Eine der tiefsten und am meisten erleuchtenden Erklärungen, die Mary Baker Eddy, die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft, je gegeben hat, finden wir in „Rückblick und Einblick“ in folgenden Worten (S. 67): „Die erste widerrechtliche Kundwerdung der Sünde war Endlichkeit.“ Diese widerrechtliche Kundwerdung der Endlichkeit findet starken Ausdruck in allem, was das Leben und die Handlungen der Menschen zu beherrschen und zu bemessen scheint — durch alles, was wir mit Zeit bezeichnen. Es gibt wohl in der gesamten Literatur keine dramatischere Schilderung der zeitgebundenen Handlungen der Menschen, als die des 3. Kapitels im Buche des Predigers Salomo, Vers 1–8. Hier sagt uns der Prediger unter anderem: „Geboren werden und sterben, pflanzen und ausrotten, was gepflanzt ist, ... suchen und verlieren, behalten und wegwerfen, ... lieben und hassen, Streit und Friede hat seine Zeit.“
Im Glossarium von „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ gibt uns Mrs. Eddy eine klare, umfassende Definition von „Zeit“. Sie lautet zum Teil (S. 595): „Sterbliche Maße; Grenzen, in denen alle menschlichen Handlungen, Gedanken, Annahmen, Meinungen, alles Wissen zusammengefaßt werden; Materie; Irrtum.“ Folgt daraus nicht, daß das Heilmittel für die Übel der Zeit, für „sterbliche Maße“, „Irrtum“, ein ewiges Heilmittel sein muß und nur in den geistigen, unbesiegbaren Tatsachen der Ewigkeit gefunden werden kann — in den Ideen und lebenspendenden Eigenschaften Gottes, des Geistes?
Da geistige Wahrheiten zu dem einzigen Zweck existieren, ihre eigene Vollkommenheit auszudrücken und unmöglich etwas kennen können, das eines Heilmittels bedarf — eben auf Grund ihrer Vollkommenheit, ihres Wesens, ihres ewigen Gesetzes der Harmonie — beseitigen sie die scheinbaren Disharmonien der Zeit. Hier mag man fragen, wie kann diese Vollkommenheit des Seins als Heilmittel gegen etwas dienen, wovon sie keinerlei Kenntnis haben kann? Auf Seite 30 ihres Buches „Nein und Ja“ gibt Mrs. Eddy eine erschöpfende Antwort auf diese Frage. Die Antwort ist so logisch und überzeugend, wie die ewige, unbestrittene Tatsache, daß das Licht die Dunkelheit aufhebt, obgleich es nicht im geringsten die Dunkelheit wahrnehmen kann, noch deren Anspruch, das Licht verdunkeln zu können.
Um Gott sein zu können, muß Gott unendlich sein; und Gott ist das Gute. Daraus folgt, daß alles Gute unendlich, unermeßlich ist, nie in irgendeiner Offenbarwerdung den „sterblichen Maßen“ unterworfen oder von ihnen begrenzt. Dies ist die Wahrheit, die die Christliche Wissenschaft lehrt. Kann jemand, der diese Wahrheit verstehen gelernt hat, je seine Versorgung in der Endlichkeit der Materie suchen oder sie an substanzlosen Schätzen messen? Sollte er sich nicht lieber an das göttliche Gemüt wenden und sein Heilmittel für scheinbaren Mangel in der wahren Substanz finden — in der ewigen, unermeßlichen Fülle der göttlichen Ideen und Eigenschaften? Wird er nicht freudig jeden Gedanken dem Gehorsam gegen Christus unterordnen und die göttlichen, mächtigen und zugleich lieblichen Ideen und Eigenschaften des Christus beanspruchen und ausdrücken, die sein wahres Selbst und seine reichliche Versorgung darstellen? Er wird erkennen, daß diese christlichen Eigenschaften und Ideen ewig sind und verstehen, daß das, was ewig wahr ist, auch ewig gegenwärtig, ewig verfügbar und ewig wirksam ist. Er wird das göttliche Prinzip, Liebe, als die Quelle alles Guten anerkennen und so das ewige Heilmittel finden gegen die zeitliche Annahme von Mangel und Begrenzung und gegen das, was Armut, die widerrechtliche Kundwerdung der Endlichkeit, genannt wird.
Im Verhältnis, wie man so die sündhafte Annahme einer Endlichkeit aufgibt und die Wirklichkeit des unermeßlichen Guten annimmt, wird sich die Fülle des Guten als unsere sogenannte menschliche Erfahrung bekunden, gemäß der Versicherung, die Christus Jesus uns gab (Luk. 12:32): „Fürchte dich nicht, du kleine Herde! denn es ist eures Vaters Wohlgefallen, euch das Reich zu geben.“
Keine Phase einer begrenzten Vorstellung vom Guten ist der Menschheit wichtiger als die ihrer Gesundheit. Mannigfaltiger Art sind die Heilmittel, die man erdacht hat, um diese Gesundheit zu schützen, sie wiederzugewinnen oder zu erhalten, von den unintelligenten Arzneien an bis zur Psychologie, Psychosomatologie und der kunstfertigen Chirurgie. Diese Heilmittel stellen den barmherzigsten und liebevollsten Dienst des sogenannten menschlichen Gemüts dar, jedoch ihre Funktionen liegen noch im Bereich der Materialität, die die Ursache all der Übel ist, die sie zu lindern suchen. Somit befassen sie sich mit Wirkungen, anstatt mit der Ursache und verringern so nicht die Empfänglichkeit der Menschheit für Krankheit und Leiden.
Die scheinbare Ursache aller Krankheit und allen Leidens ist die Zeit-Vorstellung des persönlichen Sinnes: ein eigenes Leben, getrennt vom göttlichen Prinzip; ein Selbst, das zu etwas fähig ist, das Gott nicht tut noch tun kann; ein Selbst, das etwas sein kann, was Gott weder sein kann noch will — mit andern Worten, alles das, was die Körperlichkeit ausmacht. Dieser persönliche Sinn erzeugt Furcht, Stolz, Selbstunterschätzung, Selbstüberhebung, falschen Ehrgeiz, Hemmung, Mißerfolg oder unverdienten Triumph, alles Illusionen endlicher Annahmen, die scheinbar Ungemach und Leid verusachen und Gemüt und Körper krank machen.
Wird es hier nicht wiederum klar, daß die grundlegende Heilung dieser Phase der Endlichkeit in der ewigen Harmonie und Vollkommenheit des göttlichen Gemüts gefunden werden muß, dessen vollkommener Ausdruck der Mensch ist — jenes Gemüts, das in der Tat des Menschen einziger Schöpfer und Gesetzgeber ist? Dies ist das unausbleibliche, endgültige und ewige Heilmittel gegen Krankheit.
Heute kann jeder Mensch wissen, daß dieses ewige Heilmittel zur Hand ist, und er kann die von Gott aufrechterhaltene Harmonie des Seins annehmen. In dieser Weise wird er die Erfüllung von Jesajas Verheißung finden (58: 8): „Alsdann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Besserung wird schnell wachsen.“
Ein anderes Übel des sterblichen Gemüts, gegen das es sich heftig auflehnt und ankämpft, ist das Altern, ein Ergebnis des Glaubens an zeitgebundene Vorgänge. Welches sind einige der Täuschungen, die Alter genannt werden? Verlust der Frische, die Jugend heißt, Nachlassen der Fähigkeiten, Gleichgültigkeit, das Verlangen nach Zurückgezogenheit, Freudlosigkeit, gesteigerte Reizbarkeit, verminderter Tätigkeitsdrang, egoistische Ansprüche und so fort. Illusionen, tatsächlich Zeitschatten, die weder Substanz noch die Macht haben, die ewige, harmonische Betätigung des Menschen zu beeinträchtigen. Kann ein Mittel gegen diese Täuschungen in materiellen Verfahren gefunden werden, wie Leibesübungen, Diät, Kosmetik, soziale Versicherungen, ja, sogar in einem guten, mäßigen, moralischen Leben? Die Logik und die Geschichte des Menschengeschlechts beweisen die Nutzlosigkeit solcher materiellen Wirksamkeiten. Beachtet die Worte unserer Führerin (Wissenschaft und Gesundheit, S. 246): „Daher laßt uns unsre Daseinsanschauungen zu Lieblichkeit, Frische und Fortdauer gestalten anstatt zu Alter und Verkümmerung.“ In der Tat, eine ewige, heilende Vorschrift, durch die man die Zeitschatten zergehen sieht und die ununterbrochene Fortdauer des unermeßlichen Lebens findet.
Der fundamentale Irrtum, aus dem alle diese scheinbaren Begrenzungen des Guten stammen, ist der, daß das Leben endlich und bemessen ist, mit der Geburt beginnt und mit dem Tode endet. Hat Christus Jesus uns nicht das ewige Heilmittel gegen diese fundamentale Sünde der Endlichkeit gegeben, als er erklärte (Joh. 17:3): „Das ist aber das ewige Leben, daß sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen“ ?
Die Gotteserkenntnis, wie Christus Jesus, der meisterhafte Wissenschafter, sie lehrte und demonstrierte, ist ohne Sündenmakel der Zeit; und wer in diese Gotteserkenntnis eingedrungen ist, braucht niemals dem Zeitbegriff von einem Leben zuzustimmen, das bemessen werden und zu Ende gehen kann. In dem Maße, wie man dieses Verständnis von Gott aufnimmt und sein wahres Selbst als Gottes Ebenbild anerkennt, kann man beweisen, daß die lang erdachte, althergebrachte Behauptung, der Tod sei unvermeidlich, ein Trugschluß ist.
Leben ist unvermeidlich, unendlich, unüberwindlich, ewig und nur in ewigen geistigen Wahrheiten zu finden, und in ihnen lebt der Mensch — in der Tat, verborgen mit Christo in Gott. Ein klares Erkennen dieser Wahrheit zeigt, daß unser ewiges Heilmittel ewig gegenwärtig, ewig verfügbar ist, und die Annahme von Unmöglichkeiten, Hemmungen oder Mißerfolgen überstrahlt. Was könnte das immergegenwärtige, ewige Unendliche behindern, aufhalten oder besiegen! Der Mensch steht aufrecht, von nichts bedroht, nicht verurteilt und unbesiegt.
Es ist das Vorrecht, ja, die Verpflichtung eines jeden Menschen, sich mit den ewigen Wahrheiten Gottes zu identifizieren; überdies hat jeder Mensch die gottverliehene Fähigkeit, dies im Gehorsam gegen die Forderung des Prinzips zu tun. Im Verhältnis, wie er diesem gebieterischen aber liebreichen Geheiß folgt, findet er, daß er nicht durch den Tod in die Ewigkeit eingeht, sondern schon jetzt in der Ewigkeit lebt. Er erkennt sich selbst als Mensch, als den strahlenden Ausdruck der Intelligenz und Macht des Gemüts, des frischen, ewigen Frühlings der Liebe und der heiteren Unsterblichkeit und Betätigung des Lebens.
