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Das Überwinden des verborgenen Irrtums

Aus der Juli 1919-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Zweifellos können Krankheiten dann am besten geheilt werden, wenn sie noch nicht am Körper zum Ausdruck gekommen sind. Daß nicht häufiger dieser Tatsache gemäß gehandelt wird, liegt zum größten Teil an der menschlichen Unkenntnis von der mentalen Natur der Krankheit und an einer gewissen Gleichgültigkeit gegen geistige Dinge, solange physisches Behagen und Vergnügen das Bewußtsein befriedigen. Der Christliche Wissenschafter kennt jedoch die Wirkung falscher Gedanken auf den Körper, und er weiß, welch heilsamen Einfluß richtige Gedanken haben, indem sie den Irrtum unschädlich machen. Deshalb sollte er es als einen wesentlichen Teil seiner täglichen Arbeit erkennen, unentwickelte Krankheitsvorstellungen zu vernichten und die mentalen Zustände zu berichtigen, die sonst früher oder später Leiden verursachen würden.

Der Mensch ist kein hilfloser Klumpen empfindender Materie, der all den veränderlichen Umständen oder dem blinden Zufall preisgegeben ist. Er ist ein denkendes Wesen; und weil er ein solches ist, sind seine Erfahrungen eher ein Ausdruck seiner Gedanken als umgekehrt. Da unser ganzes Bewußtsein mental ist, so ist es klar, daß nichts, was nicht mentalen Ursprungs ist, in unsere Gedanken eindringen kann. Die Sterblichen wüßten also nichts von Krankheit, wenn sie keine mentale Brutstätten für Krankheiten aufrecht erhielten, und sie wären keine Sünder, wenn sie nicht an die mentale Fähigkeit glauben würden, böse Vorsätze und Gelüste kund zu tun und sie zur Ausführung zu bringen. Des Menschen Erlösung ist daher ein mentales Problem, das durch beständige Umwandlung des sogenannten menschlichen Gemüts ausgearbeitet werden muß, bis die Nichtsheit allen Irrtums anerkannt und Gott, das Gute, zuletzt als das einzige Gemüt erkannt worden ist.

Das individuelle menschliche Gemüt schließt nun aber, wie ein jeder weiß, weit mehr in sich als das, was sich den Gedanken unmittelbar darstellt. Ein unbedeutendes Ereignis pflegt oft Szenen und Begebenheiten, die man scheinbar längst vergessen hatte, wieder lebhaft ins Gedächtnis zurückzurufen. So kann auch ein unerwarteter Umstand mentale Krankheitsbilder oder anerzogene Annahmen von Gesundheitsgesetzen, Klima, Unfällen, Ansteckung usw., die sich angesammelt hatten und die man von Kindheit an in das Bewußtsein aufgenommen hatte, wieder wachrufen; und wenn dann die Furcht groß genug ist, so ist es sehr leicht möglich, daß diese Bilder am Körper zum Ausdruck kommen, es sei denn, man erhebe sich vermöge seines Verständnisses von der Christlichen Wissenschaft so weit, daß man die Unwirklichkeit dieser Bilder erkennt. Dasselbe gilt auch von den verschiedenen Arten der sogenannten „Erbsünden,“ von vermeintlichen Neigungen bestimmter Rassen zu moralischer Verkommenheit, und von Fehlern, die im Temperament begründet sind. Aus diesen mentalen Beschaffenheiten setzt sich die sterbliche Persönlichkeit zusammen, und solange sie in den Gedanken bleiben, bedeuten sie eine dauernde Gefahr für des Menschen Sicherheit und Glück. Daher ist folgende Warnung, auf Seite 234 von „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ von so großer Wichtigkeit: „Wenn die Sterblichen über das sterbliche Gemüt recht Wache halten wollten, dann würde die Brut des Bösen, die dasselbe quält, ausgetrieben werden. Wir müssen mit diesem sogenannten Gemüt den Anfang machen und es von Sünde und Krankheit leeren, sonst werden Sünde und Krankheit niemals aufhören. ... Sünde und Krankheit müssen gedacht werden, ehe sie offenbar werden können. Du mußt die bösen Gedanken im ersten Fall beherrschen, sonst beherrschen sie dich im zweiten.“

Eine Nation, die Krieg führt, achtet ganz besonders auf die feindlichen Ausländer, die sich innerhalb der Landesgrenzen aufhalten, und sie trifft bestimmte Vorsichtsmaßregeln, um sich gegen Unheil von dieser Richtung zu schützen. Sollten nun die einzelnen Sterblichen nicht ebenso sorgfältig festzustellen suchen, ob nicht Gedanken, die dem Prinzip fremd sind, ihr Bewußtsein erfüllen, wieviel Freiheit ihnen gewährt wird und wieviel Macht sie ausüben dürfen? Es ist gewiß ebenso wichtig für einen einzelnen wie für eine Nation, diese gefährlichen Punkte ausfindig zu machen und sie im Auge zu behalten, anstatt zu warten, bis ein Unheil ans Licht kommt. Der Sieg im christlichen Kampfe erfordert, daß der Irrtum keine verborgenen Stellen in unseren Gedanken besetzt halte, wo er Gelegenheit haben würde, zu wachsen, und von wo aus er plötzlich unerwartet hervorkommen und uns angreifen könnte.

Es ist zum mindesten nutzlos, diese schlummernden Übel zu ignorieren, indem man einfach sagt, sie seien nicht vorhanden. Ferner ist es weder christlich noch wissenschaftlich, wenn man sündhafte Gedanken durch Bekräftigungen der absoluten Wahrheit zu verbergen sucht. In der menschlichen Erfahrung muß die Erkenntnis der Wahrheit mit dem Aufdecken und Zerstören des Irrtums Hand in Hand gehen. Wir wissen, daß es in dem unendlichen Gemüt weder einen schlummernden noch einen tätigen Irrtum geben kann. Um aber die Befreiung des Menschen zustande zu bringen, ist weit mehr nötig als derartige Behauptungen aufzustellen. Wir müssen erkennen lernen, welche Art Irrtümer unserer Auffassung von der menschlichen Selbstheit anhaften, und müssen anfangen, sie zu entfernen. Wohl mögen wir die völlige Freiheit vom Irrtum nicht sofort erlangen, können aber wenigstens beständig auf das Ziel hinsteuern.

Für einen jeden von uns sollte folgendes von ganz besonderem Interesse sein. Wir müssen ohne allen Zweifel feststellen, ob wir in unserem Leben die Werke des Fleisches oder die Früchte des Geistes hervorbringen, ob wir uns passiv dem sogenannten fleischlichen Gemüt unterwerfen, oder ob wir danach trachten, nur geistige Gedanken und geistige Wünsche zu beherbergen. Wir wissen sofort, ohne daß weiteres Aufdecken notwendig wäre, ob auch wir uns von den Irrtümern, von denen die Sterblichen unterjocht werden, ohne Widerstand beherrschen lassen; ob „die Sorgen dieser Welt und der betrügliche Reichtum und viele andere Lüste“ unsere Gedanken auf Kosten unseres geistigen Wachstums in Anspruch nehmen. Da wir nun über diese Dinge unterrichtet sind, können wir irgendwie im Unklaren sein, was wir denken oder tun sollten?

An die Christlichen Wissenschafter tritt wohl zuweilen die Versuchung heran, zu nachsichtig mit sich selbst zu sein; d.h. sie sind zu leicht mit ihrer physischen Heilung zufrieden und nicht tätig und wachsam genug in bezug auf die weit wichtigere Arbeit der geistigen Wiedergeburt. Jesus lehrte, die Sterblichen müßten wiedergeboren werden, ehe sie ins Himmelreich kommen könnten, und dieses Wiedergeborenwerden bedeutet weit mehr als das Erlangen von physischer Gesundheit und Kraft und von physischem Wohlbefinden, wiewohl solches gewiß auf mentalem Wege bewirkt werden kann. Es bedeutet die Reinigung von Irrtum jeglicher Art. Wahre Gesundheit ist der Ausdruck von Heiligkeit, und solange jemand unreine und unheilige Gedanken denkt, glaube er nicht, daß er wahre Gesundheit zum Ausdruck bringe, möge der falsche materielle Sinn bezeugen was er wolle.

Wohl ist es nicht ratsam, beständig Irrtum aufdecken zu wollen, wenn man ihm nicht gewachsen ist; aber man verfällt leicht in das andere Extrem, den Irrtum ganz außer acht zu lassen, und gerade das ist es, wozu der Irrtum die Christlichen Wissenschafter zu verleiten sucht. In Wirklichkeit deckt die Wahrheit den Irrtum auf. Die einzige Entschuldigung, die die Sterblichen haben, wenn sie das Böse ungestört in ihren Gedanken tätig sein lassen, ist die, daß sie sich vor dem Bösen fürchten oder ihm zugetan sind, oder aber, daß sie die Wahrheit nicht hinreichend lieben. Mrs. Eddy sagt allerdings in ihrem Werke „Miscellaneous Writings“ (S. 284): „Das Böse ist nicht etwas, was man zu fürchten braucht, oder wovor man fliehen muß, oder was wirklicher wird, wenn man es bekämpft;“ aber sie fährt dann fort (und ihre Worte sollten jedem Christlichen Wissenschafter klar machen, wie wichtig es ist, beständig gegen das Böse zu kämpfen): „Wenn man das Böse sich selbst überläßt, wird es wirklicher, aggressiver und erhebt größere Ansprüche; tritt man ihm aber mit der Wissenschaft entgegen, so kann es und wird es durch die Wissenschaft überwunden.“ Denen, die sich nicht länger von ihrer Auffassung vom Bösen unterjochen lassen wollen, bietet die Christliche Wissenschaft die Mittel an, mit deren Hilfe sie sich den Weg zur Freiheit erkämpfen können. „Den Harnisch Gottes,“ den anzulegen uns der Apostel ermahnt, ist nicht nur zur Verteidigung bestimmt, sondern auch „zu zerstören Befestigungen“— all das, was der Irrtum unserer Reinheit und Nützlichkeit als Hindernis in den Weg zu legen sucht. Seien wir uns bewußt, daß „das Schwert des Geistes“ nicht nur zur Abwehr, sondern auch zum Angriff benutzt werden muß.

Der bequeme oder gleichgültige Schüler, der erst abwartet, bis der Irrtum auftaucht, ehe er Schritte tut, um denselben zu berichtigen, gleicht dem Kapitän eines Fahrzeugs, dessen Schiffsraum brennt und der trotzdem ruhig weiter segelt, ohne zu versuchen, das Feuer zu löschen, weil es ja noch nicht bis zum Deck vorgedrungen sei. Wer würde nicht einen solchen Offizier wegen seiner Torheit tadeln, die ihn davon abhielt, das Feuer sofort zu löschen, nachdem er es bemerkt hatte? Verhält es sich aber anders mit denen, die die Feuer des Hasses, der Rache, der Eifersucht, der Wollust in ihren geheimsten geheimsten Gedanken dauernd brennen lassen, ohne ihnen Einhalt zu tun oder sie zu löschen? Sind wir, im Grunde genommen, klüger in unserem Geschlecht als jener Kapitän, wenn wir diese bösen Gedanken und Begierden jahraus jahrein unter der trügerischen Behaglichkeit des physischen Sinnes weiter schwelen und immer größere Ansprüche an uns stellen lassen? Sollten wir nicht einsehen lernen, daß uns als Christliche Wissenschafter die Pflicht obliegt, uns von allem Irrtum freizumachen, statt bloß nach der trügerischen Freiheit zu trachten, die in dem Gefühl der Behaglichkeit im Irrtum besteht?

Der Übergang im menschlichen Denken vom materiellen Sinn zum geistigen Bewußtsein wird nicht sowohl durch physische Heilungen bewirkt, als vielmehr durch den Kampf mit dem Bösen, bis jede Erscheinungsform des Bösen überwunden ist. Solange wir nicht den Sieg über die Sinnlichkeit davongetragen haben, bleibt uns nichts anderes übrig, als bis zu einem gewissen Grade ihre Knechte zu sein. Je eher wir aber alle unsere Energie darauf verwenden, Geistigkeit zu erlangen, desto schneller werden wir die Sinnlichkeit überwinden können, anstatt von ihr überwunden zu werden. Wir erlangen jedoch wahre Geistigkeit nicht durch theoretisches Verneinen der Materie, sondern durch den tatsächlichen Gehorsam gegen die geistige Wahrheit und durch Tatbeweise, soweit uns dies möglich ist. Es liegt klar auf der Hand, daß unser sittliches und geistiges Wachstum keine anderen Schranken hat als die, welche unsere Eigenliebe und unser Eigenwille errichtet; denn ein jeder kann sich der Güte in dem Maße bewußt werden, wie es die gegenwärtige Notdurft erfordert, und er kann diese Güte zum Ausdruck bringen, wenn er nur bereit ist, sich selbst zu verleugnen und die nötigen Anstrengungen zu machen. Der Apostel stellt die Frage: „Wer hat euch aufgehalten, der Wahrheit nicht zu gehorchen?“ und die in dieser Frage liegende Antwort lautet: Keiner, außer wir selbst.

Wer die Freiheit wahrhaft liebt, bleibt nur so lange in der Knechtschaft als es ihm notwendig erscheint. Der Durchschnittsmensch aber ist nur allzusehr geneigt, in bezug auf seine sittlichen und geistigen Verpflichtungen ebenso zu verfahren wie ein Mensch, der Schulden hat und sich damit begnügt, seine Zinsen zu bezahlen — der keine Anstrengungen macht, die Hauptschuld abzutragen. Das richtige Verfahren würde ihn, wenn auch langsam, so doch sicher, frei machen. Sollten wir somit nicht allen Ernstes danach trachten, unsere Annahme aufzugeben, daß es außer dem Guten noch etwas anderes gebe (ob wir nun dieses Etwas gefürchtet oder geliebt haben), um dadurch die Abgaben zu vermindern, die jene falsche Annahme den Sterblichen auferlegt? In irgendeiner Form drängt sich der Irrtum beständig dem menschlichen Denken auf. Daher brauchen wir nicht erst lange nach einer Gelegenheit zu suchen, ihn bis zu einem gewissen Grade zu überwinden. Wir begegnen zu allen Tageszeiten der lügenhaften Suggestion, daß wir nicht Gottes Kinder seien; daher können wir zu jeder Stunde des Tages an die Wahrheit von des Menschen Gottessohnschaft denken und an dem festhalten, was wir bereits bewiesen haben.

Von dem Engel, der der Menschheit das offene „Büchlein“ brachte, heißt es im Buch der Offenbarung, er habe „seinen rechten Fuß auf das Meer“ gesetzt. Das bedeutet nach Mrs. Eddys Auslegung, daß die „herrschende Macht“ der „Offenbarung der göttlichen Wissenschaft“ auf dem „elementaren, latenten Irrtum“ stand, „der Quelle aller sichtbaren Formen des Irrtums“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 559). Die Christlichen Wissenschafter müssen als Schüler dieser Engelsoffenbarung notwendigerweise diese „herrschende Macht“ über den „elementaren, latenten Irrtum“ im menschlichen Bewußtsein ausüben, ehe die Mission der Christlichen Wissenschaft erfüllt werden kann. Das Böse muß aus seinen unterirdischen und unterseeischen Verstecken vertrieben werden, damit das Reich Gottes, die Herrschaft des Prinzips, aufgerichtet und „der Friede Gottes, welcher höher ist denn alle Vernunft,“ allgemein erkannt werde.

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