Es gibt wenige christlich gesinnte Menschen, die einen klaren Begriff haben von der Beziehung zwischen dem Buchstaben und dem Geist des Christentums; ja viele reden vom Buchstaben in fast wegwerfender Weise, gerade als ob er etwas sei, dem man aus dem Wege gehen müsse. Dieser Irrtum beruht wohl auf dem Umstand, daß der große Lehrer die Schriftgelehrten oft rügte, weil sie auf ihre genaue Kenntnis des Buchstabens pochten. Jesus konnte jedoch damit keinen Tadel gegen die Erkenntnis des Gesetzes Gottes gemeint haben, denn er erklärte selbst, daß nicht „der kleinste Buchstabe noch ein Tüttel vom Gesetz” zergehen werde, „bis daß es alles geschehe”. Nein, er rügte die Schriftgelehrten deshalb, weil sie menschengemachte Vorschriften an Stelle der Gebote Gottes setzten und den Geist dieser Gebote gänzlich mißachteten. „Wehe euch”, sagte er, „ihr verzehntet die Minze, Till und Kümmel, und lasset dahinten das Schwerste im Gesetz, nämlich das Gericht, die Barmherzigkeit und den Glauben!” Sie hielten sehr viel auf äußere Reinheit, vernachlässigten aber die innere Läuterung, auf deren Notwendigkeit ihre eignen Propheten sie so oft hingewiesen hatten.
In einer von Mrs. Eddys Klassen wurde die Frage aufgeworfen, warum die christliche Kirche die Erkenntnis der Wahrheit verloren habe, welche nötig ist, um die Kranken so zu heilen, wie der Meister und seine ersten Nachfolger sie heilten. Einer von den Schülern meinte, der Grund liege wohl darin, daß der Buchstabe für den Geist unterschoben worden sei. Mrs. Eddy erklärte dies jedoch für unrichtig. Sie sagte, während der ersten Jahrhunderte seien viele Christen mit dem Geist der Lehren Jesu erfüllt gewesen, und überall, wo dieser Geist geherrscht habe, seien edle christliche Personen erstanden, die danach gestrebt hätten, dem Wort Gottes seine rechtmäßige Stellung in der Welt zu geben, was es sie auch kosten mochte. Ferner erklärte sie, der Buchstabe der Lehren Jesu sei zum großen Teil verloren gegangen oder vernachlässigt worden; daher das fast allgemein herrschende Unvermögen, diese Lehren anzuwenden, wie der Meister seine Jünger zu tun lehrte. Außerdem darf man annehmen, daß die Wissenschaft des Christentums der Welt zu jener Zeit nicht in ihrem ganzen Umfang gegeben ward. Es geht dies schon aus den Worten Christi Jesu hervor: „Ich habe euch noch viel zu sagen? aber ihr könnt’s jetzt nicht tragen.” Hätte jedoch die christliche Kirche fortgefahren, die Vorschriften zur Heilung von Sünde und Krankheit getreulich zu befolgen, sie wäre in der Erkenntnis der Wahrheit stetig gewachsen, anstatt rückwärts zu gehen. Es wäre nicht dahin gekommen, daß sich ausgesprochene Christen zur Befreiung von Krankheit und in gewissem Maße auch zur Unterdrückung von Sünde fast ganz und gar auf materielle Mittel verlassen.
Mit dem Kommen der Christlichen Wissenschaft ist die wunderbare Wirksamkeit des Buchstabens sowohl wie des Geistes des Christentums Christi wieder zur Geltung gekommen. Auf die Frage: „Wie kann ich am schnellsten im Verständnis der Christlichen Wissenschaft vorwärts kommen?” haben wir die Antwort: „Studiere den Buchstaben gründlich, und nimm den Geist in dich auf. Hange dem göttlichen Prinzip der Christlichen Wissenschaft an, und folge dem Geheiß Gottes, indem du unentwegt in der Weisheit, Wahrheit und Liebe beharrst” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 495). Ferner lesen wir auf Seite 330: „Wenn ... der Buchstabe und der Geist Zeugnis ablegen, dann wird die Unfehlbarkeit der göttlichen Metaphysik demonstriert werden.” Es sei hier bemerkt, daß gar mancher mit der Literatur der Christlichen Wissenschaft, insbesondere mit den Schriften unsrer Führerin bekannt ist, ohne jedoch den zur Demonstration der Macht der Wahrheit so nötigen Buchstaben und Geist erfaßt zu haben.
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