Unter Gesinnungstreue versteht man in der Christlichen Wissenschaft das unwandelbare und gehorsame Festhalten an dem göttlichen Prinzip, an Gott. Der Grad unserer Gesinnungstreue wird daher durch den Grad der Übereinstimmung unseres Denkens und Handelns mit dem Prinzip bestimmt, und es muß somit eher als Treulosigkeit denn als Gesinnungstreue bezeichnet werden, wenn man sich dem persönlichen Einfluß eines einzelnen Menschen unterzieht und sich von ihm leiten läßt, anstatt nach der Führung des Geistes zu streben. Wie treu man sich auch an die Führung eines Sterblichen halten mag, selbst unter der Voraussetzung, daß dieser menschliche Führer angenommenermaßen ein guter Mensch ist, so kann dies doch nicht als Gesinnungstreue bezeichnet werden. Gesinnungstreue verlangt von uns, daß wir dem Christus nachfolgen. Sie fordert von uns, daß wir die unmittelbare geistige Erkenntnis, die Offenbarung und richtige Einsicht, die wir erhalten, in die Tat umsetzen, uns dem heilenden Einfluß des Geistes, Gott, hingeben und die beschränkte Auffassung der Dinge, die uns das menschliche Gemüt einflüstern möchte, zurückweisen.
Jesus der Christus war der höchste Typus geistiger Gesinnungstreue, den unsere Welt kennt, und aus diesem Grunde nehmen ihn die Christlichen Wissenschafter als vollkommenes Vorbild an. All seine Gedanken und Handlungen, wie sie zum Ausdruck kamen, stimmten mit der göttlichen Norm so vollkommen überein, daß er irgendeinen Zustand der Krankheit oder Sünde, der sich ihm darbot, augenblicklich zu heilen vermochte. Seine Gesinnungstreue war unbedingt, und er bewies seine Sohnschaft mit seinem Vater-Mutter, dem göttlichen Prinzip, bei allen täglichen Vorkommnissen. Eine Theorie ganz annehmen und nur zum Teil ausüben, war nicht die Art unseres Erlösers. Seine Bestrebungen zum Guten dienten nicht teilweise dem Guten und teilweise dem Bösen, dem Geist und der Materie. Er brachte nicht in dem einen Falle Liebe zum Ausdruck und in dem anderen Haß oder Furcht, noch in dem einen Falle das göttliche Gemüt und in dem anderen das sterbliche Gemüt. Jeder Augenblick der erhabenen Laufbahn unseres Meisters war der Offenbarung des göttlichen Prinzips geweiht,— rückhaltlos, ungeteilt und unablässig. Seine nieversagende Wiederspiegelung, die in ihrer Wirkung auf andere nur durch das mangelhafte Fassungsvermögen oder die Kleingläubigkeit derer, die um ihn waren, behindert war, zog alle zu ihm heran, die für das Gute, das er für sie hatte, bereit waren, und deren Glaube stark genug war, um dadurch gesegnet zu werden.
Besonders schön an der Christlichen Wissenschaft ist, daß sie in keiner Weise unsere Liebe für unsere Familie und Freunde und unsere treue Anhänglichkeit an sie beeinträchtigt, sondern vielmehr bereichert. Die Christlichen Wissenschaft finden gewöhnlich, daß sie durch das praktische Anwenden der Christlichen Wissenschaft rücksichtsvoller werden und daß sich ihre Beziehungen zu anderen dadurch enger und dauernder gestalten; auch, daß sich ihre Liebe bereichert, ihr Gesichtspunkt sich erweitert und ihnen eine tiefere Einsicht in die Bedürfnisse und Rechte aller Menschen zuteil wird. Ein solches Sicheinbürgern des Guten im menschlichen Denken ist auf gesunder und dauernder Grundlage. Es gewinnt beständig an Einfluß, und seine Wirkung erstreckt sich unparteiisch und unterschiedslos auf alle Rassen und Nationalitäten.
Diese vergeistigte Art der Gesinnungstreue, die durch den stetigen Fortschritt in der Christlichen Wissenschaft immer beständiger und reiner wird, segnet nicht nur diejenigen, die sie betätigen, sondern auch alle, die sich in ihrem Wirkungskreis befinden. Ihr Sauerteig wirkt sicherer als der Sauerteig im Brot des Bäckers; das Sein ist geistig und ist daher den Schwankungen und Veränderungen irgendwelcher mutmaßlicher, materieller Einflüsse nicht unterworfen.
In dem Maße wie die Menschen die göttlichen Möglichkeiten der Christlichen Wissenschaft mehr und mehr erfassen und dadurch getreuer am göttlichen Prinzip festhalten lernen, offenbart sich ihnen durch die Wirkung des Prinzips eine Fülle geistiger Ideen und eine umfassendere Herrschaft. Dieses getreuere Festhalten an der geistigen Wirklichkeit ist nicht das Ergebnis ungewöhnlichen persönlichen Verdienstes oder außerordentlicher Intelligenz. Wir lernen es durch kindliches Vertrauen auf die göttliche Liebe, und dadurch, daß wir dieselbe als die einzige Quelle der geistigen Ideen anerkennen, die wir zu unserem Fortschritt und einer gesunden und kräftigen Beteiligung an der Verbreitung der Wahrheit durch Beispiel und Lehre nötig haben.
Diese richtige Auffassung von Gesinnungstreue wird uns nicht davon abhalten, an den Geschäften des täglichen Lebens regen Anteil zu nehmen. Im Gegenteil, sie erhöht unsere Leistungsfähigkeit und unser Pflichtgefühl. Der Christliche Wissenschafter lernt dadurch sowohl seinem Arbeitsgeber wie auch seinen Mitarbeitern gegenüber treuer zu sein. Letztere sind für den göttlichen Einfluß leicht empfänglich und werden in ihrem Denken und ihrer Arbeit dadurch gefördert, ohne sich vielleicht der Ursache bewußt zu sein, die sie zum Guten führt. Auf diese Weise ist der gewissenhafte Schüler imstande, das Denken der Umgebung, in der er geschäftlich tätig ist, zu heben und sich dadurch für verantwortlichere Stellungen und eine umfassendere Tätigkeit vorzubereiten, unter Umständen vielleicht für die ausschließlich geistige Arbeit eines Praktikers der Christlichen Wissenschaft.
Gesinnungstreue gegen die Wahrheit verleiht den Menschen größere Unabhängigkeit und mehr Freiheit des Denkens und Handelns. Sie nimmt den falschen Glauben an die Beschränkungen menschlicher Gebräuche und Denkungsarten von ihm, hebt ihn in die freiere Atmosphäre des göttlichen Gemüts, und bietet ihm die fortwährende Gelegenheit, sich von dem scheinbar unwiderstehlichen und allgemein verbreiteten Glauben an den Gott dieser Welt,— die Liebe zum Geld,— abzuwenden. Verlassen wir uns wirklich auf das göttliche Prinzip für unseren Unterhalt und unsere tägliche Erfrischung, oder verlangt uns nach den Schätzen dieser Welt und größerem Komfort, und nach dem Besitz materieller Dinge, die unsere Eitelkeit befriedigen und mit denen wir der Welt gegenüber prahlen können: Schau mich an, was ich alles habe! Um richtig zu verstehen, was Substanz ist, müssen wir die Wahrheit erfassen, daß wir nichts empfangen und besitzen können als die geistigen Ideen des göttlichen Gemüts und daß alles andere auf einer falschen Auffassung von Substanz beruht, welcher der Christliche Wissenschafter nicht Raum geben sollte.
Des Schülers Gesinnungstreue zum Prinzip erhöht seine Gesinnungstreue gegen alles, was mit diesem Prinzip übereinstimmt, und hierin ist die Kirche mit eingeschlossen. Er gewinnt ein besseres Verständnis der wahren Bedeutung der Kirche, wie Mrs. Eddy dieselbe in ihren Werken, einschließlich des Handbuchs Der Mutter-Kirche, erklärt. Er lernt, daß die Kirche in Wirklichkeit vom göttlichen Prinzip regiert wird, und daß die Arbeit der verschiedenen Zweige der Organisation niemals erfolgreich vor sich gehen kann, wenn die Forderungen der göttlichen Liebe nicht gewissenhaft erfüllt werden. Die Offenbarung Mrs. Eddys in bezug auf die wahre Bedeutung der Kirche kann nicht umgekehrt, bestritten oder als nichtig erklärt werden. Diese Kirche ist geistig und unsterblich und kann weder zerstört noch umgestaltet werden, und so wird sie fortbestehen als der „Bau der Wahrheit und Liebe; alles, was auf dem göttlichen Prinzip beruht und von ihm ausgeht,“ wie Mrs. Eddy es auf Seite 583 von „Wissenschaft und Gesundheit“ bezeichnet.
Wenn die Christlichen Wissenschafter den richtigen Begriff von „Kirche“ gewinnen, wird sich die Organisation und der Aufbau derselben in einer Weise kundtun, die der Welt großen Segen bringen wird. Ihre äußere Form wird solange weiterbestehen, wie es nötig ist, um die Menschheit zum Verständnis der Wahrheit zu führen. Eine solche Organisation wird nötig sein, bis die ganze Welt auf jene Stufe gelangt, von welcher Jeremia prophezeit: „Nach dieser Zeit, spricht der Herr: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben ... sie sollen mich alle kennen, beide, klein und groß.“ Alsdann wird der Mensch keine andere Regierung anerkennen als diejenige des göttlichen Prinzips, dem er unablässig folgen wird. Die Organisation jedoch wird genau solange bestehen bleiben, wie sie nötig ist, das heißt, bis die Welt bereit ist allein durch die göttliche Liebe regiert zu werden. Das Erreichen dieses Zustandes ist nicht unmöglich, und die Welt schreitet ihm rascher entgegen, als es oft für möglich gehalten wird. Aber wie lange es bis dahin dauern wird und welcher Art unsere Erfahrungen unterdessen sein werden, „weiß niemand,. .. auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater.“
Unterdessen haben wir die wunderbaren Möglichkeiten der Kraft stets vor Augen, welche die Kranken heilt, die Aussätzigen reinigt, die Toten aufweckt, die Teufel austreibt und den geistig Armen das Evangelium predigt. In dem Maße unseres Verständnisses werden wir diese Heilungen vollbringen und durch getreues Festhalten am göttlichen Prinzip die Vergeistigung erlangen, die jenen vollkommenen harmonischen Zustand für die Menschheit herbeiführen wird.
In dem Handbuch Der Mutter-Kirche (Art. VIII, Abschn. 6) weist Mrs. Eddy auf die Pflicht der Christlichen Wissenschafter hin, „sin täglich gegen aggressive mentale Suggestion zu schützen und sich nicht verleiten zu lassen, seine Pflicht gegen Gott, gegen seine Führerin und gegen die Menschheit zu vergessen oder zu versäumen.“ Wenn wir die wirkliche Gesinnungstreue gegen diese Forderungen besitzen, dann werden wir sie alle getreu erfüllen. Wir beweisen unsere Gesinnungstreue gegen unsere Führerin dadurch, daß wir uns das Verständnis dessen, was sie uns im Kirchenhandbuch und in ihren anderen Schriften darlegt, aneignen und ihren Anweisungen gehorchen. Mrs. Eddy erhielt die in diesen Werken enthaltene Offenbarung vom göttlichen Gemüt, und wenn wir mit dieser Offenbarung in geistiger Übereinstimmung stehen und ihr folgen, dann bringen wir die wahre Gesinnungstreue gegen Mrs. Eddy zum Ausdruck. Gott konnte ihr nicht eine Offenbarung geben und uns eine andere, die der ihrigen widerspricht. Mrs. Eddy war ein treuer Zeuge des göttlichen Gemüts, und es ist unser Vorrecht, ihr, als unserer von Gott bestimmten Führerin, zu folgen und gleich ihr, treue Zeugen des einen göttlichen Gemüts zu sein. So werden wir alle, wie sie erwartete und hoffte, das göttliche Ebenbild zum Segen der Menschheit wiederspiegeln und das göttliche Ideal, das sie sich bestrebte, uns beständig vor Augen zu halten und unserem Verständnis nahe zu bringen, tatsächlich erfassen. Eine solche Gesinnungstreue ist eine feste Grundlage, die uns unter allen Umständen, ob gut oder böse, beschützt, und uns befähigt, frei von persönlichem Wünschen oder Ehrgeiz unseren Mitmenschen wahrhaft zu dienen.
„, Treu sein‘ heißt dem Vater im Himmel, sich selbst und
unseren Mitmenschen treu sein.“