Unter den vielen Theorien, die es sich zur Aufgabe machen, die Entwicklung des Menschengeschlechts zu erklären, kommen nur wenige der Lehre von der materiellen Vererbung in ihren verschiedenen Verzweigungen und der tückischen Gefahr ihrer Suggestionen gleich. In der Vererbungslehre wird die Ansicht vertreten, daß die Materie der Ausgangspunkt und der bestimmende Faktor des Lebens und der Intelligenz sei. Diese Theorie steht daher in einem grundlegenden Gegensatz zu den durch Beweise bestätigten Lehren der Christlichen Wissenschaft.
Die Vererbungstheorie befaßt sich mit der Übertragung körperlicher und mentaler Merkmale von einer Generation auf die andere durch Gesetze, die sie so darstellt, als ob diese rein mechanische Vorgänge bewirkten, ohne moralische Gesichtspunkte in Betracht zu ziehen. Dadurch flößt sie ein Gefühl der Hilflosigkeit ein vor der Macht des grausamen Zufalls, der den Unschuldigen trifft und die Sünden und Schwächen seiner Vorfahren an ihm rächt. Somit leugnet sie die zwingende Kraft, ja sogar die Existenz einer göttlichen Gerechtigkeit.
„Die Grundlage der sterblichen Disharmonie ist eine falsche Auffassung von dem Ursprung des Menschen. Richtig anfangen heißt richtig enden“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 262). Mit dieser sehr umfassenden Erklärung legt Mrs. Eddy, die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft, die Axt der Wahrheit direkt an die Wurzel jener Theorie von der materiellen Vererbung, die sich auf den allgemeinen Glauben an eine materielle Wirklichkeit und Ursächlichkeit, und insbesondere auf die falsche Auffassung vom Menschen als einem Sterblichen mit einem materiellen Ursprung und einer materiellen Abstammung, gründet.
Die Christliche Wissenschaft legt sehr klar den Irrtum dieser beiden Annahmen dar. Sie beweist, daß Ursächlichkeit nur auf der Wirksamkeit und der belebenden Kraft der geistigen Macht Gottes beruht, und daher in Wirklichkeit geistig ist. Sie beweist ferner, daß der Mensch in Wirklichkeit nicht ein lebendiger, denkender materieller Körper materiellen Ursprungs ist, sondern ein individuelles geistiges Bewußtsein. Er ist nicht ein Etwas, das aus Materie und Gemüt besteht, das heute hier und morgen vergangen ist, sondern eine unsterbliche Idee, die Ausströmung oder der Ausdruck Gottes, des Geistes, des göttlichen Gemüts. Daher hat der Mensch einen rein geistigen Ursprung, und keine Erklärung oder Theorie über den Menschen, die sich auf einen anderen Ursprung gründet, findet Bestätigung in der Wahrheit.
Die dem Menschen innewohnende Gesundheit und Intelligenz bestehen in seiner vollkommenen Widerspiegelung der Eigenschaften und der Substanz seines göttlichen Elterngemüts. Diese Eigenschaften, die dem geistigen Sinn als individuelle geistige Formen erscheinen, machen die wahre Identität des Menschen aus. Daher stellt der individuelle Mensch eine Ganzheit dar, die unsterblich ist, weil sie makellos und völlig harmonisch ist. Da die wahre Existenz des Menschen ohne Anfang und ohne Ende ist, hat er keine Abstammung oder der Vergangenheit angehörende Geschichte, auch ererbt er die Substanz der Gesundheit und der Intelligenz nicht von einem anderen Menschen. Er ist und war hinsichtlich seiner Fähigkeiten, seiner Kraft und seiner Vollkommenheit immerdar nur von Gott abhängig.
Mrs. Eddy erklärt nachdrücklich (ebd., S. 178): „Erblichkeit ist kein Gesetz. Die fernliegende Krankheitsursache oder -annahme ist nicht gefährlich auf Grund ihrer Priorität und auf Grund des Zusammenhangs der sterblichen Gedanken der Vergangenheit mit denen der Gegenwart.“ Was wissen wir von einer mutmaßlichen Krankheitsursache, die einer fernen Vergangenheit angehörte, und was wissen wir von den zurückliegenden sterblichen Gedanken, die an diese Annahme geglaubt haben mögen? Nur wenige von uns haben alle vier ihrer Großeltern gekannt, geschweige denn unsere Vorfahren vor ihnen. Und doch erhebt die Vererbungslehre den Anspruch, daß der Zusammenhang zwischen ihrer Mentalität und der unseren ein wichtiger Faktor ist, der das Wesen unserer gegenwärtigen Erfahrung bestimmt. Das ist die Suggestion, welche die Christliche Wissenschaft zunichte macht.
Die Christliche Wissenschaft hat unsere Aufmerksamkeit auf die starken Ansprüche gelenkt, die das sterbliche Gemüt erhebt in bezug auf den Zusammenhang der sterblichen Gedanken der Vergangenheit mit denen der Gegenwart. Daher schließt der Christliche Wissenschafter bei der geistigen Vergegenwärtigung seines wahren Seins, wie auch dem anderer Menschen, eine Verneinung ein, die sich auf das Bestehen irgendeines Verbindungsgliedes zwischen den sterblichen Gedanken der Vergangenheit sowohl wie der Gegenwart und dem Menschen, dem unwandelbar reinen, unsterblichen, geistigen Ausdruck des göttlichen Gemüts, der einzig wahren Quelle alles Denkens, erstreckt.
Die einzige Beziehung, die die Christliche Wissenschaft als einen Einfluß auf den Menschen anerkennt, ist die Beziehung, die ihn mit Gott verbindet, seinem göttlichen Elterngemüt und einzigen Urheber. Diese Verbindung wird als geistige Koexistenz bezeichnet. Sie schließt die Theorie aus, daß es im Denken des Menschen eine unbewußte Zustimmung zu dem allgemeinen menschlichen Glauben an einen materiellen Ursprung, eine materielle Abstammung oder einen sterblichen Einfluß geben kann. Der Christus, die Wahrheit, spricht zu uns von unserer unwandelbaren Vollkommenheit als Kindern Gottes und versichert uns, daß der einzige Einfluß, der auf uns ausgeübt werden kann, der Einfluß von Gottes Gedanken der Wahrheit und Liebe ist.
Das Verständnis von dem Christus befähigt uns, für uns selber und auch für andere, die falsche Auffassung vom Menschen als einem materiellen Wesen mit einem materiellen Ursprung, sowie auch die Folgen, die mit solch einer falschen Auffassung verbunden sind, zu zerstören.
Die materielle Vererbung wird von den Anhängern dieser Theorien als ein der materiellen Entwicklungstheorie zu Grunde liegender Vorgang dargestellt — einer Lehre, die behauptet, der Sprößling beginne sein eigenes physisches und mentales Wachstum, wo die Eltern aufhören, und fahre so fort, meist ohne die Möglichkeit eigener Wahl, die Eigenschaften — gute wie schlechte — die er von ihnen ererbt hat, weiterzuentwickeln.
Diese Theorie nimmt an, daß der Mensch — wie er den körperlichen Sinnen erscheint — sich Naturkräften gegenübergestellt sieht, die er nicht zu überwinden vermag, und ferner, daß, da das Leben materiell und diesen Kräften unterworfen ist, die im Laufe eines einzigen Daseins mögliche menschliche Entwicklung notwendigerweise nur gering sein kann.
Die Christliche Wissenschaft hat bewiesen, daß diese niederdrückende Suggestion völlig falsch ist. Sie hat bewiesen, daß ein Mensch, wenn er durch das Verständnis vom Christus von seinem Glauben an die rein materielle Auffassung vom Sein befreit wird, die damit verbundenen illusorischen Begrenzungen abzuwerfen beginnt. Wenn jemand anfängt zu verstehen, daß er nicht ein Stück belebter Materie ist, sondern eine Idee Gottes und unabhängig von der Materie, so erkennt er zu seiner großen Freude und Erleichterung, daß er nicht das Erzeugnis einer langsamen, allmählichen materiellen Entwicklung, sondern die vollkommene Widerspiegelung des göttlichen Gemüts ist und stets gewesen ist — eine geistige Individualität, die tatsächlich auf dem Gipfelpunkt einer vollständig ausgereiften Entwicklung steht. Dann wird er nicht länger durch die blinde Ergebenheit des menschlichen Gemüts an den schwerfälligen Prozeß einer materiellen Entwicklung mit ihrer Furcht vor Vererbung in Knechtschaft gehalten werden.
Die Annahmen materieller Erblichkeit können erfolgreich widerlegt werden durch das Gesetz der geistigen Koexistenz, das die innige Beziehung zwischen Gott und jedem individuellen Menschen, als dem göttlichen Prinzip und Seiner Idee, aufrechterhält. Dieses Gesetz stellt unser geistiges Erbe sicher, das wir in jedem Augenblick ununterbrochen direkt von unserem Vater-Mutter Gott empfangen — ein Erbe, das die Vollständigkeit der Gesundheit, die Reichtümer der Intelligenz, das gutartige Wesen und den ausgeglichenen Charakter der vollkommenen Idee Gottes in sich schließt. Die folgenden Worte Christi Jesu gelten ganz gewiß einem jeden einzelnen von uns (Matth. 25:34): „Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt!“ Unser wahres Erbe ist das Himmelreich. Wir haben teil daran, wenn wir im Einklang mit der Wissenschaft von Gottes unwandelbarem Gesetz des Guten leben.
Der Prophet Hesekiel, der uns eine unvergleichliche Auslegung von der Herrlichkeit und der unfehlbaren Gerechtigkeit des göttlichen Gesetzes gegeben hat, läßt Gott sagen (18:2, 3): „Was treibt ihr unter euch im Lande Israel dies Sprichwort und sprecht:, Die Väter haben Herlinge gegessen, aber den Kindern sind die Zähne davon stumpf geworden‘? So wahr als ich lebe, spricht der Herr Herr, solches Sprichwort soll nicht mehr gehen unter euch in Israel.“
Unsere Führerin faßt die Wahrheit in bezug auf die Abstammung und das wahre Sein des Menschen in den folgenden Worten zusammen (Wissenschaft und Gesundheit, S. 63): „In der Wissenschaft ist der Mensch der Sprößling des Geistes. Das Schöne, das Gute und das Reine sind seine Ahnen. Sein Ursprung liegt nicht im tierischen Instinkt wie der Ursprung der Sterblichen, noch geht der Mensch durch materielle Zustände hindurch, ehe er die Intelligenz erreicht. Geist ist seine ursprüngliche und endgültige Quelle des Seins; Gott ist sein Vater, und Leben das Gesetz seines Seins.“
