Jesu Unterhaltungen mit denen, die er heilte, geben uns ein Beispiel, eine Richtschnur für die wissenschaftliche mentale Praxis. Erklärungen wie: „Stehe auf und hebe dein Bettlein auf und gehe heim!“ (Luk. 5:24), „Verstumme und fahre aus von ihm!“ (Luk. 4: 35), „Kind, stehe auf!“ (Luk. 8:54) waren das genaue Gegenteil von: „Nun fangen Sie einmal von vorn an und erzählen Sie mir alles darüber.“
Da Jesus sich Gottes, des göttlichen Gemüts, als der Substanz und des Menschen als Gottes vollkommener Offenbarwerdung bewußt war, deckte er jeden Anspruch von einer unvollkommenen Mentalität als falsch auf und verwarf ihn. Und er heilte augenblicklich.
Die Christliche Wissenschaft lehrt das Verfahren des Meisters. Sie enthüllt, daß die Krankheit mental ist, nicht physisch, weil die Materie, in der die Krankheit aufzutreten scheint, nur einen Anspruch auf eine vom Gemüt getrennte Substanz darstellt, eine Illusion, eine falsche Mentalität. Dieser Anspruch tritt in vielen mentalen Formen auf, und die wissenschaftliche Praxis erfordert, daß der Anspruch aufgedeckt wird. Da ein falscher Anspruch nur im Licht der Wahrheit aufgedeckt werden kann, macht das Aufdecken auch dessen prompte Abweisung möglich.
Während die medizinische Praxis in ihrer Diagnose die materielle Ursache einer körperlichen Störung zu bestimmen versucht, sucht die christlich-wissenschaftliche Praxis jenen Punkt im Denken zu erkennen, wo der Anspruch von mehr als dem einen Gemüt, von mehr als der einen Substanz Ausdruck findet. Die medizinische Diagnose ist bestrebt, dem materiellen Zustand einen Namen zu geben und ihn als wirklich anzuerkennen.
Die christlich- wissenschaftliche Praxis erkennt keine physischen Zustände an, seien diese nun gut oder schlecht, sondern sie behandelt Krankheit als völlig mental. Wenn der Ausüber der Christlichen Wissenschaft das Problem von dem Standpunkt des einen unendlichen Gemüts anfaßt, mag er den betreffenden Irrtum mental erkennen und analysieren, doch während er dies tut, wird der spezifische Irrtum als eine völlige Nichtsheit bloßgestellt und die Heilung ist gewährleistet.
Als Mrs. Eddy die Christliche Wissenschaft entdeckte, nachdem sie allein durch geistige Mittel von einer Verletzung geheilt worden war, die nach Ansicht ihres Arztes tödlich ausgehen würde, erkannte sie eine wichtige Tatsache. In ihrem Buch „Rückblick und Einblick“ (S. 25) schreibt sie: „Ich erschaute mit unaussprechlicher Ehrfurcht den Sinn, warum unser großer Meister diejenigen, die er heilte, nicht über ihre Krankheit und deren Anzeichen befragte, und die erstaunliche Sicherheit, mit der er weder Gehorsam gegen die Gesundheitsgesetze verlangte noch Mittel verschrieb zur Unterstützung der heilenden göttlichen Kraft.“
In ihrer eigenen Arbeit als Ausüberin folgte Mrs. Eddy diesem Beispiel. Und „Wissenschaft und Gesundheit“, das Lehrbuch, das sie uns gab, spricht von der Notwendigkeit, das Denken des Patienten zu erkennen, sowie auch alle Gedanken, die den Patienten beeinflussen mögen. Krankheit ist mental. Bei der Ausübung der Christlichen Wissenschaft vermeiden wir, die physischen Symptome zu beobachten. Wenn auch das Erkennen und Analysieren des Denkens wesentlich ist, damit der Irrtum als nichts bloßgestellt werde, müssen wir doch stets über unsere Motive wachen, wenn wir uns mit einem Patienten unterhalten oder eine Behandlung geben, damit wir nicht aus Neugierde die mentalen Schwächen des Patienten oder die Einzelheiten seiner gefühlsbedingten Schwierigkeiten ausfindig zu machen suchen. Dies wäre gleichbedeutend mit dem Wunsch, die Krankheit „zu sehen“, nur in ihren mentalen Formen.
Mrs. Eddy sagt uns auf Seite 421 ihres Buches „Wissenschaft und Gesundheit“: „Krankheit sehen ist ebensowenig christlich-wissenschaftlich, wie sie durchmachen. Wenn du den Krankheitsbegriff zerstören willst, solltest du die Krankheit nicht dadurch aufbauen, daß du die Formen sehen möchtest, die sie annimmt, oder dadurch, daß du auch nur ein einziges materielles Linderungsmittel anwendest.“
Die Ausübung der Christlichen Wissenschaft unterscheidet sich von der Psychiatrie oder der psychosomatischen Medizin insofern, als sie nicht die einem Krankheitsfall zugrunde liegende Geschichte ausgräbt, um dann über die Art der Behandlung zu entscheiden. Das bedeutet nicht, daß der Ausüber nicht an der Mentalität des Patienten interessiert ist. Mrs. Eddy sagt (ebd., S. 462): „Geistig aufgefaßt ist Anatomie mentale Selbsterkenntnis und besteht in der Zergliederung der Gedanken, um deren Qualität, Quantität und Ursprung zu entdecken. Sind die Gedanken göttlich oder menschlich? Das ist die wichtige Frage. Dieser Zweig des Studiums ist für die Ausrottung des Irrtums unerläßlich.“
Obwohl es notwendig erscheinen mag, mit dem Patienten über das zu sprechen, was in seinem Denken vor sich geht, wird sich doch der Ausüber mit dem Fortschritt in der Heilarbeit immer weniger auf menschliche Informationen und immer mehr auf das göttliche Gemüt verlassen, wenn er sich mit dem Fall beschäftigt. In der Zwischenzeit bestimmt das Motiv die Scheidelinie zwischen Recht und Unrecht in der Unterhaltung mit dem Patienten. Versucht der Ausüber, die falsche Mentalität zu sehen, oder versucht er, sie mit dem Licht der göttlichen Wahrheit und Liebe zu entfernen? Die Feststellung, daß ein Patient krank ist, weil er seinen Nächsten haßt, mag nur ein erster Schritt zur „Ausrottung des Irrtums“ sein. Wenn wir mit dem Verständnis von der göttlichen Liebe als dem einen Gemüt den scheinbaren Widerspruch zur Allheit der Liebe im Denken des Patienten aufdecken, so bedeutet das, die Nichtsheit des Hasses bloßzustellen und die Liebe dort aufzurichten, wo der Haß zu sein schien, geradeso wie ein Lichtstrahl die Dunkelheit nicht nur vertreibt, sondern an ihre Stelle tritt.
In der Christlichen Wissenschaft geht diese Arbeit im Bewußtsein vor sich. Die Unterhaltung mag ein Hilfsmittel sein, doch die heilende Macht ist die Gemüts-Macht, und die Wirkung wartet nicht darauf, daß der Patient sein eigenes Denken umwandelt. Die Macht des Gemüts erkennt, deckt auf, vertreibt und ersetzt. Der Ausüber fährt mit seiner Arbeit fort, bis dies erzielt worden ist. Dann ist das Denken des Patienten umgewandelt, und er ist geheilt.
Wenn wir durch hingebungsvolles Gebet, durch stille Gemeinschaft mit dem Gemüt, lernen, das Denken unmittelbarer zu erkennen, stützen wir uns weniger auf das Menschliche und mehr auf das Göttliche. Gemüt, Liebe, wird uns richtig leiten, und der Weg, den wir dabei einschlagen, wird zu einer exakteren Analyse eines jeden Falles als eines vermeintlichen Widerspruchs zur göttlichen Wahrheit führen, sowie zu einer schnelleren Heilung, indem wir den Widerspruch zurückweisen und die Wahrheit hinsichtlich des betreffenden Falles aufrichten.
