»Da Gott immer gegenwärtig ist, kann uns keine Zeitgrenze von Ihm und dem Himmel Seiner Gegenwart trennen; und da Gott Leben ist, ist alles Leben ewig.«(Die Einheit des Guten, Seite 37)
Als ich eines Tages die vollkommen überraschende Nachricht erhielt, dass eine liebe, mütterliche Freundin ganz plötzlich weitergegangen war, hat mich das traurig und melancholisch gemacht. Obwohl ich fest davon überzeugt bin, dass das Leben ewig und der Tod nicht wirklich ist, war ich erschüttert — ja, ich glaube, das ist der richtige Ausdruck: etwas wollte an meinem Glauben rütteln.
Ich hielt mit allen Beschäftigungen, die mich gerade umtrieben, inne und setzte mich hin, um ein wenig nachzudenken. Ich fragte mich: Warum bin ich denn traurig? Als Antwort kam mir in den Sinn: Weil ich nun nie mehr mit ihr reden kann. Diese Erkenntnis machte mich noch trauriger.
Als ich die Nachricht erhielt, dass eine liebe Freundin ganz plötzlich weitergegangen war, hat mich das traurig gemacht. Obwohl ich fest davon überzeugt bin, dass das Leben ewig ist, war ich erschüttert.
Ich dachte über unsere Beziehung nach: Sie hatte meine ersten Schritte in Christian Science erlebt und begleitet. Oft hatte sie ihre schützenden »Fittiche« über mich gehalten. So manchen guten Rat hatte sie mir gegeben. Aber häufig haben wir auch nur einfach nette kleine Gespräche geführt. Oft saßen wir sonntags vor dem Gottesdienst beisammen und sprachen über »Gott und die Welt«. Dabei waren wir keineswegs immer einer Meinung, aber unser Verhältnis war von einer tiefen gegenseitigen Achtung geprägt. Gerade als mir wieder in den Sinn kam: »Und das ist jetzt alles vorbei«, fiel mir auf, dass ich sie vor meinem geistigen Auge gesehen und in Gedanken ihre Stimme gehört hatte. Und mir war klar: Das wird nie vorbei sein! Das wird bleiben: ein kostbares Stück Erinnerung, eine wunderbare, milde Gegenwart. Meine melancholische Stimmung begann sich allmählich aufzuhellen.
Nachdem diese ganz persönliche Verarbeitung so weit gediehen war, schien es mir sinnvoll, nun auch noch grundsätzlich über das Leben und dessen angebliches Ende nachzudenken. Die wöchentliche Bibellektion hatte gerade das Thema Leben und der Goldene Text lautete: Der Geist Gottes hat mich gemacht, und der Odem des Allmächtigen hat mir das Leben gegeben. (Hiob 33:4)
Ich dachte über den Sinn dieses Satzes nach. Vor meinem geistigen Auge tauchte die Situation auf, als meine Mutter vor vielen Jahren »starb«. Ich saß neben ihr, hielt ihre Hand und ich spürte, wie sie mit einem langen Ausatmen, das fast wie ein Seufzen klang, ihren letzten Atem zug tat. Als ich mich jetzt an diesen Augenblick erinnerte, kam mir in den Sinn, dass dieses Ausatmen lediglich der letzte Atemzug gewesen war, den ich miterlebt hatte, und dass das nächste Einatmen ganz einfach auf einer anderen Seinsebene geschah, die meiner Wahrnehmung entzogen war. Das war alles. Obwohl ich schon damals diesen Augenblick als sehr friedlich empfunden hatte, tauchte dieser neue Gedanke mein damaliges Erleben zusätzlich in ein sanftes und schönes Licht. Voller Dankbarkeit und mit liebevoller Stille konnte ich nun auch meine liebe e Freundin in diesem Lichte sehen. Ich erkannte ganz klar: Für sie hat sich nichts verändert.
Das Wort weitergehen zu benutzen, wenn jemand gestorben ist, das habe ich übrigens von ihr zum ersten Mal gehört. Die Formulierung hat mir auf Anhieb gut gefallen. Dieses Wort beschreibt und behauptet ganz schlicht die fortdauernde Kontinuität des Lebens. Ich verstehe das so: Der Mensch geht weiter, indem er über unsere Daseinsebene hinausschreitet, aus unserem Blickfeld hinaus. Wir erkennen dann nur noch einen leblosen Körper, die materiellen und sterblichen Sinne können das Leben dieses Menschen nun nicht mehr wahrnehmen — und daher rührt wohl auch die Trauer, die wir dann empfinden: Wir können ihn nun nicht mehr umarmen, nicht mehr mit ihm lachen und nicht mehr mit ihm telefonieren.
Wieder fällt mir meine Mutter ein: Als sie noch lebte, habe ich jeden Tag mit ihr telefoniert, immer zur gleichen Zeit. Als sie dann nicht mehr unter uns war, dachte ich jeden Tag um diese Zeit an sie und manchmal hatte ich sogar schon den Telefonhörer in der Hand, bis mir traurig einfiel, dass das ja sinnlos war. Je näher und enger man mit einem Menschen gelebt hat, umso stärker spürt man, dass da — an seiner Stelle — etwas fehlt. Das zu akzeptieren, braucht ein wenig Zeit, und die sollte man sich nehmen. In diesem Sinne finde ich Trauer verständlich, sinnvoll und auch notwendig. Durch diese Phase muss man sich durcharbeiten, herausarbeiten — sie ausarbeiten.
Und dann erkennen wir; Unsere geistigen Sinne können einen Menschen, der nicht (mehr) neben uns lebt, sehr wohl wahrnehmen. Vor meinem geistigen Auge kann ich meine Mutter immer noch sehen, in Gedanken kann ich mit ihr reden, d.h. in meinem Denken kann sie jederzeit präsent sein. Auch heute noch denke ich manchmal an meine Mutter. Sie ist vor mehr als zehn Jahren weitergegangen und noch heute weiß ich manchmal, was sie in einer bestimmten Situation sagen oder tun würde — oder es fällt mir einfach ihr umwerfender Humor ein. Ich sehe sie nicht mehr, aber in meinem Herzen lebt sie weiter.
Kürzlich hörte ich von einem evangelischen Pfarrer eine sehr schöne Antwort auf die Frage, wie man sich denn, angesichts des Todes, das ewige Leben des Menschen vorstellen solle. Er verglich das menschliche Leben mit einem Flusslauf;
■ Zu Beginn sprudelt er fröhlich, springt auch hier und da mal über Berge.
■ Später mögen schlechte Zuflüsse/Einflüsse ihn belasten (Fabriken, Abwässer etc.).
■ Am Ende fließt er vielleicht gemächlich oder zuweilen sogar müde dahin.
■ Und letztendlich mündet er dann ins Meer. ...
■ Und dort im Meer ist er immer noch vorhanden, obwohl wir ihn nicht mehr sehen, das heißt, obwohl wir ihn nicht mehr als Fluss wahrnehmen können, ist er in seiner Substanz weiterhin vorhanden.
Gerade diesen Gedanken, dass der Fluss, obwohl als solcher nicht mehr sichtbar, im Meer dennoch vorhanden ist, empfinde ich als einen sehr treffenden und einleuchtenden Vergleich.
Die folgende Stelle aus Die Erste Kirche Christi, Wissenschaftler, und Verschiedenes (Seite 210) hat mich schon oft gestärkt: »Gute Gedanken sind ein undurchdringlicher Panzer; damit angetan seid ihr gegen die Angriffe des Irrtums jeder Art geschützt, Und nicht nur ihr seid geborgen, sondern alle, auf denen eure Gedanken ruhen, werden dadurch gesegnet.«
Wo sich der Mensch befindet, an den wir denken, ist doch letztlich unerheblich. Alle, auf denen unsere guten Gedanken ruhen, werden dadurch gesegnet.