In der Einleitung des Evangeliums des Johannes heißt es von Johannes dem Täufer, daß er eine Botschaft von Gott bringe. Er wußte von dem Licht, das in der Finsternis scheint, d.h. von den Menschen nicht verstanden wird, und seine Aufgabe war es, von „dem wahrhaftigen Licht, welches alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen”, zu zeugen. Das Evangelium bestätigt das Recht der Menschen, über die Gottessohnschaft aufgeklärt zu werden, und sagt, daß denen, die den Christus bereitwillig aufnehmen, „Macht” gegeben wird, „Gottes Kinder zu werden”. Die dieser Erklärung unmittelbar folgenden Worte lauten nach einer neuzeitlichen Übersetzung: „Nicht natürlicher Empfängnis noch menschlichen Naturtrieben noch der Wahl eines Mannes, sondern Gott selber verdankten sie dieses Leben”.
Das Lehren durch Seligpreisungen geht oft weit über die Fassungskraft des von selbstsüchtiger Wahl und menschlichen Naturtrieben geleiteten sogenannten Naturmenschen hinaus. Daher erfolgt die erste Berichtigung oder Besserung, die manchen not tut, durch das Gesetz, das gebietet: „Du sollst nicht”.
Durch Mose kamen die Zehn Gebote, die geeignet waren, den abgöttischen Neigungen der Stämme und des nachfolgenden „Pöbelvolks”, die er zu erziehen und in Zucht zu halten suchte, zu steuern. Die Ausschreitungen der selbstsüchtigen, unreinen, neidischen, lügenhaften und mörderischen fleischlichen Gesinnung mußten verboten werden. Als Mose auf dem Berge Sinai war, machte Aaron den Israeliten ein goldenes Bild, um das sie sich unter Aufführung schamloser und betrunkener Tänze versammelten. Als Mose das Volk in seiner Schande sah, fühlte er, daß Aufsicht notwendig war. Er „trat in das Tor des Lagers und sprach: Her zu mir, wer dem Herrn angehört!” Dann beauftragte er die Kinder Levi, die sich um ihn sammelten, die Zucht durch das Schwert in Kraft zu setzen. Später wurden Vorschriften über Feste und Opfer und die Verehrung des unsichtbaren Gottes sowie vollständige Anweisungen über anständiges Betragen der Menschen gegeben. Zufluchtsstädte schützten den unschuldigen Mörder vor Blutrache. Besondere Gesetze wurden erlassen, um das Heim zu schützen. Dem Taglöhner sollte Gerechtigkeit und den Waisen Barmherzigkeit widerfahren. Dem Ochsen sollte beim Dreschen das Maul nicht verbunden werden. Geiz, der nach dem Propheten Amos „das Maß verringert und den Preis steigert”, wurde wegen seiner Ungerechtigkeit gerügt.
Natürlich wurde das gütige Herz dem allem aus freien Stücken gerecht; aber die Unfreundlichen und Anmaßenden mußten zurechtgewiesen werden. Paulus erklärt in seinem Briefe an die Galater, daß „das Gesetz” kein besseres Leben hervorbringe; es könne wohl dem Übeltäter Einhalt gebieten, aber es bringe keine Gerechtigkeit hervor. Er gebraucht ein sehr bezeichnendes Bild, wenn er sagt:
„Also ist das Gesetz unser Zuchtmeister gewesen auf Christum, daß wir durch den Glauben gerecht würden. Nun aber der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter dem Zuchtmeister. Denn ihr seid alle Gottes Kinder durch den Glauben an Christum Jesum”. Der Zuchtmeister oder Erzieher war ein zuverlässiger Sklave, der die jüngeren Kinder seines Herrn bediente und zur Schule brachte. „Das Gesetz” besteht vielleicht nicht ganz so liebevoll auf Besserung; wer sich aber durch Befolgen der Lehre Christi zügeln lernt, ist frei von Einmischung „des Gesetzes”. Für den Gehorsamen enthält es keine Einschränkung.
Das Gesetz der früheren Zeit war streng: Auge um Auge, Leben um Leben. Jesus führte daher einen neuen Ausblick ein, wodurch man ungerechte Strafe vermeiden, Feindschaft überwinden und Leben und Freude bereichern konnte. Daß der Wahlspruch: „Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen”, unvollkommen war, hatten die Menschen oft gehört; aber des Meisters Worte lauteten: „Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde”. Ein Mensch kann seines Wohlwollens nicht sicher sein, wenn er sich nicht selber so beherrschen kann, daß er in den schwierigsten Fällen Liebe bekundet, wie im Falle eines unversöhnten Feindes, wenn jemand ohne Ursache haßt, oder im Falle des Verleumders, der glaubwürdig lügen und die Menschen veranlassen kann, ihre Wohltäter zu hassen. Trotzdem lernen diejenigen, die dem Meister gehorchen, das Leben meistern und werden gesegnet.
Viel von dem, was Jesus lehrte, kleidete er in die Form von Seligpreisungen. Es ist ein großer Unterschied zwischen dem Gesetz, das vom Unrechttun Kenntnis nimmt und sagt: „Du sollst nicht”, und den Worten in der Bergpredigt: „Selig seid ihr”. Diebstahl, Habsucht, Mord, Wollust und Lügen vermeiden, ist um des Gemeinwohls willen nötig; aber lieben ist für jeden einzelnen selber nötig. Liebet, segnet, tut Gutes, betet, sagte Jesus, „auf daß ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel; denn er läßt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte”, und er sagte auch: „Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist”.
Mrs. Eddy, die Lehrerin der Christlichen Wissenschaft, gibt „eine Richtlinie nach der andern” (engl. Bibel), „gebeut hin, gebeut her”, und sie gibt auch Seligpreisungen. Und wie klar und erhebend ihre Seligpreisungen sind! „Das Wesen des Christentums ist friedevoll und gesegnet”, schreibt sie, und besonders: „Gesegnet ist der Mensch, der seines Bruders Not sieht und ihr abhilft und das eigene Gute in dem des andern sucht” (Wissenschaft und Gesundheit mit Schüssel zur Heiligen Schrift, S. 40 u. 518). Niemand kann wissen — es ist nicht zu zählen — wie oft und auf wie viele Arten sie die Bedürfnisse der Menschheit voraussah und Mittel und Wege vorsah, diese Bedürfnisse jetzt und für künftige Jahrhunderte zu befriedigen. Aber jeder einzelne Arbeiter kann mit innerem Frohlocken und ganzer Freude ihre Weisheit wahrnehmen, ihrer Führung folgen und ihren Lebenszweck ausführen, damit das Licht, das wahre Licht, jeden Menschen erleuchte und so „den Kriegen in aller Welt gesteuert” werde.
