Der Wert des menschlichen Lebens — sein Glück, seine innere Kraft, seine Befriedigung — hängt in hohem Maße davon ab, inwieweit der einzelne die Gelegenheiten wahrzunehmen vermag, die sich ihm bieten, um sein Verlangen zu erfüllen, etwas zu vollbringen, um seine Fähigkeiten erfolgreich einzusetzen und so seinen Wert für sich selbst und andere zu beweisen. Selbst die Zuversicht, die sich auf die rein menschliche Auffassung gründet, daß es einem nie an Gelegenheiten zum Gutestun fehlen wird, befreit das Denken. Aber in der Christlichen Wissenschaft gründet sich diese Zuversicht auf das wissenschaftliche Verständnis, daß Gott Alles ist und daß Sein allwirkendes Gesetz des Guten für Seine Kinder tätig ist.
Je geistiger unser Ziel, um so edler müssen die Mittel sein, die wir anwenden, um es zu erreichen, und um so höher und segenbringender sind die Forderungen, die sie an uns stellen; daher sollten wir auch um so standhafter in unserer geistigen Selbstdisziplin sein, uns das hohe Ziel stets vor Augen zu halten.
Das allgemeine menschliche Denken jedoch, das an das Böse glaubt und die göttlich gesetzmäßige Natur des Guten leugnet, scheint unsere Gelegenheiten, einem hohen Ideal zu dienen, einzuengen. Durch ihre Suggestionen der Entmutigung und des Zweifels an den eigenen Fähigkeiten möchte diese Annahme die Dinge nur zu oft so darstellen, als ob das Erreichen eines edlen Zieles einfach nicht möglich sei. Nachlassender geistiger Eifer würde das menschliche Gemüt dann dazu führen, sich ein niedrigeres, weniger idealistisches Ziel zu setzen, und es so gegen die Möglichkeiten für wahre Errungenschaften blind machen.
Die Anhänger der Christlichen Wissenschaft teilen nicht die Ansicht, daß die Gelegenheiten zum Fortschritt und zu höheren Errungenschaften dünn gesät und mehr eine Glückssache seien. Sie weigern sich zuzugeben, daß es notwendig sei, ihre geistigen Ideale herabzusetzen, denn sie haben gelernt, daß in einem grundlegenden Sinne die wirkliche Bestimmung des menschlichen Lebens darin liegt, für das Wesen Gottes zu zeugen, und daß die Gelegenheit, jener Bestimmung zu dienen, beständig unser und unbegrenzt ist. Indem sie verständnisvoll die Eigenschaften Gottes als für sich selbst gültig erklären und sie dann in all ihrem Tun and Treiben auch tatsächlich zum Ausdruck bringen, beweisen sie, daß ihnen die Tür der Gelegenheit, Gutes in jeder Form zu vollbringen, immer offen steht.
Es gibt niemals eine Zeit, wo es nicht angebracht wäre, diesem höchsten Ziel zu dienen, niemals eine Situation, erscheine sie auch noch so verwickelt oder entmutigend, die uns nicht eine äußerst verheißungsvolle Gelegenheit bieten würde, unseren wahren Charakter als die Widerspiegelung Gottes zuversichtlich und erfolgreich zu bekunden.
Es ist sterblicher Irrtum, an die volkstümliche Redensart zu glauben, die Gelegenheit komme nur einmal im Leben. Die Christliche Wissenschaft zeigt eindeutig, daß, da das menschliche Gemüt beständig durch die Eingebungen der sogenannten sterblichen Natur beeinflußt wird, die Gelegenheit und das Bedürfnis, die göttlichen Eigenschaften zu bekunden und so uns selbst und anderen ein größeres Maß an Gutem zu bringen, immer da ist. Auch handelt es sich dabei nicht um eine monotone oder langweilige Aufgabe, sondern um eine von lebenswichtigem Interesse. Wir müssen unaufhörlich auf der Hut sein gegen die Suggestion, wir seien sterbliche Wesen mit begrenzten Fähigkeiten, deren Gelegenheiten, mehr vom Guten zu verwirklichen, zu selten und zu ungewiß seien, als daß man damit rechnen könnte.
Wenn diesen Suggestionen nicht mit einem Verständnis von ihrer völligen Unwahrheit widerstanden wird, mögen sie im Bewußtsein eines Menschen Fuß fassen. Späterhin mögen diese Suggestionen in seiner Erfahrung in der Form von Mangel an Zielstrebigkeit, Mangel an Vertrauen auf die rechtzeitige Beseitigung irgendeines scheinbaren Hindernisses für das Gute auftreten; sie mögen sich darin zeigen, daß er die Wahrheit aus den Augen verliert, daß Gott einen guten Plan für jeden von uns hat und daß Er nicht mehr Kinder hat, als Er gebrauchen kann.
Gott hat keine bevorzugten Lieblinge. Seine wohlwollende, all-intelligente Liebe ist für uns alle am Werk. Niemand wird vernachlässigt, niemand von Ihm vergessen. Niemand ist ohne göttlich vorgesehene Gelegenheiten, an Seinen Segnungen teilzuhaben.
Die Gelegenheit zum Guten findet den wirklich hingebungsvollen Christlichen Wissenschafter niemals unvorbereitet, noch fürchtet er sich davor, sie zu ergreifen. Er weiß, daß Gott, das göttliche Gemüt, Seinen Sprößling nicht quält, indem Er ihm die Gelegenheit gibt, das Gute zu ergreifen, und ihm dann die Fähigkeiten und den Mut vorenthält, die nötig sind, um sich ihrer zuversichtlich zu bedienen.
Da Gott selbst uns für die Gelegenheiten vorbereitet, die Er uns auftut, wird die Vorbereitung stets den Forderungen gemäß sein, die die Gelegenheit an uns stellen wird. Davids Auseinandersetzungen mit den reißenden Tieren, die auf seine Schafe Beute machten, gaben ihm eine unerschütterliche Überzeugung von der unumschränkten Gegenwart und unumschränkt wirksamen Hilfe seines Gottes, ganz gleich in welcher Form er diese Hilfe auch benötigte; auf diese Weise war er auf seine gottgegebene Gelegenheit vorbereitet, die die Form eines Duells mit Goliath annahm.
Durch die Kämpfe, die Saulus von Tarsus mit seinem erwachenden Gewissen ausgefochten hatte, war er von Gott dafür bereitet worden, auf den Ruf des Christus zu antworten. Und Mrs. Eddy, die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft, schreibt über ihre eigene Vorbereitung auf ihre Aufgabe: „Gott hatte mich viele Jahre hindurch gnädig für die Empfängnis dieser endgültigen Offenbarung des absoluten göttlichen Prinzips wissenschaftlich mentalen Heilens vorbereitet“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 107).
Die Geschichte zeigt, daß nur wenige Gelegenheiten so erhaben waren, so große Anforderungen stellten und auf lange Sicht solch große geistige Segnungen mit sich brachten, wie die, die sich Paulus an jenem Tage in der syrischen Wüste auftat, oder wie die, der sich Mrs. Eddy gegenübergestellt sah, die schließlich die verehrte Führerin einer Bewegung wurde, deren Ziel es ist, das menschliche Denken in grundlegendster Weise von der nutzlosen Unterwerfung unter die Materie abzukehren und zur Freiheit im Geist zu führen, von furchtsamem Widerstand gegen das Böse zu der Erkenntnis der gottgegebenen Herrschaft des Menschen über die Ansprüche des Bösen auf Wirklichkeit.
Jeder Tag enthält eine Fülle von Gelegenheiten für den wachsamen Christlichen Wissenschafter, Böses mit Gutem zu vergelten und es so zu überwinden. Mrs. Eddy belehrt uns mit Bezug auf diesen Punkt (ebd., S. 571): „Zu allen Zeiten und unter allen Umständen überwinde Böses mit Gutem. Erkenne dich selbst, und Gott wird dir Weisheit und Gelegenheit zu einem Sieg über das Böse geben.“
Wenn Gott uns die Tür für die Gelegenheit öffnet, Ihm zu dienen, dann müssen wir darauf eingehen. Wir können uns nicht vor Seinem Ruf verbergen, und wir dürfen Ihn nicht im Stich lassen. Und wir werden dies nicht tun, wenn wir uns an die Versicherung halten, die Paulus den Philippern gab (2:13): „Gott ist's, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen.“ Weder der Schüchternheit, einem übertriebenen Konservatismus noch kurzsichtigem Eigennutz sollten wir gestatten, uns der Freude und der reichen Befriedigung zu berauben, die solche Gelegenheiten mit sich bringen, sowie des wunderbaren Fortschritts, der sie begleitet, ein Fortschritt, der unvermeidlich in wunderbarer und reichlicher Weise in unserer täglichen Erfahrung sichtbaren Ausdruck finden wird.
Das Gute ist die allumfassende, absolute Gegenwart; es ist die ureigentliche Natur des Lebens und die Absicht der göttlichen Liebe, die das Gute in reichem Maße verleiht. Durch die Vergeistigung unserer Auffassung von Liebe und, verbunden damit, die Vergeistigung unserer Ziele und Bestrebungen werden wir befähigt, unsere gottgegebenen Gelegenheiten, dem Guten in fortschreitendem Maße Ausdruck zu verleihen, zu erkennen und sie uns nutzbar zu machen. Die Worte des Apostels Johannes bringen einem jeden von uns die ermutigende Botschaft Gottes (Offenb. 3:8): „Ich weiß deine Werke. Siehe, ich habe vor dir gegeben eine offene Tür, und niemand kann sie zuschließen.“
