Die Christliche Wissenschaft offenbart, daß die wirkliche Selbstheit des Menschen das vollkommene Gleichnis Gottes ist. Die Bibel bietet klare Beispiele dafür, wie wertvoll es ist, unsere wahre Selbstheit zu beanspruchen, besonders dann, wenn wir uns in einer Notlage befinden. Der verlorene Sohn, von dem Christus Jesus in seinem so beliebten Gleichnis berichtet, schien tief gesunken zu sein. Zuletzt fütterte er sogar die Schweine — eine Arbeit, die normalerweise keiner der Landsleute des Meisters wagen würde zu übernehmen —, und er war dem Verhungern nahe. Der göttliche Funke der wahren Selbstheit war jedoch noch vorhanden und diente ihm als ein Licht in der Finsternis seiner Notlage, erweckte ihn zur Erkenntnis seines rechtmäßigen Erbes. Wir lesen, daß er in sich schlug „und sprach: Wie viel Tagelöhner hat mein Vater, die Brot die Fülle haben, und ich verderbe im Hunger! Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir“ (Luk. 15:17, 18).
Dies stellte zweifellos mehr dar als einen Akt der Verzweiflung um seiner Selbsterhaltung willen, denn es regte sich gleichzeitig die Reue über sein unrechtes Handeln und der Wunsch, die Vergebung seines Vaters zu suchen. Der Bericht weist deutlich darauf hin, daß er sich sogar in seiner großen Not darauf besann, daß er immer noch seines Vaters Sohn war, immer noch ein Kind des Guten, und daß seine wahre Selbstheit weder aufgehoben noch verwirkt sein konnte. Und so erwies es sich auch, denn er wurde nicht nur aufgenommen, sondern auch freudig wieder voll in seine ursprünglichen Kindesrechte eingesetzt — seine wahre Selbstheit, die niemals wirklich verlorengegangen war, wurde in vollem Maße wieder anerkannt.
Es wird uns berichtet, daß der Apostel Petrus ins Gefängnis geworfen worden war, Tag und Nacht an zwei Soldaten gekettet, von zwei weiteren scharf bewacht. In dieser Stunde der Not kam ein Engel zu ihm, eine Botschaft oder ein Botschafter von Gott, der ihn führte und beschützte und ihn drängte, unmöglich erscheinende Schritte zu unternehmen, die schließlich dazu führten, daß sich die Gefängnistore öffneten und er ohne Verzug aus seiner Gefangenschaft befreit wurde.
Es ist klar ersichtlich, daß die Befreiung des Apostels von seiner Bereitschaft und Willigkeit abhing, den geistigen Intuitionen, die zu ihm kamen, sofort zu folgen. Dem Bericht gemäß schien, während er schlief, ein Licht in dem Gefängnis und weckte ihn. Aber es hatte keine Wirkung auf seine Bewacher, deren Sinne offensichtlich nicht auf diese Offenbarung eingestellt waren. Petrus wurde aufgefordert, sich sofort zu erheben, und als er es tat, wurde er ohne die geringste Schwierigkeit oder Verzögerung von seinen Ketten befreit.
In schneller Folge kamen dann die Gebote, sich zu gürten — ein Ausdruck, der in der Bibelsprache oft bedeutet, sich für eine physische oder geistige Arbeit zu bereiten — und die Schuhe anzutun. Ferner sollte er sich seinen Mantel umwerfen und dem Engel folgen. Mit bedingungslosem Gehorsam führte Petrus diese Anweisungen schnell und aufs genaueste aus, ohne von den Wachen gestört zu werden und ohne Behinderung durch die Gefängnistüren, die sich ihm von selbst auftaten.
Es ist besonders beachtenswert, daß der Apostel gleichzeitig seine echte geistige Selbstheit erkannte, und dies setzte das Siegel der Vollständigkeit auf diese bemerkenswerte Erfahrung und gewährleistete ihre Wirklichkeit und Unabänderlichkeit. Wir lesen (Apg. 12:11): „Und da Petrus zu sich selber kam, sprach er: Nun weiß ich wahrhaftig, daß der Herr seinen Engel gesandt hat und mich errettet aus der Hand des Herodes und von allem Warten des jüdischen Volks.“
Indem Petrus zu sich selbst kam, erkannte er vielleicht, worin seine wahre Selbstheit begründet lag; und dadurch, daß er bereitwillig seinen immerwährenden Stand als Gottes Kind anerkannte, war er befähigt, seine Freiheit zu bewahren. Es gab kein Sich-Zurückwenden, kein plötzliches Aufwachen der Gefängnishüter, keine Verfolgung, keine erneute Gefangennahme. Er war frei, zu seinen Freunden und Mitaposteln zurückzukehren, deren ernsthafte Gebete zweifellos zu seiner Befreiung beitrugen.
In unserer eigenen Generation war eine Frau — ein anderer unerschütterlicher Apostel Gottes — so überzeugt von der wahren Selbstheit des zu Gottes Bild und Gleichnis geschaffenen Menschen, daß sie mit erhabener Zuversicht bestätigen konnte: „Des Menschen echte Selbstheit wird nur in dem erkannt, was gut und wahr ist. Der Mensch hat sich weder selbst erschaffen, noch ist er von den Sterblichen erschaffen worden. Gott hat den Menschen geschaffen.“ So schreibt die Entdekkerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft, Mary Baker Eddy, in ihrem Buch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 294). Sie vermittelt damit jedem aufmerksamen Leser die in ihrem eigenen zutiefst geistigen Bewußtsein verankerte klare Gewißheit.
Als Gottes Schöpfung, die vollkommen und immerdar unversehrt ist und Güte und Wahrheit widerspiegelt, besitzt der Mensch unumgänglich diese gottgegebene, unerschütterliche, echte und vollkommene Selbstheit. Der Christlichen Wissenschaft gemäß besteht unsere Aufgabe in erster Linie darin, diese Selbstheit anzuerkennen und sie uns nutzbar zu machen, wie es der verlorene Sohn in seiner Not tat, wie es Petrus tat, als er seiner Befreiung rückhaltlos zustimmte, wie es unsere große Führerin Mrs. Eddy tat, indem sie für sich und andere die Macht Gottes bewies, die da heilt und errettet.
Wir haben den Vorzug und das Recht, zu behaupten und zu wissen, daß es kein Monopol auf die wahre Selbstheit gibt, die stets unserer Erkenntnis und unserer fortschreitenden Demonstration ihrer Macht harrt. Sie ist unser, zu allen Zeiten und unter allen Umständen. Sie kann nicht einmal zeitweilig verlorengehen, es sei denn, daß wir es absichtlich geschehen lassen. „Echte Selbstheit“ besitzt keine Spur von Eigenwillen, Eigenliebe, Selbstrechtfertigung und dergleichen, die nicht die Tatsachen, sondern die Unwahrheiten in bezug auf das Dasein sind.
Manchmal mag der Neuling in der Christlichen Wissenschaft in seinem Eifer, einen falschen Sinn vom Selbst zu meiden, geneigt sein, die positiven Aspekte der wahren Selbstheit unbeachtet zu lassen, die uns von Gott gegeben sind und von Gott erhalten werden. Aber wachsende Erfahrung in dieser Wissenschaft beweist, daß das Selbst, richtig verstanden, ein Teil des Erbes des geistigen Menschen ist, das wir beanspruchen und betätigen und dessen wir uns erfreuen sollten.
Ebenso wie Gesundheit und Wohlergehen gegenwärtig sind, von der göttlichen Liebe, Gott, begründet und aufrechterhalten, der alles erschafft und alles auf dem Standpunkt der Vollkommenheit erhält — einer Vollkommenheit, die für jeden erreichbar ist, der bereit ist, diese unschätzbare Gabe anzunehmen —, so wird auch die Selbstheit des Menschen als des Kindes Gottes mit gleicher Gewißheit bestätigt. Wenn wir die echte geistige Selbstheit in all ihrer gegenwärtigen Schönheit erkennen, dann wirkt sie den Annahmen entgegen, die da versuchen möchten, solche irreführenden Elemente wie Selbstsucht und Eigenwillen darzustellen.
Daher ist ein wahrer Begriff von Selbstheit für die normale Entwicklung jedes einzelnen wichtig, ja wesentlich. Wahre Selbstheit ist eine unvermeidliche Begleiterscheinung der Geistigkeit und hat keine Ähnlichkeit mit dem falschen oder nachgemachten Erzeugnis, das unseren Fortschritt in keiner Weise fördert, sondern ihn vielmehr in jedem Punkt behindern möchte.
War es nicht Jesu klare und beständige Anerkennung seiner echten Selbstheit, die ihn befähigte, seine Mission als Messias zu erfüllen, als der gesalbte Vertreter Gottes? So rein, so mit Fortdauer und Macht ausgestattet war diese Anerkennung, daß sie den Meister nicht nur während der Feuerprobe der Kreuzigung aufrechterhielt, sondern ihn auch befähigte, über allen Zweifel erhaben zu beweisen, daß seine gottgegebene Selbstheit in keiner Weise begrenzt war und niemals zerstört werden konnte. Innerhalb von drei Tagen hatte seine fortgesetzte Arbeit die letzte Herausforderung des Todes gemeistert. In dem Geschehen, das die Auferstehung genannt wird, bewies Jesus die Ohnmacht des Todes und vernichtete dessen trügerische Ansprüche, während er in der späteren Erfahrung der Himmelfahrt einen weiteren unleugbaren Beweis von der Unzerstörbarkeit und der Fortdauer der geistigen Schöpfung Gottes, des Menschen, darbot.
Wenn der Christliche Wissenschafter den Fußtapfen des Meisters folgt und die großen Gaben beansprucht, mit denen Gott, die göttliche Liebe, die ganze Schöpfung so freimütig bedacht hat, dann bedient er sich in wachsendem Maße der echten Selbstheit. Dadurch trägt er zur Erfüllung der herrlichen Voraussage unserer Führerin bei, die in „Unity of Good“ (Die Einheit des Guten, S. 6) zu finden ist: „Früher oder später wird das ganze Menschengeschlecht verstehen lernen, daß die menschliche Natur in dem Verhältnis erneuert wird, wie man die makellose Selbstheit Gottes versteht; der Mensch wird eine von Gott stammende höhere Selbstheit empfangen, und die Erlösung der Sterblichen von Sünde, Krankheit und Tod wird auf ewigen Grundlagen ruhen.“