Welch unwiderstehliches Erwachen in der Pflanzenwelt beobachten wir im Frühling! Man könnte ebensogut versuchen, die Sonne in ihrem Lauf aufzuhalten, wollte man die Entfaltung von Halm, Blatt, Knospe und Blüte verhindern. Der Frühling ist eine Zeit der Erneuerung, der Verjüngung, und nichts kann die Erfüllung dieses Planes vereiteln. Es handelt sich dabei nicht um ein Wiedererwecken toter Dinge zum Leben, sondern um die Wiedererweckung lebendiger Dinge, die tot zu sein scheinen. Es ist die geeignete Jahreszeit, um sich an den Sieg dessen zu erinnern, von dem wir in der Bibel lesen (1. Kor. 15:4), „daß er begraben sei, und daß er auferstanden sei am dritten Tage nach der Schrift“.
Christi Jesu glorreiche Auferstehung war außer seiner Himmelfahrt das bedeutendste Ereignis in der Geschichte der Menschheit, aber es war nicht eine Wiederherstellung des Lebens; denn Leben ist Gott, und dieses Leben hatte niemals aufgehört. Was war dann die Auferstehung? Es war die Demonstration, daß das Leben ewig ist und daß der Tod nichts ist.
Die Christliche Wissenschaft erklärt das mächtige Wunder der Auferstehung. Sie vermag das, weil die Lehren dieser Wissenschaft mit den Lehren Jesu übereinstimmen, welcher der Menschheit den Weg zur Auferstehung zeigte. Mrs. Eddy definiert „Auferstehung“ mit folgenden Worten (Wissenschaft und Gesundheit, S. 593): „Vergeistigung des Gedankens; eine neue und höhere Idee von der Unsterblichkeit oder dem geistigen Dasein; die materielle Annahme, die dem geistigen Verständnis weicht.“
Wenn man die Auferstehung in diesem Licht betrachtet, war sie nicht nur ein flüchtiges Ereignis in dem Leben eines einzelnen Menschen. Sie ist eine tägliche Erfahrung in dem Leben eines jeden Menschen, der eine „Vergeistigung des Gedankens“ erlangt und erkennt, daß „die materielle Annahme dem geistigen Verständnis weicht“.
Mit Jesu Auferstehung aus dem Grabe fand ein Ereignis von unvergleichlicher Bedeutung statt, das die Tatsache des unzerstörbaren Lebens begründete. Und doch war die Auferstehung des Meisters nur der sichtbare Beweis dessen, von dem Jesus gewußt hatte, daß es immer wahr gewesen war. Sein Hervorschreiten aus der Dunkelheit in das Licht war die unausbleibliche Folge seiner ganzen Laufbahn. Immer war die materielle Annahme dem geistigen Verständnis in der irdischen Erfahrung Jesu gewichen — als man ihn mit zwölf Jahren im Tempel fand, als er sich dem Willen des Vaters im Garten von Gethsemane unterwarf, und selbst angesichts der Kreuzigung, als er von der Unzerstörbarkeit des Lebens überzeugt war.
Die glorreichste Offenbarung des ewigen Lebens mag dem Meister zuteil geworden sein, als die anderen glaubten, er läge leblos in der Totenstille des Grabes. Er erlangte eine so klare Erkenntnis, daß das Leben nicht in der Materie ist und der Mensch niemals dem Nichts verfallen kann, daß das Grab ihn nicht davon zurückhalten konnte, sich voll und ganz mit dem Christus, der geistigen Idee Gottes, zu identifizieren. Der Engelsgedanke des ewigen Lebens rollte den Stein fort, der das Grab versiegelt hatte, und der höchste menschliche Vertreter des göttlichen Lebens trat hervor. Dieser Augenblick gab Zeugnis von dem größten Sieg aller Zeiten, und doch war es nur der abschließende Beweis einer Auferstehung, die jeden Tag stattgefunden hatte.
Wieviel können wir alle daraus lernen! Scheinen wir in dem engen Grab einer besonders schwierigen Lage eingeschlossen zu sein? Wenn wir dadurch gezwungen werden, eine „neue und höhere Idee von der Unsterblichkeit oder dem geistigen Dasein“ zu erlangen, so ist diese Erfahrung nur ein Ereignis auf dem Wege zu unserer Auferstehung. Wie schmerzlich uns die Schwierigkeit auch erscheinen mag, sie kann doch nicht die Wirklichkeit des Guten auslöschen, deren Kundwerdung unausbleiblich ist. In dem Maße, wie die materielle Annahme dem geistigen Verständnis weicht, geht unsere Auferstehung schon vor sich.
Ein anderer Punkt in der Auferstehung Jesu wird bisweilen übersehen. Obgleich wir mit Frohlocken zu seinen glorreichen Sieg über das Grab denken, sind wir leicht geneigt, den Anlaß, der dazu führte, zu beklagen. Aber Jesus tat dies nicht. Es wird berichtet, daß er nach seiner Auferstehung zwei seiner Nachfolger, die ihn nicht erkannten, fragte, warum sie traurig wären. Als sie ihm von der Kreuzigung und dem leeren Grab berichteten, wies Jesus sie zurecht, weil sie verfehlt hatten, seine große Mission zu begreifen. Er sagte (Luk. 24:26): „Mußte nicht Christus solches leiden und zu seiner Herrlichkeit eingehen?“
Sollten wir nicht furchtlos durch jede Schwierigkeit, die uns bedrängt, hindurchgehen und in die Herrlichkeit überwundener Widerwärtigkeiten eintreten? Die Notwendigkeit, den Christus, die Wahrheit, zu demonstrieren, brauchen wir nicht zu beklagen, denn der Christus erweckt das menschliche Denken aus der Sterblichkeit und erleuchtet es mit der Herrlichkeit der Unsterblichkeit. Statt dessen können wir uns dankbar der täglichen Auferstehung, die in unserem Bewußtsein stattfindet, erfreuen.
Gott hat nie eine schwierige Situation für irgend jemand von uns verordnet. Daher ist solch ein Zustand nicht wirklich und nicht fortdauernd. Er ist nur eine vorübergehende Erscheinung der sterblichen Annahme, und das Gesetz Gottes überwindet ihn. Unsere Aufgabe besteht darin, das Denken durch ein Verständnis der göttlichen Wirklichkeit zu vergeistigen, bis die sterbliche Annahme als ein Nichts erkannt wird. Dann werden wir so gewiß, wie die sprießenden Blumen ihre Blüten entfalten, und so unausbleiblich, wie Jesus aus dem einsamen Grabe hervortrat, die befreiende Macht jener Auferstehung demonstrieren, die gerade in diesem Augenblick in uns stattfindet.
