Die natürliche Liebe der Menschen für das Schöne hat nicht allgemein befriedigt, und zwar deshalb nicht, weil das menschliche Gemüt eine durchaus materielle Auffassung von der Schönheit hat. Wenn wir Begriffsbestimmungen verlangen, so wird uns gesagt, die Schönheit eines Gegenstandes sei eine Eigenschaft, die das ästhetische Gefühl anspreche und es befriedige. Eine ihrer Bestandteile sei Vollkommenheit der Form, das Ergebnis einer harmonischen Verbindung verschiedener Elemente. Obgleich Form das Wesen sei, das ein Ding zu dem mache, was es ist, so könne es doch keine Form ohne Materie geben. Da sich Schönheit von Güte und Wahrheit unterscheide, so könne ein Gegenstand schön sein, ohne notwendigerweise gut und wahr zu sein, indem letztere Eigenschaften mehr in das Gebiet der Logik und der Moral als in das der Ästhetik gehörten. Nun mögen ja diese Begriffsbestimmungen vom Standpunkte des Materialisten recht interessant sein, aber das Verlangen nach dem Schönen befriedigen sie nicht, auch fehlt ihnen die Kraft, den Gegensatz zum Schönen, nämlich das Unvollkommene und Häßliche der sterblichen Erfahrung, aus dem Wege zu räumen.
Von ihrem materiellen Begriff losgelöst und im Lichte der göttlichen Metaphysik betrachtet, erscheint die Schönheit immer noch als Vollkommenheit in bezug auf Form und mannigfaltige Einheitlichkeit; nur werden Form und Einheitlichkeit an sich als besondere Bekundungen des göttlichen Gemüts und nicht der Sterblichkeit erkannt und sind somit im Ausdruck ebenso gewiß und in demselben Grade geistig wie Geduld, Freude, Demut und andere Eigenschaften des Gemüts. Der materielle Sinn kann sich die Einheit des Guten nicht vorstellen, und dessen Bestreben, das Gute, das Wahre und das Schöne in verschiedene Klassen einzuteilen, hat zur Folge, daß der wahre Begriff von Vollkommenheit und die Fähigkeit, sie zu erlangen, verloren geht. In bezug auf Schönheit schreibt Mrs. Eddy in Wissenschaft und Gesundheit (S. 247): „Schönheit, ebenso wie Wahrheit ist ewig; die Schönheit der materiellen Dinge aber vergeht, verwelkend und flüchtig wie die sterbliche Annahme.“ Und etwas weiter unten auf derselben Seite sagt sie: „Anmut und Liebreiz sind unabhängig von der Materie. Das Sein besitzt seine Eigenschaften, ehe sie menschlich wahrgenommen werden. Schönheit ist ein Ding des Lebens, sie wohnt immerdar in dem ewigen Gemüt und spiegelt den Zauber Seiner Güte in Ausdruck, Gestalt, Umriß und Farbe wieder.“ Wenn man erst erkannt hat, daß nichts vollkommen schön sein kann, was nicht gut ist, und daß Wahrheit stets schön ist, beginnt die Schönheit der Heiligkeit im Bewußtsein aufzudämmern, denn von dieser Grundlage aus, oder, wie der Psalmist sagt, „aus Zion, der vollkommenen Schönheit, hat Gott hervorgeleuchtet“ (n. d. engl. Bibelübersetzung).
Der Mensch gibt sehr gerne materielle Zustände auf, die ihm widerlich sind. Dabei muß er aber bereit sein, auch seinen Glauben an schöne Materie aufzugeben, nach der er Verlangen zu haben glaubt. Wird ihm gesagt, Schönheit sei eine geistige Eigenschaft, so nimmt er das leicht übel auf. Er meint, diese Lehre übe in weit höherem Maße Raub an der sinnlichen Schönheit als die frühere Annahme, daß sinnliche Schönheit beschränkt sei. Betrübt fragt er, wie es sich dann mit der Schönheit und Harmonie des materiellen Weltalls verhalte. Sind sie bloß materiell und unwirklich, muß man sich von ihnen abwenden und darf man sie nicht mehr genießen? Diese Frage, die vielen Kopfzerbrechen bereitet hat, beantwortet Mrs. Eddy in „Rudimental Divine Science“ (S. 6) wie folgt: „Als Gemüt sind sie wirklich, aber nicht als Materie. Schönheit und Güte sind ausschließlich im und vom Gemüt, sie kommen von Gott. Wenn wir aber das Wesen der Schönheit und Güte aus dem Gemüt entfernen und es in die Materie verlegen, dann wird die Schönheit durch einen falschen Begriff entstellt, und für die materiellen Sinne tritt das Böse an Stelle des Guten.“
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