Die beglückendste Erfahrung, die man machen kann, ist die des Erwachens zur Gotteskindschaft. Eine solche Erfahrung hat nichts mit Personen zu tun, nichts mit menschlichen Berichten, mit Materie oder Zeit. Sie hat ihren Ursprung im Gemüt und vollzieht sich nur im Bereich dieses Gemüts. Die wahre Erfahrung beweist mit überzeugenden Beispielen die Einheit oder Verbundenheit Gottes mit Seiner Idee, dem Menschen. Die Christliche Wissenschaft legt diese Einheit mit zwingender und göttlicher Logik dar. Der Mensch ist der Ausdruck der Liebe. Somit kann, genau genommen, sich nur das in der. Erfahrung des Menschen entfalten, was in der Liebe enthalten ist.
Wie ungeheuer verschieden ist ein solcher Begriff von dem, den die Welt gelten läßt. Der materielle Begriff schließt jedes Ereignis und Geschehen in sich, das am materiellen Horizont erscheint. Das Gemeine, das Sensationelle, das Ungesunde — man glaubt, aus alledem setze sich die Erfahrung des Menschen zusammen.
Aber die Wissenschaft des Christentums verleiht ihrem Anhänger Unterscheidungsvermögen. Er verzeichnet nicht mehr Alter und Begrenzung, Mißverständnis und Fehler, Krankheit und Schwäche als die Wirklichkeiten seines Seins. Dagegen ist er froh, die unwandelbare Gewißheit des wirklichen Seins zu verstehen und zu fühlen, die unberührt von Zeit und ihren Maßen ist. Von seinem Standpunkt aus gesehen sind Erfahrung und Zeit nicht gleichbedeutende Bezeichnungen. Zeit bedeutet Begrenzung. Die wahre Erfahrung tritt zugleich mit der wissenschaftlichen Identifizierung des eigenen Selbst als Gottes Ausdruck in Erscheinung. Daher sollte in jeder Lebenslage die Losung des Christlichen Wissenschafters sein: Wenn Gott nicht darin ist, dann ist auch kein Mensch darin.
Bei der Bewerbung um Arbeit wird man häufig gefragt: „Welche Erfahrungen haben Sie?“ „Wie alt sind Sie?“ Dergleichen Fragen brauchen den Christlichen Wissenschafter nicht zu beunruhigen. Er weiß, daß Intelligenz nicht nach Kalenderjahren und Uhren bemessen wird. Und er weiß, daß Lauterkeit, Ursprünglichkeit, Leistungsfähigkeit und Fleiß — Eigenschaften des Gemüts — ihm durch göttliche Widerspiegelung angehören. Sein Ausdruck solcher Eigenschaften läßt ihn bei jeder Unternehmung wertvoll sein. Es ist ihm klar, daß sie bei weitem wichtiger sind, als lediglich ein Vertrautsein mit dem materiellen Arbeitsablauf und daß sie oft sogar Verbesserungen der Methoden und Verfahren ergeben.
Sich in dieser Weise der wahren Werte bewußt sein, bedeutet, sich selbst und die eigenen Handlungen von den materiellen Einteilungen und Beschränkungen weniger gehemmt zu finden und einen erweiterten Tätigkeitsbereich und größere Freiheit zu verwirklichen. Einen mächtigen und allwirkenden Gott anerkennen und verehren und dann Begriffe eines alternden oder unfähigen Menschen festhalten, zeigt eine widerspruchsvolle Einstellung. Der Mensch ist der Ausdruck vom göttlichen Selbst, und dies wahrhaft verstehen, bedeutet, göttliche Wirksamkeit und göttliche Fähigkeit erleben.
Der Mensch, als Ausdruck vom Wesen Gottes, kann nicht umhin, mit den Eigenschaften des göttlichen Prinzips identifiziert zu werden. Er hat keine andere Wahl, als das zu sein, was er göttlich ist. Gottes Worte über Zion, die durch den Propheten Jesaja verkündigt wurden, können auch das Einssein oder die Einheit des Menschen mit Gott ausdrücken (49:16): „Siehe, in die Hände habe ich dich gezeichnet; deine Mauern sind immerdar vor mir.“
Da die Entfaltung des Gemüts unser wahres Erleben darstellt, offenbart die göttliche Wissenschaft, daß Erfahrung etwas anderes ist, als eine Reihe materieller, persönlicher Ereignisse, die der einzelne zu seinem Alleinbesitz macht. Die Erfahrung ist geistig und universal, weil sie der Liebe entspringt. Sie ist göttlich subjektiv und hat nichts mit menschlichen Geschehnissen zu tun, mit endlichen Persönlichkeiten oder mit Kämpfen. Die wahre Erfahrung ist stets die Entfaltung der Liebe, die unschätzbaren Wirkungen der Liebe — Ordnung, Gesundheit, Vollkommenheit und Intelligenz —, die sich im Menschen kundtun.
Im sogenannten menschlichen Bereich des Denkens mag man sich eines Bedarfs, eines Wunsches, einer Sehnsucht bewußt werden, und man mag finden, daß man Tage, ja, Jahre darauf wartet, deren Erfüllung zu erleben. Doch so ist es nicht im göttlichen Haushalt. In der Wissenschaft der Seele ist kein Zeitelement vorhanden, das Bewußtsein von Erleben trennt. Beide bestehen zugleich. Sie treten weder zu verschiedenen Zeiten noch in verschiedenen Bereichen auf, sondern existieren freudig als eine unteilbare Entfaltung, die die Zeitlosigkeit der Wahrheit veranschaulicht. Daher konnte Mary Baker Eddy in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 14) schreiben: „Werde dir einen einzigen Augenblick bewußt, daß Leben und Intelligenz rein geistig sind — weder in noch von der Materie —, und der Körper wird keine Klagen äußern. Wenn du an einer Annahme von Krankheit leidest, wirst du entdecken, daß du augenblicks gesund bist.“ Bewußtsein und Erfahrung — unmittelbar und untrennbar.
Die Christliche Wissenschaft macht die Tatsache klar, daß in der wahren Erfahrung nichts von Mißverständnissen und Haß verzeichnet ist. In dem Maße, wie der Christliche Wissenschafter diese Wahrheiten erkennt und ihnen gemäß lebt, findet er, daß er gefeit gegen das Böse, aber empfänglich für das Gute ist. Falsche Empfindsamkeit ist die Fälschung wahrer Empfänglichkeit. Solche Empfindsamkeit bringt, eben durch die Art ihres Denkens, ihre eigenen Wunden und Nachteile mit sich. Sie schreibt die Kränkungen dem Handeln und Reden anderer zu; tatsächlich aber ist es die eigene Einstellung, die dafür verantwortlich ist. In dem Verhältnis, wie der persönliche Sinn aufgegeben wird, hört dies alles auf, in Erscheinung zu treten. Den Bereich des persönlichen Sinnes verlassen, heißt den Bereich der Probleme verlassen.
Empfänglichkeit ist andererseits das Geburtsrecht des Menschen. Und da Sohn und Vater im Einklang sind, ist der Mensch empfänglich für die allumfassende, zarte Liebe, die Gott ist, und er drückt diese Liebe aus. In dem Maße, wie der Christliche Wissenschafter diese Wahrheiten demonstriert, erkennt er, daß er sich nicht in verletzten Gefühlen, in Kleinlichkeiten oder persönlichen Zwistigkeiten dieses Traumlebens aufhält. Er beweist vielmehr, daß seine Identität die wahre Verkörperung vom Lieben der göttlichen Liebe ist. Deshalb berichtet er nicht von Irrtum. Er bewahrt ihn nicht auf, wiederholt ihn nicht, noch kommt er auf ihn zurück. In dieser Haltung beharren, löst Spannungen und Disharmonien. Nur auf diese Weise lebt der Christliche Wissenschafter in Übereinstimmung mit der Ermahnung, die wir in der allegorischen Gerichtsverhandlung in „Wissenschaft und Gesundheit“ (S. 441) finden: „Was die Falsche Annahme jetzt und jemals äußern mag, lasse man der Vergessenheit anheim fallen; es sei, vergessen — ohne Klang — sarglos und grabeslos‘.“
Wie die göttliche Liebe nichts von Alter oder Begrenzung verzeichnet, noch von Mißverständnis oder Haß spricht, so gibt es in ihr auch keinerlei Erwähnung der Krankheit. Ebenso ist der Mensch, der Ausdruck Gottes, auf ewig frei von derartigen Beschränkungen.
Ein Christlicher Wissenschafter, der unserern Streitkräften angehörte, stand vor einer Beförderung. Die dafür notwendige medizinische Untersuchung beunruhigte ihn. In einem ähnlichen Falle, einige Jahre zuvor, wurde ihm von dem untersuchenden Arzt mitgeteilt, er habe ein Herzleiden, das seine Beförderung eventuell verhindern und ihn zwingen könne, seinen Abschied zu nehmen. Der Christliche Wissenschafter wußte, daß seine Militärpapiere Angaben über diesen Zustand enthielten und bat deswegen einen christlich-wissenschaftlichen Ausüber um Beistand. Er wurde auf die folgenden Worte von Mrs. Eddy in „Wissenschaft und Gesundheit“ (S. 505) aufmerksam gemacht: „Das unsterbliche Gemüt macht seinen eignen Bericht, aber das sterbliche Gemüt, Schlaf, Träume, Sünde, Krankheit und Tod sind in dem ersten Kapitel der Genesis nicht verzeichnet.“
Beide, der Ausüber wie der Offizier, erkannten freudig an, daß die Suggestionen der Unfähigkeit, wenn sie am Anfang, als Gott Himmel und Erde schuf, nicht vorhanden waren, auch jetzt nicht da sein konnten. Es war nicht nötig, etwas auszuwischen, das vorher existierte, etwas, das einen Anfang hatte, seinen Lauf nahm und die Zukunft bedrohte. Dagegen mußte erkannt werden, daß ein solcher Zustand im Bereich des Wirklichen nie existiert hatte. Kein Bericht dieser Art war je darin abgegeben worden. Ein solcher Zustand hatte weder Anfang, Fortdauer noch Zukunft.
Der Christliche Wissenschafter begann, sich klarer als den Sohn oder die Offenbarwerdung Gottes zu erkennen und zu verstehen. Und mit dieser wissenschaftlichen Feststellung verschwand die Furcht. Er erkannte, daß der Bericht von ihm und seiner Laufbahn der Ausfluß des Prinzips war und unter der Herrschaft des Gemüts stand; in keiner Weise aber der Willkür medizinischer Gesetze oder einer bürokratischen Regierung ausgesetzt war. Als dann die Untersuchung erfolgte, blieb der Zustand seines Herzens unerwähnt. Der Christliche Wissenschafter wurde befördert und diente seinem Lande mit seinem vollen Einsatz während des ganzen Zweiten Weltkrieges.
Der Mensch hat keine materielle, menschliche Geschichte. Noch ist er ein Sterblicher, der versucht, sich durch die Anwendung der Christlichen Wissenschaft Freudigkeit und Wohlergehen zu verschaffen. Vielmehr führt die Wissenschaft des Seins uns den Menschen als den lebendigen Beweis des Gemüts vor Augen, als den vollständigen und befriedigten Ausdruck der Liebe.
So möge sich nun jeder einzelne von uns fragen: „Wende ich die Christliche Wissenschaft an, um mein Leben angenehmer zu gestalten oder drückt mein Leben die Christliche Wissenschaft aus?“ Hier liegt ein gewaltiger Unterschied. Die Willigkeit, den sterblichen Sinn mit seinen chronologischen Zeitangaben und Erinnerungen an das Böse aufzugeben, um mit dem Göttlichen identifiziert zu werden — das ist die neue Geburt. Solch eine christusähnliche Identifizierung erleuchtet und verwandelt das Denken und bringt bessere Gesundheit, glücklichere menschliche Beziehungen und ein erweitertes Gebiet nützlicher Betätigung und neuer Gelegenheiten. Auf diese Weise finden wir, daß die Freude, der Christlichen Wissenschaft gemäß zu leben, darin besteht, das Wirkliche als gegenwärtig zu verzeichnen. Es bedeutet, sich selbst als Mensch zu verstehen, als den individuellen, reinen, makellosen Ausdruck von Gott. Es bedeutet, das Göttliche erleben.
