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Der eingeborne Sohn

Aus der Februar 1915-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


In unsern Tagen, wo die Bibelforschung in steigendem Maße betrieben wird, werden viele Leser der heiligen Bücher in ihrem Bestreben, sich über den wahren Stand des Menschen im Weltall Klarheit zu verschaffen, irregeführt durch eine allgemein herrschende falsche Auffassung von den Lehren Jesu bezüglich seiner Beziehung zum Vater, zu „eurem Vater” und „unserm Vater”, mit welchen Worten er seinem umfassenden Begriff von Gottes Beziehung zum Menschen oftmals Ausdruck verlieh.

Die schulmäßigen Auslegungen der Heiligen Schrift scheinen den wahren Sinn der Stellen in den Evangelien sowie im ersten Brief des Johannes, die sich auf Christus Jesus als den „eingebornen Sohn” beziehen, zu verdunkeln. Der überlieferten Auslegung nach wird Jesus so dargestellt, als sei er der einzige Sohn Gottes, und damit wird der Gottheit die sterbliche Eigenschaft der Beschränkung zugeschrieben. Die Schüler des Lehrbuchs der Christlichen Wissenschaft, die das göttliche Prinzip bis zu einem gewissen Grade zu demonstrieren vermögen, haben gelernt, daß der Gebrauch des Wortes „ein” in Verbindung mit „gebornen Sohn” bedeuten soll, daß Christus die „geistige Idee der Sohnschaft” ist (Wissenschaft und Gesundheit, S. 331), der vollkommene Ausdruck des Gemüts, des ewigen, unendlichen Prinzips; daß der Christus das wahre Ideal des vom Vater geborenen Menschen oder Sohnes darstellt; daß dieser wahre Sohn der „eingeborne” ist in dem Sinne, daß kein andrer dem Wesen nach verschiedener Sohn je von Gott geschaffen oder geoffenbart wurde.

In der schönen Predigt „Christmas Sermon“ in „Miscellaneous Writings“ erklärt Mrs. Eddy, die Erkenntnis des Christus, der geistigen Idee in der Christlichen Wissenschaft, werde schließlich den Menschen im ganzen wie im einzelnen als den Sohn Gottes offenbaren (S. 164). Diese wissenschaftliche Erklärung der Wahrheit, die unsre verehrte Führerin vermöge ihrer klaren geistigen Erkenntnis aufstellte und verfocht, ist eine genaue Bestätigung der Lehren Jesu, der seinen eignen Stand in der Wahrheit kannte, und der da wußte, daß alle Kinder Gottes eines sind in Christus, wie seine Worte bezeugen: „Daß sie alle eines seien, gleichwie Du, Vater, in mir. ... Ich in ihnen und Du in mir, auf daß sie vollkommen seien in eines.” Wenn Paulus von dem Christus sagt: „Hie ist kein Mann noch Weib; denn ihr seid allzumal einer in Christo Jesu”, so hat er die Erklärungen des Meisters über die Einheit der Kindschaft offenbar klar erfaßt.

Der Befehl Jesu an seine Schüler, keinen Menschen beim Namen „Vater” zu nennen, und sein eindringliches Gebot an sie, vollkommen zu sein, gleichwie ihr Vater im Himmel vollkommen ist, wiesen deutlich hin auf des Menschen göttlichen Ursprung und seine Beziehung zu Gott, sowie auch auf die Vollkommenheit des Menschen als des geistigen Ausdrucks des vollkommenen Gemüts oder Prinzips. Seine unfehlbare geistige Erkenntnis befähigte ihn, in positiven Worten des Menschen Sohnschaft zu verkünden, wodurch er mit allen Theorien von materiellem Ursprung samt deren Ansprüchen auf physische Erzeugung und Verwandtschaft aufräumte und den wahren Stand von Mann und Weib als Kindern Gottes verkündete, die „keinen geringeren Eltern angehören” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 529).

Jesus lehrte, daß alle vom Geist Geborenen gleicherweise Söhne und Töchter Gottes sind, gleiche Rechte und gleiche Macht haben, des Wesens des Vaters teilhaftig sind und dasselbe Geburtsrecht beanspruchen können. Und dies wird bezeugt durch seine unvergängliche Erklärung von des Menschen göttlichem Recht, Gutes zu bekunden, dasselbe Prinzip widerzuspiegeln, das er zum Ausdruck brachte. Deshalb sagte er: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer an mich glaubet, der wird die Werke auch tun, die Ich tue, und wird größere denn diese tun; denn Ich gehe zum Vater.” Die Bibel berechtigt uns zu der Behauptung, daß der Mensch Macht hat, die Werke zu tun, die Jesus durch sein Verständnis des von ihm geoffenbarten Prinzips und der geistigen Idee vollbrachte.

Wir lesen nirgends in der Bibel, daß Jesus jemals erklärt hätte, er allein sei der „eingeborne Sohn”. Im Gegenteil, er lehrte, daß der Christus, den er der Menschheit als „den Weg, die Wahrheit und das Leben” offenbarte, das Muster und Vorbild für Lehre und Ausübung sei, wodurch alle Menschen befähigt würden, die Wahrheit zu demonstrieren und zu erkennen, die die Illusionen der Sterblichkeit verscheucht. Es ist kein andrer Name gegeben unter den Menschen, wodurch wir von den Irrtümern des materiellen Sinnes erlöst werden könnten.

Aus den sechs verschiedenen Berichten in den drei Evangelien über die Verklärung Jesu — erst, als er von Johannes getauft wurde, und sodann, als er Petrus, Jakobus und Johannes in die höheren Regionen des geistigen Bewußtseins führte —, geht hervor, daß die Ausstrahlung seines eignen vergeistigten Denkens ihnen die Wahrheit über seine Beziehung zum Vater enthüllte. Dieser den Jüngern gewordene Lichtblick von der Wirklichkeit wurde hernach von den Evangelisten als eine göttliche Botschaft dargestellt. Die Erzähler sind sich über die Bedeutung der Offenbarung alle einig: „Dies ist” oder „du bist mein lieber Sohn”, und sie geben ein übereinstimmendes Zeugnis hinsichtlich des Inhalts der Botschaften oder Offenbarungen. Es war nicht „mein eingeborner Sohn”, noch „mein einziger Sohn”, sondern „mein lieber Sohn; den sollt ihr hören”, und „mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe.”

Einige Übersetzer und Ausleger schreiben die Erklärung Johannes 3, 16–21 Jesu zu. Andre haben mit ihrer Behauptung wohl eher recht, daß diese Worte ein Kommentar des Evangelisten sind zu den vorhergehenden Aussagen des Meisters. Wie dem auch sei, es bedeutet die in diesem Teil zweimal vorkommende Bezeichnung „der eingeborne Sohn” im Lichte der Christlichen Wissenschaft einen weiteren Beweis dafür, daß der Christus, der dem menschlichen Bewußtsein durch den Menschen Jesus geoffenbart wurde, das Musterbild der alleinigen Gotteskindschaft darstellte, und daß der Mensch in der Wissenschaft das Ebenbild des Vaters ist — geistig und vollkommen. Wer sich in das Studium der Christlichen Wissenschaft vertieft, versteht, daß der wahre Mensch nicht sterblich ist, nie sterblich war noch je sein wird. (Siehe Wissenschaft und Gesundheit, S. 475.)

Die Behauptung, die im christlich-wissenschaftlichen Lehrbuch enthaltenen Definitionen des wirklichen Menschen seien unrichtig, weil sie nicht allgemein verstanden werden, käme der Behauptung gleich, die Worte des Meisters über diesen Gegenstand seien unrichtig; denn Mrs. Eddys Erklärungen über das Wesen des wahren Menschen stimmen völlig überein mit den Erklärungen sämtlicher Verfasser des Neuen Testaments über den Menschen und seine Beziehung zu Gott. Wenn Jesus behauptete, das Fleisch sei nichts nütze, wenn Paulus erklärte, die Kinder des Fleisches seien nicht die Kinder Gottes, und wenn Johannes von der materiellen Welt und deren Kindern (ausgedrückt durch „des Fleisches Lust ... und hoffärtiges Leben”) sagte, sie seien nicht vom Vater, so traten sie der Lüge, durch die Mann und Weib auf ewig an Sterblichkeit gebunden und so des Menschen geistigen Erbrechts als des eingeborenen Sohnes des Geistes, Gottes, beraubt werden würden, mit der entschiedensten Verneinung entgegen. Diese Verneinung der falschen Ansprüche des materiellen Sinnes war von der Bekräftigung jener wahren Sohnschaft begleitet, die in Christus erscheint, wenn wir „niemand nach dem Fleisch” „kennen”. Wer den falschen Sinn vom Selbst verneint, sein Kreuz aufnimmt und dem Christus folgt, der nähert sich unweigerlich dem erhabenen Augenblick, da sich ihm die Erkenntnis der ununterbrochenen Fortdauer des Lebens, das mit seiner eingeborenen geistigen Idee des Lebens eins ist, voll erschließt.

Die Erklärungen im Neuen Testament bezüglich Gottes „eignen Sohnes” werden oftmals fälschlicherweise als gleichbedeutend mit „einzigen” Sohn im menschlichen Sinn von Einzahl aufgefaßt. Dieser irrige Gebrauch scheint auf einer Wortverwechslung zu beruhen, die durch lautliche Ähnlichkeit oder durch ungenügende Vertrautheit mit gänzlich verschiedenen Stellen entstehen, Stellen, die auf den „eignen Sohn” und den „eingebornen Sohn” Bezug haben. Dieser Irrtum beruht ferner auf ungenauer Folgerung und mangelnder Genauigkeit beim Zitieren. Daß er so allgemein ist, zeugt nur von der Blindheit des sterblichen Sinnes, der sich zu einer Theorie bekennt, ohne sich vorerst zu vergewissern, ob ihre Voraussetzungen den für die Wahrheit geltenden Maßstäben entsprechen.

Wenn Johannes den Christus im ersten Kapitel seines Evangeliums als das „Wort” bezeichnet, das Fleisch geworden, und wenn er von der Herrlichkeit des „eingebornen Sohns vom Vater, voller Gnade und Wahrheit” spricht, so meint er sicherlich nicht einen einzigen Sohn im menschlichen Sinn. Hätte er diese Beziehung Jesus allein zugeschrieben, so würde er niemals in seinem ersten Brief die unsterbliche Tatsache verkündet haben: „Wir sind nun Gottes Kinder”, Worte, die in allen unsern Sonntagsgottesdiensten verlesen werden und deren Bedeutung sich die Menschen immer mehr bewußt werden.

Die Bezeichnung „einziger Sohn” kommt in der ganzen Bibel nur dreimal vor: im ersten Buch Mose, im Propheten Jeremia und im Propheten Sacharja, und dann auch nur im Sinne menschlicher Verwandtschaft, niemals in Verbindung mit dem Christus oder Jesus.

Die Erläuterung und das Erfassen dieser wissenschaftlichen Tatsachen tun der Kraft, Schönheit und Herrlichkeit des Lebens und der Werke Christi Jesu keinen Abbruch. Im Gegenteil, das wachsende Verständnis von der göttlichen Wissenschaft, die des Meisters Lehren und Demonstrationen offenbarten, erhöhen unsre Liebe und Bewunderung für den, von dem unsre verehrte Führerin sagte: „Jesus war der höchste menschliche Begriff vom vollkommenen Menschen. Er war untrennbar von Christus, dem Messias — der göttlichen Idee Gottes außerhalb des Fleisches” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 482). Nur durch die Demonstration dieses wahren Ideal-Menschen werden wir befähigt, dem Meister zu folgen und die unwandelbare Wahrheit anzunehmen, die unser Bewußtsein von den falschen Ansprüchen des Irrtums reinigt und es in sein ursprüngliches Element der gleichen heilenden Liebe erhebt, die die Kinder Israel fortwährend aus der ägyptischen Finsternis in das verheißene Land, das Reich des Lebens, des Lichts und der Harmonie ruft.

Wir werden diesen Gegenstand besser verstehen, wenn wir die Erklärung im ersten Kapitel des Ebräerbriefes genau betrachten: „Und abermal, da er einführet den Erstgebornen in die Welt, spricht er: Und es sollen ihn alle Engel Gottes anbeten”, sowie auch die Worte des Johannes im ersten Kapitel der Offenbarung in bezug auf Christus Jesus als den „Erstgebornen von den Toten”. Diesen Stellen können wir die wohlbekannte Erklärung des Paulus über den Sohn hinzufügen, daß „derselbige sei der Erstgeborne unter vielen Brüdern”. Die wesentliche hier gelehrte Wahrheit wird dann besser verstanden werden, wenn dem „Erstgebornen von den Toten” noch andre gefolgt sind. Dann werden wir erkennen, wie der Verfasser des Ebräerbriefes erkannt hatte, daß „sie alle von einem kommen, beide, der da heiliget und die da geheiliget werden. Darum schämet er sich auch nicht, sie Brüder zu heißen.”

Copyright, 1915, by The Christian Science Publishing Society
Verlagsrecht, 1915, von The Christian Science Publishing Society

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