führerin: „Gott gibt dir Seine geistigen Ideen, und diese wiederum geben dir deinen täglichen Bedarf. Sorget nie für den anderen Morgen. Es ist genug, daß die göttliche Liebe eine stets gegenwärtige Hilfe ist; und wenn du wartest und nie zweifelst, so wirst du jeden Augenblick alles haben, was du nötig hast.“ Wenn wir Gott als den Quell unseres Glücks erkennen und jeden Tag um mehr geistige Kraft, um mehr Gnade und um die Erkenntnis bitten, Seinen Willen zu tun; wenn wir unser Leben — unsere Absichten und Neigungen — jeden Tag der erhebenden Arbeit widmen, die Gott uns aufgetragen hat; wenn wir jedes Problem, das wir zu lösen haben, als eine Gelegenheit zum individuellen Fortschritt in der Erkenntnis Gottes und Seiner Gesetze benutzen: dann haben wir nichts Böses zu fürchten, und es wird uns an nichts Gutem mangeln, denn wir lassen in unserem Leben das nie versagende Gesetz der Vergütung in Tätigkeit treten. Wir brauchen uns nur mit diesem Gesetz in Einklang zu bringen, um dessen unendliche Segnungen zu empfangen. Wenn wir den einen Zentner, den wir haben, getreulich anwenden, wenn wir auch nur das geringste Maß der durch Demonstration erlangten Erkenntnis ausstrahlen, dann werden wir demgemäß von Disharmonie und Beschränkung befreit; denn das uneigennützige Streben, Gutes zu tun, hat unfehlbar den Fortschritt und den Schutz des ernsten Arbeiters in der göttlichen Wissenschaft zur Folge.
„Um zu lieben und geliebt zu werden,“ lesen wir in „Miscellaneous Writings“ (S. 127), „muß man anderen Gutes tun. Die unumgängliche Bedingung, die man erfüllen muß, um gesegnet zu werden, ist die, anderen Segen zu bringen. Du mußt dich aber unter Gottes Führung so erkennen, daß du selbst dann Seinen Willen tust, wenn deine Perlen unter die Füße getreten werden.“ Des Vaters Wille ist, daß alle Seine Kinder das göttliche Wesen wiederspiegeln und dadurch die Finsternis der Materialität erleuchten möchten. Dieses heilende Bewußtsein, diese geistige Selbsterkenntnis wird in dem Maße unsere Zuflucht, wie wir die Macht des Bösen mutig bekämpfen und überwinden und aus jeder Erfahrung eine Lehre ziehen. So eignen wir uns einen kostbaren Schatz an Wachsamkeit, Geduld, Demut, moralischem Mut, Liebe und Frieden an. Diese geistigen Reichtümer fallen uns also dann zu, wenn die sich in uns entfaltende Weisheit das Denken vom materiellen, persönlichen Begriff des Daseins trennt und es mit dem göttlichen, unpersönlichen Leben, mit der Liebe in Einklang bringt.
Geistige Selbstäußerung demonstriert Versorgung, denn sie ist die Wiederspiegelung der unendlichen Liebe und verbleibt vertrauensvoll in der Gemeinschaft des göttlichen Prinzips, das seine Ideen hegt und fördert. Wir kommen dann in diese Gemeinschaft und sind dann frei von den verkehrten Begriffen der Armut, der Einsamkeit, der Disharmonie und der Unterdrückung, wenn wir uns auf die Wirksamkeit der Ausstrahlung verlassen und der Sache der Christlichen Wissenschaft frei und furchtlos unsere Substanz, d.h. unsere Zeit und unsere finanzielle, mentale und moralische Unterstützung geben. Für diese große Sache arbeiten wir durch das geringste Streben, Liebe gegen andere auszustrahlen, durch jeden aufrichtigen Versuch, den an uns gestellten Anforderungen gerecht zu werden. Wenn wir unser Teil tun, so bedeutet das individuelle Ausstrahlung. Hüten wir uns doch ja vor mentaler Trägheit und vor Nachsicht gegen uns selbst, denn diese Neigungen suchen uns unserer stets zunehmenden Gelegenheiten zu berauben, mehr Licht wiederzuspiegeln. Wir wollen die unedlen, mesmerischen Einflüsterungen des Selbstbedauerns, daß wir nichts zu geben, nichts auszustrahlen hätten, mit der wissenschaftlichen Erklärung zum Schweigen bringen: „Ich habe die Fähigkeit, Wahrheit, Gesundheit und Glück mitzuteilen, und dies ist mein Fels des Heils und mein Daseinsgrund“ (Miscellany, S. 165). Sind wir müde von der Reise durch das Samaria der öden Aussichten, so wollen wir die erste Gelegenheit ergreifen, die sich uns bietet, die Wahrheit wiederzuspiegeln, unsere Substanz mit anderen zu teilen, sei es durch das Wort oder durch die Tat. Und sind wir auf solche Weise darauf bedacht, andere zu segnen, dann werden wir selber reichlich gesegnet.
