Das vorherrschende Gefühl der sterblichen Erfahrung ist das der Unvollkommenheit und Schwachheit. Von überall her ertönt der Ruf um Hilfe. Dem gegenüber ist in der ganzen Heiligen Schrift von der Unendlichkeit der Kraft des Geistes die Rede, und die Christliche Wissenschaft kann als die Darlegung und der Beweis dieser Kraft bezeichnet werden. „Gehorsam gegen Wahrheit verleiht dem Menschen Macht und Stärke”, sagt Mrs. Eddy (Wissenschaft und Gesundheit, S. 183). Dieser Gedanke durchdringt ihre ganze Lehre.
Jesus sagte zu seinen Jüngern: „Ich habe euch Macht gegeben ... über alle Gewalt des Feindes”, und an andrer Stelle sagte er in bezug auf diese Ausrüstung: „Euch ist’s gegeben, das Geheimnis [die wesentlichen Wahrheiten] des Reichs Gottes zu wissen”. Ihre Fähigkeit bemaß sich also nach ihrer Erkenntnis des Geistes und ihrem Bewußtsein des Guten.
Daß viele der Propheten und Weisen des Altertums einigermaßen einen Begriff von dieser Wahrheit hatten, steht außer Frage. David spricht in ihrem Sinn, wenn er im siebenundzwanzigsten Psalm die herrlichen Worte äußert: „Der Herr ist meines Lebens Kraft”, während uns Jesaja das Metaphysische dieser Erkenntnis nahelegt, wenn er sagt: „Durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein.” Ebenso offenbar ist es aber auch, daß die alten Propheten oft erwarteten, die Macht Gottes werde sich durch den Gebrauch materieller Mittel offenbaren. Trotzdem waren sie dem allgemeinen Denken ihrer wie unsrer Zeit weit voraus. Sie hatten zum wenigsten eine Ahnung von dem, was in den folgenden Worten des Serubabel zum Ausdruck kommt: „Es soll nicht durch Heer oder Kraft sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der Herr Zebaoth.”
Jesus lehrte durch Wort und Tat, daß Stärke die Tätigkeit des Guten ist, welche die Materialität beherrscht, ohne irgendwie mit derselben in Berührung zu kommen oder sich mit ihr zu verbinden. In Übereinstimmung hiermit berichtigt die Christliche Wissenschaft die vorherrschenden Vorstellungen der Menschen. Wie der Glaube und die Hoffnung der Juden sich auf einen kriegerischen Messias richtete, so stützt sich das Denken der Christen unsrer Zeit zum großen Teil auf den Glauben an Leben und Kraft in der Materie, und die Materie wird als ein Werkzeug zur Offenbarung des göttlichen Willens angesehen. Beim Anblick einer unsrer modernen Riesen-Lokomotiven denken und sagen die Menschen unwillkürlich: „Welch ein Bild der Kraft!” Und doch ist es offenbar, daß solch ein Koloß nicht die geringste Kraft hat, sondern daß vielmehr seine ungeheure Größe als ein totes Gewicht gegen die Kraft wirkt, die ihn in Bewegung setzt. Der fast allgemein herrschende Glaube an die Macht der Materialität ist ein kolossaler Irrtum, der von der Christlichen Wissenschaft bloßgelegt und dadurch zerstört wird. Daß Befreiung aus der Knechtschaft der Materialität nur durch das Verständnis von den metaphysischen Lehren Jesu erlangt werden kann: dies ist der Schlußstein der Darlegungen Mrs. Eddys. Auf Seite 393 von Wissenschaft und Gesundheit sagt sie: „Erhebe dich in der Stärke des Geistes, um allem zu widerstehen, was dem Guten unähnlich ist.”
Die Welt wird von dem mesmerischen Gedanken, daß Gehirn, Muskeln und fleischliche Waffen Macht haben, in bedauernswerter Knechtschaft gehalten. Dieser Bann kann nicht gelöst werden, solange die Menschen an materielle Kraft glauben. Hierin beweist sich die schulmäßige Theologie als sehr schwach, die Christliche Wissenschaft hingegen als sehr stark. Die Lehre, welche Gott dem Gideon gab, als er ihm gebot, seine Kriegsmannschaft auf dreihundert zu vermindern, damit sie nicht sagen könnten, ihre Hand habe sie erlöst — diese Lehre gilt einem jeden von uns. Christliche Wissenschafter, die sie in sich aufgenommen haben, können von erhöhter Fähigkeit und einem reicheren Maß des Friedens reden. Wenn die Erklärung: „Der Herr, Herr ist meine Kraft” für uns nicht länger eine bloße Theorie ist, sondern die Überzeugung zum Ausdruck bringt, daß wir durch die Erkenntnis der Wahrheit allezeit „mächtig” sind „vor Gott, zu zerstören Befestigungen”, dann hat das Leben für uns eine neue Bedeutung gewonnen; dann verstehen wir die erhabene Zuversicht des Meisters, die er am Grabe des Lazarus mit den Worten zum Ausdruck brachte: „Ich weiß, daß du mich allezeit hörest”. Eine der Seligpreisungen der Christlichen Wissenschaft lautet: „Wohl den Menschen, die dich für ihre Stärke halten”.
