Auf dem allgemeinen Religions-Kongreß, der im Jahre 1893 in Chicago während der Weltausstellung abgehalten wurde, tat der Präsident des Kongresses, Hon. Charles C. Bonney, die Äußerung, die Menschheit sei dahin gekommen, daß sie die Wissenschaft als gottesleugnerisch bezeichne. Und doch könne wahre Wissenschaft nicht anders als „durch die Natur zum Gott der Natur emporschauen.” Die Christlichen Wissenschafter seien daher dazu berufen, die Übereinstimmung von Wissenschaft und Religion zu erklären und den schwindenden Glauben vieler Menschen an die Wahrheiten der Heiligen Schrift wiederherzustellen. Der Präsident fügte hinzu: „Wenn die Wissenschaft christlich wird, dann nähert sich die Welt dem tausendjährigen Reich”—„jenem glücklichen Tag”, um mit Mrs. Eddy zu reden, „an dem der Mensch die Wissenschaft Christi erkennen und feinen Nächsten lieben wird wie sich selbst — an dem er sich die Allmacht Gottes und die heilende Kraft der göttlichen Liebe vergegenwärtigen wird, in all dem, was sie für die Menschheit getan hat und noch tut” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 55).
Eins unsrer Lexikons bestimmt Wissenschaft als „Wissen, Verständnis oder Erkenntnis von Tatsachen oder Prinzipien”, die Kenntnis von Dingen, seien sie ideal oder stofflich. Diese Definition rechtfertigt vollauf den Gebrauch der Bezeichnung Wissenschaft für die Kenntnis geistiger Dinge. Die Beschränkung dieser Bezeichnung auf materielle Dinge wird, unsres Wissens, von keiner Autorität gelehrt. Dennoch sehen wir uns der Tatsache gegenüber, daß die Erkenntnis Gottes, zu der uns das Studium der Schrift verhilft, mit dem Zeugnis der persönlichen Sinne im Widerspruch steht. Aus diesem Grunde haben materielle Wissenschaft und Religion, welch letztere auf der durch das Forschen in der Heiligen Schrift erlangten Erkenntnis Gottes beruht, seit Menschengedenken im Widerstreit gestanden. Paulus, der für die Wahrheit einen klaren Blick hatte, erkannte dies, weshalb er erklärte: „Das Fleisch gelüstet wider den Geist, und den Geist wider das Fleisch; dieselbigen sind widereinander.”
Die Entdeckung der Christlichen Wissenschaft hat der Welt diese Frage klarer zum Bewußtsein gebracht. Die Anhänger philosophischer Systeme werden nun aufgefordert zu wählen, wem sie dienen wollen: geistiger Erkenntnis oder dem Zeugnis der materiellen Sinne. Bei manchen herrscht die Neigung vor, das Geistige unbeachtet zu lassen und die Bezeichnung Wissenschaft auf das Materielle zu beschränken, während andre, die von dem Geistigen nicht lassen wollen, sich in einer Zwangslage befinden wegen des offenbaren Zwiespalts zwischen dem Geistigen und dem Materiellen. Hier kommt nun die Christliche Wissenschaft zu Hilfe. Sie führt uns zum wahren Verständnis von Ursache und Wirkung und gibt uns eine wissenschaftliche Scheidelinie zwischen dem Wahren und dem Falschen. Hierdurch wird die Wissenschaft mit dem Christentum in Einklang gebracht. Sie entscheidet, was wissenschaftlich ist im Sinne der Lehren des Meisters.
Der materielle Sinn verneint, daß das Weltall geistig sei oder eine geistige Ursache habe; ebenso bestimmt aber verneint die geistige Erkenntnis, daß das Weltall materiell sei. Die Christliche Wissenschaft stützt sich völlig auf die Lehre Christi Jesu, daß Gott Geist ist. Diese Lehre verneint der persönliche Sinn mit der Erklärung, es gebe keinen Geist, denn er könne Geist nicht sehen. Auf diesen Protest des materiellen Sinnes achtet jedoch der Christ nicht, sondern er erkennt die Worte des Meisters an. Die Christliche Wissenschaft hilft ihm, seine Stellung zu behaupten. Sie ermöglicht ihm, in Übereinstimmung mit ihr zu leben und als Tatsache zu erkennen, daß die Schöpfung des Geistes geistig ist und nicht materiell. Die Wissenschaft wird somit christlich und das Christentum wissenschaftlich. Daher ist die Bezeichnung Christliche Wissenschaft durchaus zutreffend.
Da Gott, die unendliche, unwandelbare Intelligenz, die einzige Ursache oder der einzige Ursprung ist, so kann nur das wahre Wissenschaft sein, was die Ordnung der göttlichen Kundwerdung ausdrückt. Da neben Gott und dem von Ihm Geschaffenen nichts besteht, so gibt es nichts zu erkennen außer der Gottheit und ihrer Schöpfung. Jesus erklärte: „Das ist aber das ewige Leben, daß sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesum Christ, erkennen.” Mit diesen Worten sagte er deutlich, daß das wahre und dauernde Sein, in welchem vollkommene Harmonie herrscht, durch die Erkenntnis des wahren Gottes und Seines Ebenbildes oder Ausdrucks erreicht wird. Wahre Wissenschaft beginnt daher mit wahrem Wissen, mit einer richtigen und vollen Erkenntnis des Wesens Gottes, und sie endet mit einer vollen Erkenntnis Seiner Schöpfung, alles dessen, was von Ihm kommt. Daher bildet die biblische Definition von Gott als „Geist” die grundlegende Lehre der wahren Wissenschaft, also der christlichen Wissenschaft. Und jeder Satz im Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft, Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, von Mrs. Eddy, ist eine dieser Voraussetzung entsprechende Folgerung.
Vom biblischen Standpunkt aus betrachtet ist die Christliche Wissenschaft daher wissenschaftlich. Es muß jedoch bemerkt werden, daß viele der modernen Physiker alle Ursächlichkeit als mental ansehen. Jesus sagte: „Was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren wird, das ist Geist.” In diesen Worten liegt die Lehre, daß alles, was vom Geist kommt, geistig ist, und daß Materie keinen Teil der Schöpfung Gottes bildet. Wenn sie keinen Teil der Schöpfung Gottes bildet — und die Wahrheit besteht, daß Gott der einzige Schöpfer ist —, so ist die notwendige Folgerung die, daß die Materie nicht geschaffen worden ist und daher nicht existiert. Die abstrakte Behauptung: „Es gibt keine Materie”, bedarf jedoch, um verstanden zu werden, der weiteren, im christlich-wissenschaftlichen Lehrbuch enthaltenen Erklärungen. Sie bedeutet nicht, daß die Schöpfung, einschließlich des Menschen, unwirklich ist, sondern daß sie nicht das ist, was sie dem unvollkommenen Sinn zu sein scheint, der noch nicht durch den geistigen Begriff von den Dingen aus dem Materiellen heraus-belehrt worden ist. Es wird wohl jeder zugeben, daß nur der vollkommene Mensch die wahre Schöpfung schauen kann. Und welcher Sterbliche vermöchte zu sagen, wie sich diese Schöpfung dem vollkommenen Menschen darstellt?
Wenn ich gefragt werde, ob ich als Christlicher Wissenschafter unsre schöne Welt für unwirklich halte, so antworte ich: Wenn wir sie so sehen könnten, wie sie in Wirklichkeit ist, würde sie uns in dem Grade schöner erscheinen, wie Unendlichkeit unsre gegenwärtige Erkenntnis übertrifft. Paulus erklärte: „Denn so das Klarheit hatte, das da aufhöret, viel mehr wird das Klarheit haben, das da bleibet.” Alle göttlich geschaffenen Dinge, von den geringsten bis zu den erhabensten, sind wirklich, existieren aber als Kundwerdungen des Geistes oder Gemüts und sind daher nicht materiell. Die Materie bringt nur die Annahme zum Ausdruck, als sei die Schöpfung materiell. An dieser Annahme ist nichts Wahres; daher die Erklärung: „Es gibt keine Materie.” Hieraus ist zu ersehen, daß die Christliche Wissenschaft nicht die eigentliche Schöpfung verneint, sondern die falsche Anschauung oder Sinnenvorstellung von derselben. Die Kritiker, die sich mit diesem Problem abgeben, erkennen nicht, was die Christliche Wissenschaft an Stelle dessen bietet, was sie wegnimmt.
Die Christliche Wissenschaft lehrt, daß wir in unserm gegenwärtigen unvollkommenen Zustand eine nur mangelhafte, materielle Vorstellung von den Dingen haben, daß wir in dem Maße, wie wir geistig wachsen, eine höhere, geistigere Erkenntnis erlangen werden, und daß dieser Fortschritt solange anhalten wird, bis Vollkommenheit erscheint. Wenn wir zu der Erkenntnis erwachen, daß wir das Ebenbild und Gleichnis Gottes sind, dann werden wir alle Dinge so sehen, wie Gott sie sieht, wie sie in Wirklichkeit sind — in all ihrer Geistigkeit, Vollkommenheit und Schönheit, und der falsche Sinn von der Schöpfung wird verschwunden sein, wie die fliehenden Wolken, die das Sonnenlicht vorübergehend trüben.
Paulus ermahnte den Timotheus, „die Gezänke der fälschlich so genannten Erkenntnis” zu meiden [Zürcher Bibel]. Paulus war ein Christ; er hatte die Lehre Jesu angenommen, einschließlich seiner Erklärungen: „Gott ist Geist”. „Der Geist ist’s, der da lebendig machet; das Fleisch ist nichts nütze.” Er erkannte, daß Geist und Fleisch Gegensätze sind. Dieser Frage hatte er offenbar die eingehendste Beachtung geschenkt. Er war ein Christ im wahren Sinne des Wortes. Daher muß er ein Fürsprecher jener Wissenschaft gewesen sein, die christlich ist, und sein Rat, „die Gezänke der fälschlich so genannten Erkenntnis” zu meiden, ist wohl dahin zu verstehen, daß man alles verwerfen soll, was im Gegensatz zum wissenschaftlichen Christentum steht.
Paulus erklärt ferner, die christliche Lehre sei den weisen Griechen eine Torheit. Hier ist zu beachten, daß Paulus nicht sagt, wir sollten die Erkenntnis (Wissenschaft) meiden, sondern die fälschlich sogenannte Erkenntnis, oder das, was mit wahrer Wissenschaft nicht übereinstimmt oder sich ihr widersetzt. Offenbar dachte er hierbei an die verschiedenen philosophischen Systeme, die beanspruchten, genaue Kenntnis zu vermitteln, die aber tatsächlich der geistigen Erkenntnis widersprachen, welche unser Herr und Meister eingeführt hatte. Die Christliche Wissenschaft läßt sich nicht auf Vergleiche mit dem materiellen Sinn ein. Sie ist völlig auf geistige Erkenntnis gegründet und verneint in kühner und furchtloser Weise den Augenschein der materiellen Sinne. Wie Mrs. Eddy in ihrem Buch erklärt, fordert sie „die Welt zum Kampf ... über diese Frage” heraus (Wissenschaft und Gesundheit, S. 483).
Ein Kritiker erklärt, daß, falls die Christliche Wissenschaft „jemals zum universellen Glauben werden sollte”, sie „der Welt alles nehmen” würde, „was die Menschheit in vergangenen Zeitaltern gelernt” hat; „sie würde jede Philosophie, Wissenschaft oder Religion als einen Irrtum brandmarken.” Geistige Wahrheit läßt sich allerdings nicht auf Vergleiche ein. Sie kennt kein Erbarmen mit einer Theorie, die mit geistiger Wahrheit nicht in vollem Einklang steht. Die Christliche Wissenschaft gründet sich auf die Lehre, daß Gott die Liebe ist und der Mensch der Ausfluß der göttlichen Liebe. Hieraus folgt, daß jeder einzelne die biblischen Gebote beachten muß: „Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüte und von allen deinen Kräften”, und „du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst.” Kein Schaden kann durch die Ausübung einer solchen Lehre erwachsen; im Gegenteil, unendlich viel Gutes muß sich daraus ergeben.
In dem Maße, als wir wissend werden, entschleiert sich uns der Sinn des Daseins, der Zweck des Lebens und das Ziel der Menschheit. In dem Maße kommt Sicherheit in unser Leben, Zielbewußtsein in unser Streben, Notwendigkeit in unsern Fortschritt und Aufstieg in unsre Entwicklung. Erst das Wissen führt unser Schaffen zum Vollenden. Durch die Empfindung wird es hell unter den Menschen, durch die Erkenntnis steigt die Sonne des vollen Tages herauf.