Die Erwiderung des Petrus an den lahmen Mann, der ihn und den Johannes „vor der schönen Tür des Tempels” um Almosen bat, als sie miteinander hinaufgingen, um zu beten, enthält eine wertvolle Botschaft für alle, die willig sind zu hören. „Silber und Gold habe ich nicht”, erklärte der Jünger, der oft der ungestüme genannt wird, „was ich aber habe, das gebe ich dir”. Und dann rief er jene mächtigen Worte aus, die aus der Fülle seines demonstrierten Verständnisses kamen: „Im Namen Jesu Christi von Nazareth stehe auf und wandle!”—Worte, die den Lahmen aus seinem Siechtum in ein Gefühl der Freiheit hoben, so daß er gehen konnte und „wandelte und sprang und lobte Gott”.
Beim Nachdenken über diese Bibelstelle müssen wir uns fragen: Was befähigte den Petrus, dem von Geburt an Lahmen augenblickliche Befreiung zu bringen? Besaß dieser Jünger des Meisters eine wundertätige Macht, die anderen Menschen gewöhnlich nicht eigen ist, oder hatte ihm der Nazarener während jener fruchtbaren Jüngerjahre etwas Besonderes verliehen? Wir finden die Antwort in einem der nachfolgenden Verse, worin erzählt wird, daß Petrus, von der über das ungewöhnliche Geschehnis erstaunten Menge bedrängt, die Gelegenheit ergriff, das Evangelium Christi Jesu zu predigen. „Und durch den Glauben an seinen Namen hat diesen, den ihr sehet und kennet, sein Name stark gemacht; und der Glaube durch ihn hat diesem gegeben diese Gesundheit vor euren Augen”. Diese Erklärung ist völlig befriedigend, wenn man beachtet, daß die Bedeutung des hier mit „Glaube” übersetzten griechischen Wortes dem Wort „Verständnis” nahekommt. Des Petrus Glaube an Christus Jesus als den Beweisführer der Gegenwart und Macht Gottes befähigte ihn, dem so viele Jahre von einer falschen Annahme in Banden gehaltenen Mann Befreiung zu bringen.
„Was ich aber habe, das gebe ich dir”! Das Licht, in dem diese herrliche Begebenheit durch die Christliche Wissenschaft erscheint, erklärt das Denken und Handeln des Petrus. So bestimmt verstand er Jesu Mission, so klar war sein Erschauen des Christus und vollkommenen, geistigen Menschen, daß er diese herrliche Tat vollbringen konnte, die ein Wunder zu sein schien, im Lichte der Christlichen Wissenschaft aber als das folgerichtige Ergebnis der Anwendung geistiger Wahrheit erfunden wird. Wieviel größer war der Dienst, den Petrus dem lahmen Mann erwies, als derjenige, der ihm durch das Geben von Almosen in der Form von Silber und Gold oder sonst einer materiellen Gabe hätte erwiesen werden können! Das durch geistiges Verständnis gewonnene Freisein war in der Tat eine Gabe Gottes!
Der Christliche Wissenschafter weiß nur zu gut, daß er erst geben kann, wenn er selbst erworben hat. Eine Stelle aus dem bekannten Lied unserer Führerin weist auf die Ordnung hin, in der zu Werke gegangen werden muß (Gedichte, S. 14):
„Wie ich ernten soll und sä'n
Und die Schafe weiden”,
und macht es überaus klar, daß wir zuerst den Samen einbringen müssen, ehe wir säen und die Schafe weiden können; denn es ist selbstverständlich, daß wir nicht geben können, was wir nicht besitzen. Die Aufgabe faßt sich daher so zusammen: Wie erlangen die Christen jenen Grad geistigen Verständnisses, der sie befähigt, wie Petrus die Bedrückten zu befreien? Mrs. Eddy hat es uns sehr klar gemacht. Nicht nur hat sie uns das Verfahren geoffenbart, sondern sie erbrachte auch den Beweis seiner Anwendbarkeit, indem sie die herrlichen Werke wiederholte, die der Meister und seine Jünger vollbrachten. Auf Seite 505 in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” lesen wir: „Geistiges Verständnis entfaltet Gemüt—Leben, Wahrheit und Liebe—und demonstriert den göttlichen Sinn, indem es den geistigen Beweis des Universums in der Christlichen Wissenschaft liefert”.
Durch die Offenbarung der Wahrheit, die Petrus während der Jahre des Dienens bei dem großen Lehrer beobachtet und erfahren hatte, erlangte er das geistige Verständnis, durch das er die Ansprüche des Bösen, das die Menschen in Banden halten möchte, als nichtig erkennen und sie so zerstören konnte. Was für ein unschätzbarer Besitz,—die Fähigkeit, die Menschen zu befreien!
„Was ich aber habe, das gebe ich dir”! Wenn unsere Gabe würdig sein soll, muß sie göttliche Eigenschaften haben. Sie muß von Gott verliehen sein und Sein geistiges Wesen zum Ausdruck bringen. Ist die Gabe Gottes nicht jener heilige Zustand geistigen Bewußtseins, der über die Annahmen des sterblichen Gemüts erhaben ist und von den Ansprüchen des Bösen keine Kenntnis nimmt, ihnen nicht die geringste Wirklichkeit oder Macht zuerkennt? Zu dem zum Überfließen von dem Licht und der Liebe Gottes erfüllten Gedanken kann auch nicht ein Schatten des Bösen hinzugefügt werden. Diesen Grad geistigen Bewußtseins zu erlangen, ist das hohe Ziel des wahren Christen. So ausgerüstet können wir wie Petrus das Beste, das wir haben, anbieten; und dieses Beste wird die Ketten des Irrtums, was auch immer seine äußere Form sei, zerreißen und den Gefangenen befreien. In ihrer unvergleichlichen Sprache in „Wissenschaft und Gesundheit” (S. 15) weist uns unsere Führerin den Weg: „Selbstvergessenheit, Reinheit und liebevolles Wesen sind beständiges Gebet. Betätigung, nicht Bekenntnis, Verständnis, nicht Annahme, gewinnen das Ohr und die rechte Hand der Allmacht und rufen sicherlich unendliche Segnungen herab”. Und sie schließt den Abschnitt mit folgenden bedeutungsvollen Worten: „Wenn wir für Heiligkeit nicht geschickt sind, können wir Heiligkeit nicht empfangen”. Der Christliche Wissenschafter strebt also vor allem danach, heilig zu sein,—durch geistiges Verständnis frei zu werden von der fleischlichen Gesinnung, den Annahmen der Materialität, die das menschliche Dasein bedrängen. Auf diese Weise, und nur auf diese, können die Worte des Petrus mit gleicher Macht wiederholt werden.
