Die unmittelbaren Nachfolger Christi Jesu waren völlig überzeugt von der Macht des Gebets, die Kranken sowie die Sündigen zu heilen und selbst die Toten zu erwecken. Sie hatten gesehen, wie der Meister alle Arten von Krankheit heilte, die Sünder aus der Sünde aufrüttelte und die Toten durch geistige Mittel allein erweckte. Bei zahlreichen Gelegenheiten hatten sie auch für sich selbst die heilende Macht des Gebets des geistigen Verständnisses bewiesen. Jakobus sprach daher von dem Standpunkt der Überzeugung aus, die der persönlichen Erfahrung entsprang, als er sagte (5: 15, 16): „Das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und so er hat Sünden getan, werden sie ihm vergeben sein. Bekenne einer dem andern seine Sünden und betet füreinander, daß ihr gesund werdet. Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.“
Diese Beschreibung des Gebets verdient unsere ernsthafte Betrachtung. Der zuerst als wesentlich erwähnte Bestandteil des Gebets, das „viel vermag“, ist Glaube. Aber dies ist kein blinder Glaube, keine bloße Annahme von der Macht Gottes. Das Gebet des Glaubens, auf das sich Jakobus bezieht, ist in Wirklichkeit das Gebet des geistigen Verständnisses — des Verständnisses, daß Gott göttliche Liebe ist, allgegenwärtiges, allmächtiges und allwissendes Gemüt. Dieses Verständnis schließt sowohl die Gewißheit ein, daß der himmlische Vater fähig ist, den Menschen gut und vollkommen zu erschaffen, wie auch ein vollständiges Vertrauen auf Gottes Bereitwilligkeit, den Menschen auf ewig unversehrt als Sein Gleichnis zu erhalten, als die vollkommene Offenbarwerdung des Geistes, des Lebens und der Wahrheit.
Geistiges Verständnis ist nicht etwas, was man entweder besitzt oder nicht besitzt. Im absoluten Sinne spiegelt der Mensch es unbegrenzt wider, aber menschlich gesehen scheinen wir es uns erwerben zu müssen; und das Wunderbare dabei ist, daß wir alle dazu in der Lage sind. Ja, ein jeder muß früher oder später geistiges Verständnis erlangen, denn es ist zur Ausarbeitung seines Heils wesentlich. Der Weg, auf dem wir es erlangen können, ist von Christus Jesus vorgezeichnet worden, und in unserem Zeitalter wurde er wiederum klar erleuchtet von der Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft, Mary Baker Eddy, und zwar in dem Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ und in ihren anderen Werken.
Daß jedermann geistiges Verständnis erlangen kann, liegt darin begründet, daß jeder einzelne in gewissem Grade geistigen Sinn besitzt, selbst wenn viele sich gegenwärtig dieser kostbaren Gabe nicht bewußt sind, die allen von dem himmlischen Vater verliehen worden ist. Es ist der geistige Sinn, der es uns ermöglicht, die geistige Wahrheit zu erfassen. Wie Mrs. Eddy schreibt (Wissenschaft und Gesundheit, S. 209): „Der geistige Sinn ist eine bewußte, beständige Fähigkeit, Gott zu verstehen.“
Wenn wir die geistigen Wahrheiten, die in der Bibel und „Wissenschaft und Gesundheit“ enthalten sind, täglich studieren, über sie nachsinnen und uns bemühen, sie anzuwenden, erlangen wir ein immer tieferes Verständnis von der wahren Natur Gottes und des Menschen in Seinem Gleichnis. Untrennbar von diesem sich entfaltenden Verständnis ist ein beständig zunehmender Glaube an die Macht dieses Verständnisses, den entgegengesetzten Augenschein der sterblichen Annahme zu zerstören, der den Menschen als körperlich, krank, sündig und sterbend darstellt. Und Glaube an die Macht des eigenen geistigen Verständnisses ist wesentlich für wirksames Gebet.
Dieser Hauptpunkt wird von Christus Jesus mit folgenden Worten hervorgehoben (Mark. 11:23): „Wahrlich, ich sage euch: Wer zu diesem Berge spräche: Hebe dich und wirf dich ins Meer! und zweifelte nicht in seinem Herzen, sondern glaubte, daß es geschehen würde, was er sagt, so wird's ihm geschehen, was er sagt.“
Das Wort „wirksam“ bedeutet fähig oder mächtig genug sein, die beabsichtigte Wirkung hervorzubringen; angemessen. Das Gebet des geistigen Verständnisses ist wirksam, weil es die Vergegenwärtigung der geistigen Tatsache oder des geistigen Gesetzes Gottes in bezug auf den jeweiligen Fall darstellt, des Gesetzes, das die göttliche Allmacht widerspiegelt und sich daher selbst durchsetzt. Solch ein Gebet hat seinen Ursprung nicht im Menschen, sondern es spiegelt Gottes Wissen um die Tatsachen wider. Es ist die Tätigkeit des Christus, der unmittelbaren Macht Gottes. Es ist unwiderstehlich und findet auch keinen Widerstand.
In diesem Bewußtsein haben wir völligen Glauben, daß wissenschaftliches Gebet, wissenschaftliche Behandlung, mächtig genug ist, die beabsichtigte Wirkung hervorzubringen, mächtig genug, den irrigen Augenschein der sterblichen Annahme zu beseitigen und dem menschlichen Verständnis die gegenwärtige Tatsache nahezubringen, daß der Mensch geistig vollkommen ist. Unsere geliebte Führerin versichert uns (Wissenschaft und Gesundheit, S. 412): „Die Kraft der Christlichen Wissenschaft und der göttlichen Liebe ist allmächtig. Sie ist in der Tat hinreichend, die Gewalt von Sünde, Krankheit und Tod zu brechen und sie zu zerstören.“
Wenn der Christliche Wissenschafter darangeht, Sünde, Krankheit oder irgendeine andere Form des Irrtums durch das Gebet des geistigen Verständnisses zu heilen, so weiß er, daß er sich des einen wahrheit wirksamen Heilmittels bedient. Da er von dessen Wirksamkeit überzeugt ist, beobachtet er nicht den Augenschein des materiellen Sinnes, um ausfindig zu machen, ob die Behandlung wirksam ist oder nicht. Er hält vielmehr an ihrer sofortigen und dauernden Wirksamkeit fest und ist auf der Hut, jede gegenteilige Einflüsterung von seiten des sterblichen Gemüts als falsch zurückzuweisen.
Jakobus sagt auch, das Gebet sollte „ernstlich“ sein. Ernsthaftigkeit und Gefühlswärme bezeichnen gewöhnlich die Tiefe unserer Überzeugung. Wenn wir gänzlich überzeugt sind, stehen wir positiv und nachdrücklich zu unseren Überzeugungen. Keine negative Eigenschaft oder Einstellung findet in unserem Denken oder Handeln Ausdruck.
Mrs. Eddy betont in ihren Werken, wie wichtig es ist, mit Inbrunst zu beten. Ja, sie weist darauf hin, daß es zuzeiten nötig ist, der Wahrheit noch eindringlicher Ausdruck zu verleihen. Indem sie beschreibt, wie einer Krisis zu begegnen ist, sagt sie (ebd., S. 421): „Bestehe mit Nachdruck auf der großen, alles umfassenden Tatsache, daß Gott, Geist, alles ist und daß außer Ihm kein anderer ist. Es gibt keine Krankheit.“
Die letzte Voraussetzung, die Jakobus für wirksames, ernstliches Gebet nennt, ist, daß es das Gebet eines „Gerechten“ sein müsse. Hieraus geht eindeutig hervor, daß der Heilerfolg unseres Gebets nicht nur von unserem rechten Denken und Geistig-gesinnt-Sein während des Betens bestimmt wird, sondern davon, daß wir jederzeit und unter allen Umständen geistige Gedanken hegen. Wir können nicht die meiste Zeit mit Gedanken des sterblichen Gemüts einhergehen, den Augenschein der materiellen Sinne annehmen und irrigen Suggestionen zustimmen und dann erwarten, mit wenigen Augenblicken des Gebets eine besondere Phase des Augenscheins, den wir als wahr angenommen haben, wirksam zu zerstören.
Je mehr wir uns bemühen, im gewöhnlichen Lauf der Dinge vom Prinzip aus zu denken, um so mehr bringen wir unser Denken in bezug auf alles, was in unserer täglichen Erfahrung Anspruch auf Wirklichkeit erheben mag, in Übereinstimmung mit dem, was das Gemüt darüber weiß, und um so wirksamer werden unsere Gebete für die Kranken und Sündigen sein. Paulus war sich sehr wohl bewußt, wie wichtig das Bemühen ist, das Denken beständig mit dem Prinzip in Einklang zu halten. Er riet (1. Thess. 5:17): „Betet ohne Unterlaß.“
Es ist nicht allein wesentlich, zu verstehen, daß wissenschaftliches Gebet stets wirksam ist und warum es so ist; es ist ebenso wichtig, es in die Tat umzusetzen. Dies geschieht dadurch, daß wir auf der Wirksamkeit jeder Behandlung bestehen, die für einen Fall gegeben wird. Manchmal, wenn eine Heilung langsam erscheint und der Augenschein des materiellen Sinnes wenig oder gar keine Änderung aufzuweisen scheint, ist man versucht zuzugeben, daß die Behandlung nicht wirksam gewesen sei. Dann ist die Zeit gekommen, noch positiver und eindringlicher für die Wirksamkeit jeder Behandlung einzustehen. Wenn wir zugeben, daß die frühere Behandlung unwirksam gewesen ist, geben wir zugleich zu, daß der Irrtum die Wirksamkeit der gegenwärtigen Behandlung verhindern kann. Aber der Irrtum kann die Wirksamkeit wissenschaftlichen Gebets nicht aufheben, noch hat er es jemals getan.
Die Tatsache, daß in dem physischen Augenschein kein sofortiger Wandel wahrzunehmen ist, bedeutet nicht, daß die Heilung nicht vor sich geht. In manchen Fällen tritt in dem Maße eine allmähliche Besserung ein, wie das Denken des Patienten berichtigt und vergeistigt wird. In anderen Fällen gibt es keine sichtbare Besserung, bis eine vollständige Heilung offenkundig wird. Ein Beispiel: Als ich noch nicht zwanzig Jahre alt war, wurde ich taub und bat einen Ausüber der Christlichen Wissenschaft um Hilfe. Es trat nicht die geringste Besserung ein, bis sich eines Tages, nicht ganz zwei Wochen danach, die Ohren plötzlich öffneten und ich wieder vollkommen hören konnte. Es wollte scheinen, als wäre die letzte Behandlung wirksam gewesen und die anderen nicht; aber das war nicht der Fall. Wenn ein Fels gespalten wird, scheint der letzte Schlag die Arbeit zu tun, aber wir wissen, daß jeder Schlag seine Wirksamkeit hat.
Wenn wir von der Wahrheit, die wir kennen, überzeugt sind, ist es nicht schwer, auf ihrer Wirksamkeit zu bestehen, auch wenn der Augenschein des materiellen Sinnes das Gegenteil zu behaupten scheint, denn wir wissen, daß der falsche Augenschein weichen muß, wie die Dunkelheit vor dem Licht verschwindet. Dies besagen auch die Worte eines beliebten Liedes aus dem Liederbuch der Christlichen Wissenschaft, Nr. 149:
Vor Gottes Liebe Furcht und Kummer schwinden,
Wie Dunkelheit gibt Raum dem Tageslicht;
Verständnisvoll Gebet wird stets erhöret,
Wenn uns das Gottvertrauen nicht gebricht.