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Treue

Aus der Februar 1920-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Wenn sich der redliche Forscher die Zeit nimmt, auf seinen Pfad zurückzublicken, so findet er, daß ihm bei jeder Windung des Weges eine führende Hand die Richtung gezeigt hat. Mochte ihm diese Führung noch so unbestimmt und noch so indirekt vorgekommen sein, er hat sie nichtsdestoweniger gespürt, indem sie ihn freundlich leitete, ihm den Weg kenntlich machte und ihn ermutigte. Unserer menschlichen Auffassung gemäß mag sich diese Führung in der Stimme eines Unbekannten äußern, oder in einem Wort der Weisheit, das ein Vorübergehender fallen läßt, oder es ist die innere Stimme, die uns in einer bestimmten Richtung vorwärtstreibt, oder die Warnung eines uns Nahestehenden. Dieser Schutz wird uns zu verschiedenen Zeiten und auf verschiedene Weise zuteil. Wie herrlich ist es doch, daß die Verheißung, die Daniel erhielt, jedem einzelnen von uns ebenfalls gilt: „Fürchte dich nicht, Daniel; denn von dem ersten Tage an, da du von Herzen begehrtest zu verstehen und dich kasteitest vor deinem Gott, sind deine Worte erhört.“

Treue gegen das, was wir als das Beste erkannt haben, zeigt uns unfehlbar den Weg, der vor uns liegt, und bewahrt uns vor den Fallstricken, die uns auf dieser sterblichen Daseinsstufe überall zu umgeben scheinen. Wer treu ist, kann stets darauf bauen, daß er richtig geleitet werden wird. Wohl mag er irregehen, straucheln und eine Zeitlang im Dunkeln umhertappen; aber schon ein geringes Maß der Treue ist ein Licht, das mit ungeahntem Glanze leuchtet und den Pfad erkennen läßt, der vorwärts führt. Niemals sind für diejenigen, die gegen Entmutigung zu kämpfen haben, erhebendere Worte geschrieben worden als die, welche Mrs. Eddy auf Seite 340 von „Miscellaneous Writings“ an die Welt richtet. In dieser Botschaft wird uns nicht etwa ein leichter Weg zum Himmel versprochen; vielmehr sagt Mrs. Eddy: „Nur durch beharrliches, unermüdliches Vorwärtsdringen, nur dadurch, daß du dich weder nach rechts noch nach links wendest und kein anderes Ziel verfolgst, keine andere Freuden suchst als die von Gott kommenden, kannst du die Krone der Getreuen erringen und tragen.“ Und weiter unten fährt sie fort: „Das Leben großer Männer und Frauen ist ein Wunder der Geduld und Ausdauer.“

Eine gewisse Strophe, die mir seit vielen Jahren im Gedächtnis geblieben ist, beschreibt den Weg zum Ruhm als einen von der Sonne versengten öden Weg ohne jeglichen Gefährten und voller Schmerzen — kurz als eine Bahn, auf der man keinen Dank erntet, die jeder Lieblichkeit entbehrt und die dem Wanderer als ein Ziel vorgehalten wird, das zu erreichen ihn nur die Glut in seiner Brust antreiben kann. Wie viele schließen sich aber dieser Schar an, wie viele ertragen Entbehrung, Hohn, die äußerste irdische Grausamkeit und bleiben ihrem Ideal treu? Dieses Ideal ist zuweilen nichts anderes als der geheime Wunsch, in die Tiefen weltlichen Wissens einzudringen und eine Zeitlang als ein Stern unter den intellektuellen Größen dieser Welt zu glänzen, oder aber ist es eine bloße dichterische Phantasie, so leuchtend und blendend wie die flatternden Flügel des Schmetterlings und ebenso vergänglich; oder es ist eine sogenannte wissenschaftliche These, die nach freierer Ausdrucksform ringt. Was der Gegenstand auch immer sein mag, das Ziel des Ruhmes hat an und für sich nichts zu bieten, was ewig ist und was befriedigen könnte, nachdem man es erreicht hat.

Was können wir angesichts der großen Treue dieser Wanderer sagen, die nach einem vergänglichen Aufenthaltsort suchen, während wir doch eine Stadt suchen, die „nicht mit Händen gemacht,“ die „ewig ist, im Himmel“? Sind „die Kinder dieser Welt ... klüger als die Kinder des Lichtes in ihrem Geschlecht“? Sollten wir nicht gegen das Beste in uns viel treuer sein, da doch selbst die Kinder dieser Welt nicht ihre Schritte zählen, sondern den Blick auf das Ziel gerichtet halten und trotz Mühsal, Spott und Armut ausharren, bis sie einen gewissen Grad des Erfolgs erreicht haben? Treue in allem, was recht ist, führt doch schließlich zum Ziel, und dann erkennt man, daß alle Prüfungen, die voraus gegangen sind, nichts als Schritte waren, die zum Ziele führten; ja daß man die Entfernung zwischen dem Anfang und dem Ende des Weges nicht ohne diese Zwischenschritte hätte zurücklegen können.

Man kann aus den Erfahrungen so manches Schriftstellers eine Lehre ziehen. Gelingt es ihm schließlich, durch treue Arbeit die Tür des Erfolges weit zu öffnen, so daß er aufrecht dasteht und sich in dem ihn umflutenden Lichte wärmt, dann trägt jeder frühere Versuch zu seinem Ruhme bei; nicht eine einzige Stunde der Arbeit war umsonst gewesen. Sollte dies nicht vielmehr von unseren Augenblicken des Schwankens, von unseren Stunden des Wartens, unseren Tagen voller Geduld und Ausdauer gelten? Treue ist ein herrliches Wort und hat eine herrliche Bedeutung. Kein Wort belebt das müde Herz so rasch wie eine Ermahnung zur Treue.

Hier fällt mir nun ein Beispiel ein, welches die wunderbare Tiefe dieses Wortes erkennen läßt und welches zugleich zeigt, wie die Treue gegen das Beste, das man bisher erkannt hat, zu einem lichteren Ausblick führen muß. Vor einer Kirche der Christlichen Wissenschaft stand eine einsame Gestalt, die mit düsterem Blick die Gruppen von glücklichen Menschen hineingehen sah. Sie war von weither gekommen und blieb nun unbemerkt am Straßenrande stehen. „Warum weiter gehen?“ war der Gedanke, der sich ihr aufdrängte. Solcher Sonnenschein würde ja doch niemals ihr Teil sein. Von Erstaunen hingerissen, hatte sie sich auf die Suche nach der Wahrheit begeben. Irgendwie war die klare Vision verblichen; aber die Heilung war geblieben. Sie fühlte sich versucht, damit zufrieden zu sein. Irgend etwas schien sie von den übrigen Segnungen der Christlichen Wissenschaft auszuschließen, von der Freude, der Wärme und dem Glück, wie man es so deutlich in den liebevollen Leben derer sehen konnte, die in das schöne Gebäude eintraten. Einen Sonntag nach dem anderen, einen Mittwochabend nach dem anderen war sie hineingegangen, aber heute, an diesem herrlichen Morgen, konnte sie nicht länger ertragen, was ihr wie ein Hohn vorkam. Was hatte sie gemein mit jenen anderen, mit ihren Freuden? Was auch immer das Geheimnis hinter diesen frohen Gesichtern sein mochte, sie hatte keinen Teil daran; ihr würde sich das Rätsel nicht enthüllen. Wozu sollte sie noch länger suchen? Allein, körperlich geheilt, mußte sie weiter ringen. Es schien nicht die geringste Verbindung zwischen diesem Glanz und ihrem eigenen düsteren Dasein zu bestehen — düster, wiewohl sie von körperlichen Schmerzen befreit war.

Sie drehte sich halb um und hörte hierauf den Gruß: „Guten Morgen, Sie Getreue!“ Zunächst schienen diese Worte garnicht für sie bestimmt zu sein; aber ein lächelndes Antlitz und eine ausgestreckte Hand überzeugten sie bald, daß dies der Fall war. Jemand hatte die einsame Gestalt Sonntag für Sonntag bemerkt; jemand hatte sie tatsächlich für treu gehalten. Die Sprechende ging vorüber und in die Kirche hinein, aber ihr Gruß blieb zurück. „Getreue!“— das Wort wirkte wie ein Segensspruch auf das Herz der Frau. Nie zuvor hatte ihr ein Wort so wohlwollend, so erbarmungsvoll geklungen. Sie fühlte, daß sie in irgend etwas treu gewesen sein müsse, sonst würde das Wort gewiß nicht veranlaßt worden sein. Aber worin? Die Antwort lautete: sie war ihrem Verlangen treu geblieben, mehr von der Wahrheit zu lernen, die sie bereits von Leiden befreit hatte. Dies war das Band zwischen ihr und dieser lichten Welt. Sie konnte auch noch ferner treu bleiben. Mit leichterem Schritt, als sie ihn seit Tagen gekannt hatte, schloß sie sich nun wiederum denen an, die in die Kirche eintraten. Wohl war ihr Kampf gegen die Mutlosigkeit noch nicht beendet; aber mochten die Tage jetzt noch so düster sein, sie wußte wenigstens, daß sie dem wenigen, was sie gelernt hatte, treu bleiben konnte, treu dem Wunsche, mehr zu lernen. Dies eine, diese Eigenschaft der Treue konnte und würde sie mit dem Leben verknüpfen, welches vor ihr lag.

Wenn wir achtgeben, finden wir an jeder Windung unseres Weges, daß unser Vater uns nicht vergessen hat, daß uns Worte oder Gedanken einfallen, die unseren Fuß nicht von dem rechten Pfade weichen lassen, zuweilen sogar gegen unseren eigenen Willen. Wie der Engel dem Daniel erschien, so erlangen auch wir die Überzeugung, daß unsere Worte erhört werden, daß Gott niemand verachtet noch verläßt. Selbst wenn wir auf sonnenverbrannten Wegen wandern, wie die Pilger auf dem Wege zum Ruhm, werden wir mit der Zeit die Türen der Materialität auftun und der Freude über die Vision jenseits derselben teilhaftig werden. Dann werden wir im Bewußtsein der uns von Gott verliehenen Herrschaft aufrecht dastehen und uns in dem Glanze sonnen, der sich in unser Leben ergießt, einem Glanz, der nie verbleichen wird. In Miscellany (S. 150) gibt uns unsere Führerin folgende Versicherung: „Verzweifle nicht und murre nicht, denn das, was dich erlösen, heilen und befreien möchte, wird dich führen, wenn du diese Führung suchst.“

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