Die Meinung, daß Gottes Gesetz als ein materielles Naturgesetz wirke und daß Gott dieses Gesetz öfters aufhebe, wenn ein besonderer Beweis Seiner Macht nötig sei, um der Menschheit eine Lehre zu geben — diese Meinung hat der Menschheit noch nie zum Glauben an Gott verholfen; ja wer Gott verehren will und dabei eine solche Auffassung von Seinem Gesetz hat, verliert dadurch das Vertrauen auf Seine unveränderliche Güte und unendliche Intelligenz und Liebe. Man glaubt sogar, die verschiedenerlei Leiden des Fleisches seien Strafen, die Gott der Menschheit wegen ihres Ungehorsams gegen dieses Gesetz der Natur auferlegt habe, und zwar ganz einerlei, ob der Schuldige sich seines Fehlers bewußt war oder nicht. Die Menschheit glaubt sich durch diese Lehre in ihrem Vertrauen auf Gott getäuscht. Man verweist sie wegen Auskunft über die richtige Art und Weise, Gottes Willen zu erfüllen, auf die äußerst veränderlichen Lehren der Mediziner. So war also die Menschheit den vielerlei materiellen Systemen preisgegeben, die sich durchaus nicht einig sind über die richtige Art und Weise, für den Körper zu sorgen, außer daß sie alle das Gebet für ein nebensächliches Element halten.
Die Religionslehren, die diese materiellen Anschauungen über Gottes Gesetz umfassen, oder die die fleischlichen Dinge in der Theorie verdammen und zugleich mit der Materialität einen Vergleich schließen, können der Menschheit nicht die geistige Führung bieten, die in der Kirche zu suchen sie gelehrt worden waren, noch können uns solche Religionslehren einen Begriff vom Gebet geben, einen Begriff, der Gott als Geist, als Liebe und Sein Gesetz als absolut geistig erkennen läßt, in Übereinstimmung mit den Lehren Jesu, wie er sie in seiner Unterredung mit Nikodemus in die Worte zusammenfaßte: „Was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren wird, das ist Geist.“ Auch Paulus lehrte die Notwendigkeit, die Materialität zurückzuweisen, denn er erklärte: „Denn das Fleisch gelüstet wider den Geist, und den Geist wider das Fleisch; dieselben sind widereinander, daß ihr nicht tut, was ihr wollt.“
In der Christlichen Wissenschaft wird Gott als Liebe, als göttliches Prinzip, als unendlich, unveränderlich und ewig erkannt; und indem die Christliche Wissenschaft ihre sämtlichen Schlüsse von dieser geistigen Basis herleitet, verwirft sie alles Sinnenzeugnis über den Menschen und die Schöpfung und tritt für die Wirklichkeit und Allheit des Geistes und dessen geistige Schöpfung ein. Diese Auffassung von Gott befähigt uns, den Beweis zu erbringen, daß Sein Gesetz ein Gesetz der Liebe ist — also nicht eine blinde und oftmals verderbenbringende Kraft, sondern eine wohltuende, intelligente Macht, die sich allenthalben in der Schöpfung fortwährend kundtut und Seine Geschöpfe schützt und erhält. Für den materiellen Sinn jedoch ist Liebe ein veränderlicher Zustand des menschlichen Denkens. Um die Irrtümer zu berichtigen, welche diese falsche Auffassung herbeiführt, muß diese endliche Vorstellung ausgerottet und dem wahren Begriff von Liebe als dem göttlichen Prinzip, als dem einen Gott Raum gegeben werden. Man muß also das falsche Zeugnis der materiellen Sinne abweisen und das wahre Verständnis von Liebe bekräftigen und demonstrieren.
Um zu lernen, wie man dieses materielle Sinnenzeugnis abweisen und den geistigen Sinn bekunden kann, müssen wir an jeden mentalen Begriff, der im Bewußtsein auftaucht, den Maßstab der Wahrheit über die göttliche Liebe, über Gott anlegen. Wenn es sich um eine Krankheitsvorstellung handelt, so muß sie mit der Erkenntnis vertrieben werden, daß die unendliche Liebe niemals einen unharmonischen Sinn schafft, sondern daß da, wo die Annahme des irrigen Sinnes vorgeblich besteht, die Macht und Gegenwart Gottes in Wirklichkeit kundgetan werden muß. Wenn die Sinnenvorstellung als Sünde oder Tiernatur wirklich zu sein beansprucht, kann man beweisen, daß sie unwirklich ist und keine Macht hat, indem man sich der unendlichen Macht und Vollkommenheit Gottes und Seiner ewigen Wiederspiegelung im Menschen klar bewußt wird. Nach demselben Verfahren läßt sich beweisen, daß der Mangel unwirklich ist. Er ist eine Vorstellung, die nicht von der Liebe kommt, eine falsche Annahme des endlichen Sinnes, welcher dem Wesen Gottes entgegengesetzt ist, der alle Seine Ideen mit der reinen Harmonie des unendlich Guten versieht.
Der Glaube an einen Gott der Natur mit veränderlichen, materiellen Gesetzen veranlaßt die Entschuldigung wegen des Versäumnisses, die Werke der geistigen Erkenntnis zu tun, und führt zu der Behauptung, Jesus und seine Jünger hätten ihre Heilungswerke auf Grund einer besonderen göttlichen Machtverleihung getan, indem Gott Seine Gesetze aufgehoben habe, um des Meisters Anspruch auf das Messiasamt zu stützen. Diese Erklärung mag einen oberflächlichen Sinn zu befriedigen scheinen; aber sie kann den Hunger und das Sehnen dessen, der Befreiung von Krankheit und Sünde sucht, nicht stillen. Für einen solchen Leidenden ist die Botschaft der heilenden Macht der Liebe, die die Christliche Wissenschaft verkündet, wie ein heller Lichtstrahl, und freudig, gläubig und ungezwungen nimmt er ihre Verheißung an.
Jesus kannte die Allmacht der Liebe, er verwarf gänzlich den Glauben an eine von Gott getrennte Macht, und diese Erkenntnis ermöglichte ihm seine großen Werke. Hierüber schreibt Mrs. Eddy in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ auf Seite 476 unten: „Jesus sah in der Wissenschaft den vollkommenen Menschen, der ihm da erschien, wo den Sterblichen der sündige, sterbliche Mensch erscheint. In diesem vollkommenen Menschen sah der Heiland Gottes eignes Gleichnis, und diese korrekte Anschauung vom Menschen heilte die Kranken.“
Als der blinde Bartimäus hörte, daß Jesus von Nazareth vorüberging, schrie er: „Jesu, du Sohn Davids, erbarme dich mein!“ Es ist für den, der nicht sofort Heilung erlangt, eine beachtenswerte Tatsache, daß der blinde Bettler nicht zum Schweigen gebracht werden konnte, sondern immer lauter schrie, er wolle geheilt werden. Der Meister, der nur des Menschen vollkommene Wiederspiegelung der göttlichen Liebe vor Augen hatte, fragte: „Was willst du, daß ich dir tun soll?“ worauf er der Bitte um Heilung mit einem sofortigen Beweis der Liebe Gottes gegen die Menschen willfahrte. Die Darlegung dieses Begebnisses im Evangelium des Lukas schließt mit der Erklärung, der Mensch sei Jesu nachgefolgt und habe Gott gepriesen. „Und alles Volk, das solches sah, lobte Gott.“
Für den Meister schloß also die Schöpfung Gottes nicht die Bekundungen von Krankheit, Blindheit oder irgendeinem Leiden des Fleisches in sich. Er glaubte nicht, daß diese Zustände Macht hätten über den menschlichen Daseinssinn, noch dachte er sich Gott als weit entfernt, als einen Herrscher, der Seine Schöpfung durch starre, grausame Gesetze regiert. Seine Lehre und Ausübung veranschaulichte die Tatsache, daß er Gott als einen zärtlichen, liebevollen Vater erkannte, der stets in Seinem ganzen Weltall die unendliche Vollkommenheit und Güte völliger Liebe zum Ausdruck bringt; der absolute Harmonie bewirkt, in welcher Gesundheit, Freude und Friede stets Ergebnisse des Gehorsams gegen das Gesetz Gottes sind.
In unseren Tagen bezeugen die Christlichen Wissenschafter aufs neue freudigen Herzens die Allmacht und zärtliche Fürsorge der göttlichen Liebe. Sie sind der Zuversicht, daß zuletzt die ganze Menschheit die Wahrheit der folgenden Worte Mrs. Eddys verstehen und demonstrieren werden (Miscellaneous Writings, S. 82): „Der Mensch ist der Sprößling und die Idee des höchsten Wesens, dessen Gesetz vollkommen und unendlich ist. Im Gehorsam gegen dieses Gesetz entfaltet der Mensch immerdar die endlosen Segnungen des Seins; denn er ist das Bild und Gleichnis des unendlichen Lebens, der unendlichen Wahrheit und Liebe.“
