Das Leben des Christlichen Wissenschafters sollte ein überzeugend praktischer Beweis zweier Grundtatsachen des Seins sein, nämlich der allumfassenden Vaterschaft und Mutterschaft Gottes und der allgemeinen Brüderschaft der Menschen. Mrs. Eddy schreibt (Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 332): „Vater-Mutter ist der Name für die Gottheit, der ihr zärtliches Verhältnis zu ihrer geistigen Schöpfung andeutet. Dies drückt der Apostel in Worten aus, die er mit innerer Zustimmung aus einem klassischen Dichter zitiert: ‚Wir sind seines Geschlechts‘”.
Wir dürfen wohl sagen, daß die meisten von uns sich mit der Christlichen Wissenschaft befassen, weil wir die Wahrheit suchen, und weil wir in ihren heilenden Strahlen unsern ersten Schimmer der Wahrheit, Gottes, erblickt haben. Sehr bald sehen wir uns jedoch vor die Notwendigkeit gestellt, unser neues Verständnis in die Tat umzusetzen; denn wir müssen es anwenden, wenn wir wachsen wollen. Um dieser Forderung nachzukommen, müssen wir den uns von unserer Führerin vorgezeichneten einfachen, geraden Weg einschlagen. Dadurch, daß wir alle unsere Gedanken, Gewohnheiten und Wünsche am Maßstab der Wahrheit prüfen, die herkömmliche weltliche Maske, die unsere wirkliche Eigenart verdeckt, ablegen, erlangen wir selber die bleibende Befriedigung einer innigeren Annäherung an die Wahrheit und veranschaulichen unserem Bruder unsern wahren Begriff vom Menschen als Widerspiegelung der Wahrheit.
Der Schüler der Christlichen Wissenschaft, der diese Richtung unbeirrt verfolgt, findet, daß er im täglichen Verkehr eine neue Freiheit und Menschenliebe ausdrückt. Klar und beweisbar erkennen, daß Gott, die göttliche Wahrheit, in der Tat der Vater aller ist, heißt den Kern wahrer Demokratie verstehen. Diese Erkenntnis, die denen unvermeidlich kommt, die bestrebt sind, in Übereinstimmung mit der Wahrheit zu leben, kann und wird alle menschlichen Beziehungen umgestalten. Angefacht durch ihre Anregung wird das ganze Verhalten des Schülers freier und freundlicher. Er glaubt nicht nur lehrmäßig, sondern versteht tatsächlich die große Tatsache, daß alle Kinder Gottes in des Vaters Augen gleich wertvoll sind und es daher auch für ihn sein müssen. Und dieses Verständnis macht ihn offenherzig und vorurteilslos, so daß er ein wahrer Bruder der ganzen Menschheit wird.
Sollte der Schüler je fühlen, daß er die wahre Brüderschaft nicht klar zu sehen vermag; sollte er entdecken, daß sich die alten Schranken Gleichgültigkeit, Mißtrauen und Haß zwischen ihm und seinen Mitmenschen wieder erheben, so sollte er unverzüglich sein eigenes Denken untersuchen. Vielleicht findet er, daß die falschen Annahmen Empfindlichkeit, Zurückhaltung, unfreundlicher Tadel oder irgend eine der vielen Formen menschlichen Stolzes einlaßbegehrend an die Tür seines Denkens klopfen. Er sollte sie entschieden und sofort abweisen und in die äußerste Finsternis des Nichts verstoßen. Es gibt kein materielles Vererbungsgesetz, durch das man unerwünschte Eigenschaften wie Schroffheit, Hochmut, Empfindlichkeit oder Schüchternheit ererbt haben kann. Das Gesetz der göttlichen Liebe hat allen die einigenden Eigenschaften Innigkeit, Wertschätzung, Demut und echte Liebe verliehen.
Der fleischliche Sinn stellt der großen Wahrheit des einen unendlichen Gemüts, Gottes, seine Geltendmachung vieler Gemüter entgegen. Einer der bösen Auswüchse dieser Unwahrheit ist der Glaube an persönliche Überlegenheit oder Minderwertigkeit entsprechend gewissen willkürlichen Maßstäben materieller Geburt oder materiellen Reichtums, der Begabung oder der Leistung. Diese Lüge Ungleichheit erstreckt sich auf Völker und Rassen. Ja, sie hat wahrscheinlich zu allen Zeiten viel dazu beigetragen, den Fortschritt der Eintracht und Einigkeit unter den Menschen aufzuhalten. Durch tägliches Erklären der Wahrheit der allumfassenden Regierung des einen Gemüts befreit der Christliche Wissenschafter sein Denken unbeirrt von jeder Spur dieses Anstoß erregenden Irrtums. Die Liebe einigt.
Für das unendliche Gemüt, Gott, gibt es keinen Zusammenstoß von Natur-anlagen, keine gegenseitige Reibung infolge von Eigenwillen, keine Grade der Größe oder Güte. Da der Christliche Wissenschafter dies erkennt, ist er darauf bedacht, seinen Mitmenschen „auf gleicher Ebene”, der Ebene des einen regierenden Gemüts, der einen einigenden Liebe, zu begegnen. Von Jesus ist trotz seiner gewaltigen Leistungen nirgends berichtet, daß er je eine persönlich überlegene Haltung angenommen hätte. Er behandelte alle Menschen weise, ob sie gelehrte Pharisäer und „Leiter dieses Volks” oder bescheidene Zöllner und Sünder waren. Allen ließ er, je nach ihrem Bedürfnis, dieselbe aufrichtende christliche Brüderlichkeit zuteil werden. Schüler der Christlichen Wissenschaft, die diese Wissenschaft mit einigem Erfolg ausgeübt und gelebt haben, sollten seines Beispiels eingedenk sein und die listige Versuchung zurückweisen, wegen scheinbaren Mangels an Fortschritt anderer ungeduldig zu werden oder sich ein wenig überlegen zu fühlen. Wenn ihre Demut diese Probe nicht besteht, kann ihr eigener Fortschritt stocken.
Heute, wo die Welt durch die trennenden Einflüsterungen des fleischlichen Sinnes wirtschaftlich und politisch, national und international scheinbar gespalten und zerklüftet ist, sollte man sich ruhig und dankbar des Menschen wahres, geistiges Erbe vergegenwärtigen. Es ist nicht nur für uns selber, sondern für die ganze Menschheit gut und stärkend und höchst nützlich, daran zu denken, daß der fleischliche Sinn mit dem Glauben an viele Gemüter nach der unübertroffenen Erklärung unseres Meisters „ein Lügner und ein Vater derselben” ist; daß das Gemüt Christi das einzige Gemüt ist; und daß dieses allmächtige, allwirkende Gemüt alle Menschen hier und jetzt zu Frieden, zu Einigkeit und Brüderschaft führt.
