Die Christliche Wissenschaft berichtigt die von der Menschheit gehegte materielle Vorstellung vom Menschen und offenbart den von Gott geschaffenen, den geistigen, idealen Menschen, der Gottes Ebenbild ist. Der Christliche Wissenschafter lernt, sich mit diesem geistigen Menschen zu identifizieren, der mit Gott zusammenbesteht und von seinem Schöpfer unversehrt, sündlos und im Zustand der Vollkommenheit erhalten wird. Es ist einleuchtend, daß die körperlichen Sinne den wirklichen Menschen nicht erkennen können. Ihre Vorstellung vom Menschen ist, daß er sterblich und mangelhaft ist, eine Kreatur des Fleisches, bösen Einflüssen unterworfen und oft der Übermittler von Befürchtungen und Irrtümern, die die Bürden der Menschheit vergrößern. Die geistigen Sinne jedoch erkennen den Menschen, wie er im Gemüt besteht — unkörperlich, beherrscht vom göttlichen Willen und unsterblich, weil er furchtlos und sündlos ist.
Um die Tatsache des wirklichen Selbstes zu beweisen, muß man im Denken klar unterscheiden zwischen dem geistigen Menschen und seiner sterblichen Nachahmung. Nimmt man die fleischliche Vorstellung als das wirkliche Selbst an, so hemmt man die Demonstration von Gesundheit und geistiger Macht. Genau so hemmend ist die Neigung, das falsche Selbst einfach unbeachtet und im Zustand der mangelnden Wiedergeburt zu lassen. In „Rückblick und Einblick“ macht Mary Baker Eddy das Verfahren der Läuterung klar; sie sagt (S. 86): „Kennst du dich selbst noch nicht? Dann mache dich mit dir bekannt., Erkenne dich selbst', wie der vorbildliche griechische Leitspruch sagt. Beachte wohl die Falschheit dieses sterblichen Selbst! Betrachte sein abstoßendes Äußeres und gedenke des armseligen, Fremdlings, der in deinen Toren ist'. Entferne jeden Flecken aus dem beschmutzten Gewande dieses Wanderers, wische ihm den Staub von den Füßen und die Tränen aus den Augen, auf daß du den wirklichen Menschen, den Mitheiligen eines heiligen Haushalts sehen mögest.“
Diese Stelle zeigt das große Erbarmen, das unsere Führerin lehrte. Der sterbliche Sinn vom Selbst wird durch Zartheit und Barmherzigkeit zum Schwinden gebracht, nicht durch Härte und Beschuldigungen. Christus Jesus sagte zu Nikodemus (Joh. 3:6, 7): „Was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren wird, das ist Geist. ... Ihr müsset von neuem geboren werden.“ Die Christliche Wissenschaft bringt uns die Wiedergeburt. Ein neuer Begriff vom Selbst erscheint. Diese Wissenschaft ist der Freund des sterblichen Menschen, selbst wenn sie die Wirklichkeit des Fleisches und seiner Zustände nachdrücklich verneint. Tatsächlich drückt sich die barmherzige Freundlichkeit dieser großen Wissenschaft dem sterblichen Menschen gegenüber am stärksten darin aus, daß sie darauf besteht, daß das materielle Dasein mit seinen Leiden, Sünden und Störungen unwirklich ist. Durch dieses Verstehen der Unwirklichkeit des Irrtums werden Heilungen möglich gemacht, werden die Leiden und Sünden, mit denen die Sterblichen sich abgeben, zerstört.
Solange der armselige Fremdling in unseren Toren ist, müssen wir uns seiner annehmen — „jeden Flecken aus dem beschmutzten Gewande dieses Wanderers. .. entfernen, ihm den Staub von den Füßen und die Tränen aus den Augen. .. wischen.“ Durch die Wissenschaft müssen wir dem Körper Gesundheit verschaffen und darauf sehen, daß das sterbliche Selbst Gottes Geboten nicht ungehorsam ist. Mrs. Eddy sagt (Rückblick und Einblick, S. 76): „Wer die gottgekrönte Höhe der Christlichen Wissenschaft erreicht, mißbraucht die körperliche Persönlichkeit nicht, sondern hebt sie. Er nimmt jeden Menschen in seinem wirklichen Wesen wahr und sieht jeden Sterblichen als unpersönliche Darstellung.“
Man sieht den „Fremdling“ nicht als unpersönliche Darstellung, wenn man sich selbst und andere für sterblich hält. Man ist niemals der Sterbliche, und zu sagen, „ich bin ein Sterblicher“ oder „ich bin ein Leidender“ oder „ich bin ein Sünder“ bedeutet, die wissenschaftliche Grundlage der Selbstidentifizierung als Ebenbild Gottes zu verlassen. Wenn man sich selbst falsch identifiziert, personifiziert man den Irrtum. Wenn man jedoch an seiner wahren Identität festhält und den Fremdling in seinen Toren als der Identität bar und als aggressive Suggestion des sogenannten sterblichen Gemüts erkennt, so ist man auf dem besten Wege, den sterblichen Begriff vom Selbst dem göttlichen vollständig zu unterwerfen. Man unternimmt damit die notwendigen Schritte zur Ausmerzung der falschen Vorstellung vom Sein aus der bewußten Erfahrung.
Beim Säubern und Trösten des Fremdlings muß man unter anderem drei grundlegende Stufen des Irrtums oder tierischen Magnetismus berücksichtigen: Erblichkeit, bösen mentalen Einfluß und Selbstbetrug. Erblichkeit ist vielleicht die wichtigste Phase, die verneint werden muß, weil sie die falschen Gesetze einschließt, die beanspruchen, den Sterblichen mit der allgemeinen Täuschung von Leben und Intelligenz in der Materie zu fesseln. Das Erbe der körperlichen Sinne enthält alles, was diesen Sinnen Vorschub leistet — tierisches Wesen, Materialität, organisches Leben, Unordnung, Zerstörbarkeit. Der Christliche Wissenschafter weiß jedoch, daß sein einziges Erbe von Gott stammt; es enthält nur die Substanz und Herrschaft des Geistes.
Die zweite Phase des tierischen Magnetismus, die wir in unserem Verhalten gegen den Fremdling genau berücksichtigen sollten — die der mentalen Malpraxis — ist die Annahme, daß das sterbliche Selbst durch den lautlosen Anprall bösen Denkens beeinflußt werden oder darunter leiden kann. Ob nun solches Denken unwissentlich oder beabsichtigt ist, wir können es durch unsere Vergegenwärtigung der Gegenwart und Allheit der Liebe als unwirklich beweisen. Aggressive Krankheitsbilder und die zerstörerischen Pfeile des Hasses und Neides können keine Furcht in dem Fremdling hervorrufen, wenn man im Denken die Atmosphäre der Liebe aufrechterhält, indem man Liebe erkennt, Liebe lebt und Liebe ausdrückt. In einer solchen Atmosphäre kann das sterbliche Selbst nicht unbewußt durch das Böse beeinflußt, beunruhigt, aufgeregt oder in einen Zustand dumpfer Gleichgültigkeit versetzt werden. In dieser praktischen Art beweist der Wissenschafter, daß Liebe das einzige Gemüt ist und daß der Mensch Gottes immerdar sicher und ungetrübt im Bereich der Liebe weilt.
Der dritte Gesichtspunkt des Irrtums, der äußerst wichtig ist und nicht vernachläßigt werden darf, ist Selbstbetrug. Die Sterblichen sind geneigt, all ihre Schwierigkeiten auf äußere Einflüsse zurückzuführen, obgleich man oft ohne weiteres erkennen kann, daß die Sterblichen ihre eigenen irrtümlichen Zustände entwickeln. Wenn das sterbliche Selbst nicht unter der Kontrolle der Wissenschaft gehalten wird, so beschwört es wahrscheinlich unharmonische Gedankenbilder herauf — Symptome von Krankheit, Mißgestalt, von Feinden, Unfällen, ja sogar vom Tod. Wenn man erkennt, daß der Mensch der Selbsttäuschung unfähig ist, weil er die Widerspiegelung der Wahrheit ist, so wird die mesmerische Tätigkeit des sterblichen Gemüts zum Stillstand gebracht, und der Irrtum ist seines Anspruchs auf schöpferische Macht beraubt.
Der Schüler der Christlichen Wissenschaft wird sich selbst zum Gesetz, wenn er sich richtig als Gottes vollkommenes Kind identifiziert und klar zwischen seinem wahren Selbst und dem Fremdling unterscheidet, der in seinen Toren zu sein scheint. Demut und Ehrlichkeit sind notwendig, wenn man diese Unterscheidung machen will, wenn man sich dem Anspruch, ein Sterblicher zu sein, stellen und den Irrtum, der zerstört werden muß, erkennen will, und dann sein Leben dem Beweis der geistigen Vollkommenheit des Menschen weiht. Der Fremdling in unseren eigenen Toren ist unser besonderes Problem und stellt das sterbliche Gemüt dar, insoweit wie unsere individuelle Verantwortlichkeit, die Herrschaft des Guten über das Böse zu beweisen, in Betracht kommt. Nur durch Wiedergeburt und Heilung kann man beweisen, daß der Mensch nicht die Verkörperung des Irrtums ist, weder sein Opfer noch sein Urheber; auf diese Weise kann man sich des unwillkommenen Gastes entledigen.
In seiner Himmelfahrt legte Christus Jesus das Fleisch ab. Er wußte, daß das Problem des Fremdlings eine bloße Annahme war, und er bewies dieses Wissen bis zur vollständigen Ausmerzung des materiellen Sinnes vom Selbst. Im Garten von Gethsemane sagte er (Luk. 22:37): „Was von mir geschrieben ist, das hat ein Ende.“ Die Prophezeiung hatte sich erfüllt. Christus, Wahrheit, hatte den sterblichen Sinn überwunden. Der Mensch war nicht als Fleisch, sondern als Idee offenbart worden — als Gottes unkörperliches Bild, in dem kein Element der Sterblichkeit enthalten ist.
Der Meister ist unser Beispielgeber. Wir müssen ihm in wahrer Christlichkeit folgen, bis der Fremdling in unseren Toren gänzlich verschwunden ist.
