Mehr Liebe unter den Menschen ist das Mittel, das die einzelnen zu gegenseitigem Verständnis führt. Doch die Notwendigkeit, Liebe zum Ausdruck zu bringen, ist wohl nie größer gewesen als heutzutage. Die modernen Verkehrsmittel haben Kontinente und Völker einander so nahe gebracht, daß sich daraus Berührungspunkte auf kulturellem, weltanschaulichem, wirtschaftlichem und politischem Gebiet ergeben haben.
Kluge Beobachter gehen an dieser Entwicklung nicht achtlos vorüber, und da sie wissen, wie wichtig ein harmonisches Zusammenwirken ist, haben sie eine Reihe von Organisationen gegründet, die den einzelnen eine Begegnung von Mensch zu Mensch ermöglichen. Wir sollten alle dankbar sein für das Verständnis und das Wohlwollen, die das Ergebnis dieser persönlichen Kontakte sind.
Doch kann das Bedürfnis der Menschheit nach mehr Liebe niemals von menschlichen Organisationen und materiell begründeten Ideologien vollkommen oder ständig befriedigt werden. Die Christliche Wissenschaft kommt den Menschen zu Hilfe und weist auf die Bibelerklärung hin, daß „die Liebe ... von Gott“ ist (1. Joh. 4:7). Dieser Begriff von Liebe wird völlig aus der menschlichen Vorstellung herausgehoben, daß Liebe eine reine Gefühlsbewegung sei, eine persönliche Zuneigung, verwoben mit selbstischen Interessen und Wünschen und dadurch deren Begrenzungen, Schwankungen und Enttäuschungen unterworfen.
Die oben zitierte biblische Erklärung zeigt an, daß die wirkliche Liebe, da sie göttlichen Ursprungs ist, geistig und unparteiisch ist. Es ist daher diese von Gott stammende und niemanden ausschließende Liebe, die heilt und alle segnet, die mit ihr in Berührung kommen. Die Bibel ist voll von Berichten über die erneuernde und umgestaltende Macht dieser angewandten geistigen Himmelsgabe. In vollem Einklang mit der Bibel erschließt uns die Christliche Wissenschaft den Weg, der zur praktischen Nutzbarmachung der biblischen Verheißungen führt.
Im ersten biblischen Schöpfungsbericht lesen wir, daß Gott den Menschen zu Seinem Bild und Gleichnis schuf. Ausgehend von dieser geistigen Wahrheit und ferner von der Wahrheit, daß Gott Liebe ist, hält die Wissenschaft daran fest, daß der Mensch das Bild und Gleichnis oder der Ausdruck der Liebe ist. Und dies bedeutet, daß der Mensch nicht nur das geliebte Kind Gottes, sondern aufgrund dieses Verhältnisses immerdar liebevoll und liebenswert ist. Jesus brachte die unendliche Liebe in so reichem Maße zum Ausdruck, daß er Kranke heilen, Sünder umwandeln und Tote erwecken konnte. In dem Maße, wie wir diese Liebe verstehen und ausdrücken, können auch wir Disharmonie überwinden, ganz gleich welche Ansprüche sich erheben.
Vor einiger Zeit arbeitete ich im Kreise Gleichgesinnter. Eine Mitarbeiterin gesellte sich zu uns, und obgleich sie als vorzügliche Arbeiterin galt, erwies sie sich als ungewöhnlich schwierig und unfreundlich. Wir alle nahmen diese Vorstellung von ihr auf und begannen darunter zu leiden. Durch mein Studium der Christlichen Wissenschaft wußte ich, daß Mrs. Eddy in „Wissenschaft und Gesundheit“ (S. 330) sagt: „Das Böse ist nichts, es ist kein Ding, kein Gemüt, keine Macht.“ Dennoch kam mir der Gedanke, den Arbeitsplatz zu wechseln. Bei diesen Erwägungen stellte ich fest, wie sehr ich in den Suggestionen des sterblichen Gemüts verstrickt war, und ich erkannte, daß es höchste Zeit war, damit anzufangen, das Problem auf einer geistigen Grundlage auszuarbeiten.
Die Mittagspause bot die Gelegenheit dazu. Ich betete ernstlich, die Unwirklichkeit der Disharmonie zu erkennen, die mir und den anderen so wirklich zu sein schien. Ich erkannte sehr klar, daß ich selbst unmöglich im Bewußtsein der Liebe weilen könnte, solange ich es für möglich hielt, daß ein anderer davon ausgeschlossen sei. Eine solche Vorstellung schloß den Glauben an eine materielle Schöpfung sowohl wie auch an eine geistige Schöpfung in sich und klassifizierte die Menschen nach guten und bösen Gruppen — alles im geraden Gegensatz zu der folgenden Tatsache: Es gibt nur eine Schöpfung, die Schöpfung Gottes, in der der Mensch, das Ebenbild Gottes, in absoluter Vollkommenheit eingeschlossen ist.
Schritt für Schritt begann die geistige Tatsache über das Kind Gottes, die ich als wahr erkannte, die Suggestion zu verdrängen, daß ich mit einem unharmonischen Sterblichen zusammen arbeitete. Ich begann Gott in meinem Bewußtsein zu verherrlichen, indem ich den Menschen mit allen Attributen der Liebe versehen erkannte, als liebevoll und gut. Nach und nach ergriff mich ein Gefühl der Erleichterung, der Dankbarkeit und der Freude, und der Druck und die Furcht, unter denen ich wochenlang gestanden hatte, verschwanden.
Als ich an meinen Arbeitsplatz zurückkehrte, trat mir diese Mitarbeiterin entgegen und erklärte mir fröhlich und hilfsbereit eine neue Arbeit, und von da an drückte sie dieselbe Freundlichkeit, die sie mir gezeigt hatte, auch allen anderen gegenüber aus. Keiner von uns verlor jemals ein Wort über die Änderung, aber sie wurde von allen dankbar empfunden. Die Heilung war vollständig.
Diese Mitarbeiterin stammte von einem fernen Erdteil, hatte eine andere Muttersprache und Hautfarbe als wir anderen. Die Ausarbeitung einer harmonischen Beziehung mit ihr deutete auf die Möglichkeit hin, durch ein geistiges Verständnis von Gott und dem Menschen die universale Brüderschaft zu erreichen.
Als Christliche Wissenschafter sollten wir es stets als unsere Pflicht ansehen, für die den menschlichen Beziehungen zugrunde liegende geistige Wahrheit einzustehen. Wenn wir nicht um Hilfe gebeten wurden, können wir natürlich nicht mental für einen anderen arbeiten, um sein Bewußtsein zu reinigen. Wir können jedoch stets jeden irrigen Gedanken über unseren Bruder in unserem eigenen Bewußtsein abweisen und an der geistigen Tatsache festhalten, daß der Mensch das vollkommene Ebenbild seines himmlischen Vaters ist, rein und ewig, liebevoll und liebenswert.
Ganz einerlei, wo wir arbeiten und welches unsere Pflichten sein mögen, wir haben überall Gelegenheit, der Menschheit in ihrem Verlangen nach mehr Liebe zu helfen. Wir aktivieren damit eine Macht, die nach und nach das ganze menschliche Denken durchdringen und dadurch spontan von individuellen zu kollektiven Ergebnissen führen wird. Wir werden nicht nur erleben, daß gebrochene Freundschaften geheilt, Mißverständnisse beseitigt, Vorurteile aufgehoben und Verdammungen beseitigt werden, sondern auch, daß glückliche Beziehungen erhalten bleiben und vertieft werden, weil unser Bewußtsein vergeistigt wird.
Wenn wir so in selbstloser Liebe von Aufgabe zu Aufgabe voranschreiten, werden wir erfahren, daß wir im Innern des Herzens zutiefst von der Gewißheit erfüllt sind, den Weg beschritten zu haben, der vorwärts und aufwärts zu unserer eigenen Erlösung führt.
Aus eigener Erfahrung weiß die Verfasserin, daß Fehler berichtigt werden können und daß Niederlagen uns zu erwecken vermögen. Wir sollten uns nie entmutigen lassen. Geduld, Standhaftigkeit und das aufrichtige Bestreben, Gott in uns wirken zu lassen, werden unserem Bemühen Erfolg bringen.
Wenn wir die Liebe erkennen, die Wahrheit ist, und uns bemühen, sie zu leben, dann können wir sehen, wie sich in einem gewissen Grade das vollzieht, was unsere Führerin Mary Baker Eddy auf Seite 191 in „Wissenschaft und Gesundheit“ prophezeit: „In dem Maße, wie eine materielle, theoretische Lebensbasis sich als eine falsche Daseinsauffassung erweist, dämmert dem menschlichen Gedanken das geistige und göttliche Prinzip des Menschen auf und führt ihn dahin, ,da das Kindlein war‘ — zu der Geburt der neu-alten Idee, zu dem geistigen Sinn des Seins und alles dessen, was das Leben in sich schließt. Auf ihren Schwingen des Lichts wird Wahrheit die ganze Erde verwandeln und die Finsternis des Irrtums verscheuchen.“