Für die meisten Menschen bedeutet Gesetz Einschränkung, während wir es doch zum mindesten als Schutz ansehen sollten. Wenn wir einen klareren Sinn von dem unendlichen Gesetzgeber, dem göttlichen Gemüt, erlangen, verstehen wir, daß Gehorsam gegen Gottes Gesetz allezeit und unter allen Umständen Freiheit bringt. In der Apostelgeschichte lesen wir, daß Paulus einmal auf eine Anklage seiner Landsleute hin unter römischem Gesetz verhaftet wurde. Als er aber geltend machte, daß er „römisch geboren” sei, blieb er von der Geißelung verschont. Später gab er in einem weiteren Sinne seinen Zeitgenossen und der Nachwelt die aufsehenerregende Gesetzes- und Freiheitserklärung, die jedes menschliche Bedürfnis deckt. Sie befindet sich im 8. Kapitel des Briefs an die Römer und lautet: „Das Gesetz des Geistes, der la lebendig macht in Christo Jesu, hat mich freigemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes”.
Hier können wir daran denken, daß das heilende Wirken der Christlichen Wissenschaft mit dem göttlichen Gesetz und der göttlichen Ordnung übereinstimmt und die Vernichtung der angeblichen Gesetze der Krankheit und des Todes, des Mangels und des Leids, ja alles Übels bedeutet. Die meisten Menschen würden Bedenken tragen, unumwunden zu behaupten, daß Gott Krankheitsgesetze mache, sondern sie werden geltend machen, daß solche angeblichen Gesetze Naturgesetze seien, wie z.B. in Fällen von sogenannten ansteckenden Krankheiten und Seuchen. In ihrem Buche „Miscellaneous Writings” (S. 258) schreibt Mrs. Eddy: „Im geistigen Schöpfungsvorgang ruhte alles Gesetz im Gesetzgeber, der sich selber ein Gesetz war”. Auf der nächsten Seite lesen wir: „Was Gesetz zu sein scheint, aber nicht am Wesen Gottes teilnimmt, ist kein Gesetz, sondern ist, wie Jesus erklärte, ‚ein Lügner und ein Vater derselben‘. Gott ist das Gesetz des Lebens, nicht des Todes; der Gesundheit, nicht der Krankheit; des Guten, nicht des Bösen”.
Bei unserem Forschen in der Bibel denken wir natürlich und mit Recht an Mose als den großen hebräischen Gesetzgeber. Der Psalmist sagt: „Er [Gott] hat seine Wege Mose wissen lassen”. Mose gab seinem Volk zweifellos alles, was er geben konnte, und was sie empfangen konnten. Abgesehen von Formen und Bräuchen läßt sich das mosaische Gesetz in folgende Worte Jesu zusammenfassen, die er einem Schriftgelehrten zur Antwort gab: „‚Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte‘. Dies ist das vornehmste und größte Gebot. Das andere aber ist ihm gleich: ‚Du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst‘”. Immer wieder versicherte Mose den Israeliten, daß sie durch Gehorsam gegen das göttliche Gesetz von Krankheit verschont bleiben würden, und daß Wohlstand ihre Entwicklung zum großen Volke begleiten würde. Wir sollten nie vergessen, daß das göttliche Gesetz weder ungültig wird noch veraltet, und daß es heute allen Menschen und allen Völkern gilt. Und wie Mose forderte, daß die Kinder das Gesetz Gottes fleißig gelehrt werden, so kann heute das kleinste Kind gelehrt werden, daß Gott die Liebe ist und uns liebt und für uns sorgt, und daß wir daher andere wie uns selber lieben sollten, wodurch wir Freiheit und Freudigkeit finden.
Bei ihrer Heiltätigkeit müssen die Schüler der Christlichen Wissenschaft zur klaren Erkenntnis der Macht des richtig verstandenen Gesetzes erweckt werden. Selbst im menschlichen Dasein wird Gesetz als Macht angesehen; aber nach sterblicher Annahme schließt dies gewöhnlich sogenannte Krankheitsgesetze in sich, und da solche Annahmen besonders zu gewissen Zeiten herrschen, erwarten die Sterblichen die Ergebnisse, die die Folge des scheinbaren Wirkens von Krankheitsgesetzen sind, statt daß sie das göttliche Gesetz ergründen und sich mit vollem Vertrauen auf seine Kraft verlassen und auch überzeugt sind, daß es alle sogenannten Sünden- und Krankheitsgesetze vernichtet.
In einem kleinen Orte besuchte ein nachdenkender Mann zum erstenmal einen christlich-wissenschaftlichen Gottesdienst. Nach Schluß machte er zum Ersten Leser die Bemerkung: „Ich sehe, daß Sie eine andere Bibel benützen als die anderen Kirchen”. Es wurde ihm jedoch versichert, daß bei allen unseren Gottesdiensten nur die allbekannte genehmigte Bibelübersetzung benützt wird. Die bereits angeführten bekannten Worte im 8. Kapitel des Briefs an die Römer hatten ihm fremd geklungen. Er zog gerade damals wegen eins schweren Leidens eine Operation in Erwägung, wovon er sich jedoch keinen großen Erfolg versprach; und er war zum Gottesdienst gekommen in der Hoffnung, den Mut dazu zu finden. Es wurde kein Versuch gemacht, sich in sein Vorhaben einzumischen; aber es wurde ihm geraten, sich das christlich-wissenschaftliche Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” zu verschaffen und sich darein zu vertiefen, was er tat. Bald war die so sehr ersehnte Freiheit ohne materielle Mittel durch seine Erkenntnis, daß das göttliche Gesetz jetzt ebenso wie zur Zeit unseres Meisters wirkt, verwirklicht.
Wenige erkennen indessen, was durch Anwendung der Erklärungen in der Bibel vollbracht werden kann, bis sie durch tatsächliche Erfahrung verstehen lernen, daß das geistige Gesetz, wie es in unserer Zeit durch die Lehren der Mrs. Eddy aufs neue enthüllt ist, Wunder wirkt für alle, die verstehen lernen, wie weitreichend im göttlichen Gesetz und in der göttlichen Ordnung die Befriedigung aller menschlichen Bedürfnisse vorgesehen ist. In der Bibel finden wir, daß der Psalmist oft um das Verständnis des Gesetzes Gottes betete. Das sollten auch wir tun; denn es ist uns gesagt: „Großen Frieden haben, die dein Gesetz lieben”.
Sogar ein Kind kann verstehen, daß die Zehn Gebote, die man ihm erklärt, und die es auswendig lernt, Schutz bedeuten, und es kann sein Denken über die materielle Annahme auf die mentale und geistige Ebene erheben. Wenn es z.B. das achte Gebot liest, versteht es darunter, daß keine Erscheinungsform sterblicher Annahme es seiner Gesundheit und seiner Freudigkeit berauben kann. Der große Dichter Robert Browning schreibt im „Saul”:
Ich habe die ganze Schöpfung durchwandert, ...
Ich sprach, wie ich sah:
Ich berichte, was ein Mensch über Gottes Werk berichten kann —
Alles ist Liebe, und dennoch ist alles Gesetz.
Zu unserer Beruhigung sagte Christus Jesus: „Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen. Denn ich sage euch wahrlich: Bis daß Himmel und Erde zergehe, wird nicht zergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüttel vom Gesetz, bis daß es alles geschehe”. Was er in dieser Hinsicht tat, ist zu unserer Hilfe und Ermutigung alle Zeit hindurch geblieben, damit wir einen stärkeren Sinn dessen gewinnen, was uns in unserer ganzen menschlichen Erfahrung möglich ist.
Hier wollen wir auf die bereits angeführten Worte des Paulus zurückkommen: „Das Gesetz des Geistes, der da lebendig macht in Christo Jesu”. Nur in Christus Jesus können wir Leben und Gesetz völlig veranschaulicht finden. Er heilte Krankheit jeder Art und erfüllte dadurch das Gesetz bis auf den kleinsten Buchstaben oder Tüttel. Es blieb kein Raum für etwas übrig, hinter dem sich sinnliche Begierde oder Haß verbergen könnte. Dies stets vor Augen, war Paulus frei, selbst als er in Rom als politischer Gefangener an das Handgelenk eines Soldaten gekettet umherging. Als er seinen Freunden in Rom schrieb, lautete seine Anrede: „Allen, die zu Rom sind, den Liebsten Gottes und berufenen Heiligen”. Hier haben wir den Beweis, daß das Gesetz der Liebe für ihn nunmehr die ganze Menschenfamilie in sich schloß. Ihm selber hatte das Gesetz des Geistes eine Freiheit gebracht, die durch Furcht nicht getrübt werden konnte. Nichts Geringeres als eine solche Verwirklichung sollte unser Ziel sein; und wir haben die Versicherung, daß alle, die das im 8. Kapitel des Briefs an die Römer so wunderbar dargelegte Gesetz des Geistes annehmen, „frei werden sollen von dem Dienst des vergänglichen Wesens zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes”. Unsere Führerin schreibt in Wissenschaft und Gesundheit (S. 227): „Die Christliche Wissenschaft erhebt die Fahne der Freiheit und ruft: ‚Folget mir! Entrinnt der Knechtschaft von Krankheit, Sünde und Tod!‘ Jesus zeichnete den Weg vor. Bürger der Welt, nehmt die herrliche ‚Freiheit der Kinder Gottes‘ an und seid frei! Das ist euer göttliches Recht”.
In der Geschichte der christlich-wissenschaftlichen Bewegung hat materielles Gesetz mehr als einmal den Fortschritt unserer Sache zu verhindern gesucht. In verschiedenen Staaten wurde versucht, Gesetze zu erlassen, die das Heilen der Kranken durch die Christliche Wissenschaft verbieten würden. Aber die göttliche Gerechtigkeit siegte, und das Recht Christlicher Wissenschafter, ihre Glaubenslehre mit nachfolgenden Zeichen auszuüben, wurde nicht nur verschiedenen gesetzgebenden Körperschaften, sondern sogar dem Kongreß unterbreitet. Auch unsere liebe Führerin stieß auf die Annahme gesetzlichen Widerstandes gegen die Gründung einer Kirche zur Fortführung der Lehren der Christlichen Wissenschaft einschließlich des Heilens der Kranken. Als sie einmal Gehorsam gegen das Gesetz der Liebe einschärfte, sagte sie: „Ich verteidige sowohl das Gesetz Gottes als auch die Gesetze unseres Landes” (Miscellaneous Writings, S. 141); und Christliche Wissenschafter haben gefunden, daß sie dasselbe tun müssen, wo es sich um den Fortschritt unserer Sache und um unsere eigene Entfaltung handelt.
Christus Jesus gebot seinen Nachfolgern, alle Völker alles zu lehren, was er sie gelehrt hatte; und in dem Bemühen, diese Gebote des Meisters zu befolgen, finden sie, daß das göttliche Gesetz ihr Schutz ist; und in dem Maße, wie des Meisters Lehren freudig angenommen und befolgt werden, wird wahre Freiheit, die das ganze Menschengeschlecht segnet, erkannt und anerkannt.
