Es gibt wenige Menschen, die nicht hoffen, mehr Glück und dauernde Harmonie zu erlangen als sie zur Zeit genießen. Einige hoffen nur auf eine günstige Wendung des Glücksrades, andre glauben, sie wüßten, was sie zu tun hätten, um das Gewünschte zu erringen, und arbeiten darauf hin. Wenn ihnen die Verwirklichung ihrer Hoffnungen näher scheint, glauben sie Forschritte zu machen und erwarten Erfolg als Belohnung für die Fortsetzung ihrer bisherigen Bemühungen. Das Ziel ist des Strebens wert, und die Mühe und das geforderte Opfer sind kein höherer Preis als der ehrenwerte Mensch zu zahlen bereit ist. Ist jemand nicht zufrieden, wenn er für die verwandte Mühe „seinen rechten Lohn” empfängt, so hat er nicht gelernt, daß positiver Fortschritt das Ergebnis gutgetaner Arbeit ist, und daß wahrer Erfolg nur dann eintreten kann, wenn alles zum Erfolg Nötige geschehen ist.
Vom menschlichen Standpunkte aus betrachtet scheint Harmonie ohne das Vorhandensein materieller Dinge oder Annehmlichkeiten unmöglich; daher wird Erfolg gewöhnlich nach der Fähigkeit bemessen, diese Dinge zu beschaffen. Wer solches vermag, gilt bei seinen Nebenmenschen als ein erfolgreicher Mensch. Allerdings kommt gelegentlich eine Ausnahme von dieser Regel vor. Es finden sich Menschen, denen mehr am Vollbringen der zu leistenden Arbeit liegt als an der Belohnung, die sie mit sich bringt; doch nur wenige betrachten das Bewußtsein gutgetaner Arbeit als eine genügende Belohnung für ihre Bemühungen.
Die allgemein übliche Art, Erfolg nach der Fülle weltlicher Güter zu bemessen, beruht, wenigstens zum Teil, auf der Anschauung, daß Leben von materiellen Zuständen berührt werde und materiellem Gesetz unterworfen sei. Während des letzten Jahrhunderts hat ein großartiger Fortschritt stattgefunden hinsichtlich der Herstellung von Dingen, die zu den Annehmlichkeiten des menschlichen Lebens beitragen. Denkende Menschen legen sich aber zuweilen die Frage vor, ob diese gebesserten Zustände bei den Sterblichen wirklich einen höheren Sinn für das Gute oder einen höheren Grad von Harmonie zur Folge gehabt haben. Der aufmerksame Beobachter wird zugeben, daß das Ergebnis den berechtigten Erwartungen nicht entspricht, und es entsteht die Frage, ob denn dieser sogenannte Fortschritt überhaupt wahren Fortschritt bedeute, ob die Menschheit der Verwirklichung harmonischen Seins tatsächlich näher gekommen sei. Wenn nicht, dann hat wohl Fortschritt in materieller Hinsicht die Sterblichen dazu verleitet, ihr Haus auf den Sand zu bauen, statt auf den Felsen.
Die wesentliche Frage, was denn eigentlich wahren Fortschritt ausmacht, kann man nur in dem Grade beantworten, wie man die Quelle der Harmonie erkennt. Wenn man glaubt, Materie sei diese Quelle und Harmonie sei das Ergebnis materieller Zustände, dann ist es gewiß das einzig Richtige, die Materie immer im Auge zu behalten und materiellem Gesetz zu gehorchen. Die Christliche Wissenschaft kehrt jedoch das Sinnenzeugnis um und macht klar, daß wir von einem ganz andern Standpunkt aus arbeiten müssen. Sie widerspricht materiellen Annahmen und erklärt, daß, wenn man dauernde Harmonie erlangen will, man sich vom materiellen Begriff vom Leben lossagen und vom Standpunkt des einen Geistes, der Quelle aller Wirklichkeit ausgehen muß. Dieser großen Wahrheit gab der Apostel Jakobus mit den Worten klaren Ausdruck: „Irret nicht, lieben Brüder. Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts, bei welchem ist keine Veränderung noch Wechsel des Lichts und der Finsternis.”
In Wissenschaft und Gesundheit (S. 239) schreibt Mrs. Eddy: „Um uns über unsern Fortschritt zu vergewissern, müssen wir uns klar werden, worauf unsre Neigungen sich richten, wen wir als Gott anerkennen, und wem wir gehorchen. Wenn die göttliche Liebe uns näher kommt, uns teurer und wirklicher wird, dann unterwirft sich die Materie dem Geist. Die Ziele, die wir verfolgen, und der Geist, den wir offenbaren, zeigen unsern Standpunkt an und tun dar, was wir gewinnen.” Der Meister lehrte seine Nachfolger, am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit zu trachten, weil ihnen dann solches alles, d. h. alles Notwendige zum Fortschritt und zur gegenwärtigen Harmonie, „zufallen” würde. Noch keiner, der an Jesus glaubt, hat bezweifelt, daß der große Meister vor allem nach dem Himmelreich trachtete. Als Ergebnis dieses Trachtens hatte er das dauernde Bewußtsein, daß für alles Nötige schon gesorgt war. Der Zinsgroschen war da, als er benötigt wurde, zum Feste gab es Wein die Fülle, und die hungrige Menge wurde an einem einsamen Ort gespeist. Diese Beweise, daß Gottes Macht das zeitlich Notwendige zu beschaffen vermag, ließen klar erkennen, daß die Lehre Jesu auf Wahrheit beruht. Wer zu der Erkenntnis gekommen ist, daß er alles Nötige hat, bei dem herrscht Harmonie.
Der Begriff Fortschritt schließt einen Ausgangspunkt und ein Ziel in sich. Es ist nicht schwer, den Ausgangspunkt zu bestimmen; doch das Ziel zu erkennen sowie den Weg, der dahin führt, ist schwieriger. Den Lehren des Meisters zufolge besteht das einzig Erstrebenswerte darin, Gott zu erkennen, denn dies ist das ewige Leben, ein Zustand der Harmonie. Da Gott der Quell alles Guten ist, so folgt hieraus, daß der einzig wahre Fortschritt darin besteht, Ihm näher zu kommen. Der sterblichen Annahme nach ist Gott weit entfernt, in Wirklichkeit aber ist Er stets gegenwärtig. Es sei denn, man erlangt ein klareres Bewußtsein dieser großen Wahrheit, so macht man keinen Fortschritt. Gott ist Geist; daher muß Fortschritt geistiger Art sein, um zu Gott zu führen. Der sogenannte materielle Fortschritt lenkt das Denken vom unendlichen Geist ab und erhöht andre Götter.
Das Gleichnis vom verlorenen Sohn schildert den sterblichen Menschen als in einem weitentferten Lande wohnend, wo er sein Gut umbrachte „mit Prassen”. „Da schlug er in sich”, d.h. seine Augen wurden geöffnet, und er erkannte, wie sehr er gesündigt hatte. Jetzt war er zum Fortschritt bereit. Der Mesmerismus der materiellen Annahme ward aufgehoben. Dies war für ihn der Ausgangspunkt, und das Ziel war seines Vaters Haus.
Wir lesen in Wissenschaft und Gesundheit (S. 323): „Wenn die Kranken oder die Sünder erwachen und sich ihr Bedürfnis dessen vergegenwärtigen, was sie nicht besitzen, dann werden sie für die göttliche Wissenschaft empfänglich sein”. Es haben sich nicht alle so weit entfernt wie der verlorene Sohn, doch muß sich ein jeder seiner Not bewußt werden; und wo das Erwachen stattfindet, da ist der Ausgangspunkt. Der Fortschritt mag langsam oder schnell vor sich gehen, aber er ist sicher, wenn wir uns der Führung des göttlichen Gemüts anvertrauen; und es kann uns nichts hinderlich sein, wenn wir dem Licht treu sind, das wir erhalten. Wir stoßen jedoch leicht auf Schwierigkeiten und erleiden Fehlschläge, wenn wir uns durch den Rat andrer vom Weg abbringen lassen. Fortschritt ist geistig, und keine materielle Annahme oder Suggestion kann ihn beschleunigen. Er muß das natürliche Ergebnis der Entfaltung der geistigen Idee im Bewußtsein sein. Der Rat derer, die andre in Angelegenheiten leiten wollen, von denen sie nur eine theoretische Kenntnis haben, ist eher geeignet, Unheil anzurichten als Gutes zu stiften. Der treue Schüler sollte für diese unweisen Ratgeber ein taubes Ohr haben und aufmerksam der Stimme der Wahrheit lauschen. Menschliche Annahmen stimmen nicht mit einander überein. Wenn sich zwei Menschen über eine Sache nicht einigen können, so können sie nicht beide recht haben, ja sie sind möglicherweise beide im Unrecht. So wird ein Mensch, der sich wegen Führung auf Persönlichkeit verläßt, eher irregeleitet als daß er den Weg zur Harmonie findet.
Jeder Mensch hat einen gewissen inneren Sinn fürs Gute, und da in der Christlichen Wissenschaft das Gute als ein andres Wort für Gott gebraucht wird, so hat jeder Mensch einen gewissen inneren Sinn für Gott als den Quell alles Guten. Eines Menschen Verständnis von Gott oder dem Guten ist seine einzige Waffe gegen das Böse, das einzige, was ihm dazu verhilft, mehr Gutes zu erlangen. Wenn man das Gute durch theoretische Betrachtungen erlangen könnte, dann wäre die Welt weit besser als sie es ist, denn an vielverheißenden Theorien hat es sicherlich nicht gefehlt. Mehr Gutes erlangt man nur, wenn man von dem, was man bereits hat, praktischen Gebrauch macht. Der Meister legte besonderes Gewicht auf diesen Umstand in dem Gleichnis von den Zentnern. Die Knechte, die angewandt hatten, was ihnen ihr Herr gegeben, erhielten mehr, während der ungetreue Knecht noch ärmer wurde, weil er die Gelegenheit, größere Reichtümer zu erlangen, nicht wahrgenommen hatte.
Wenn ein Mensch in sich geht, erkennt er, daß der Hauptgrund, weshalb er nicht erfolgreicher ist, darin besteht, daß er in der Anwendung der Erkenntnis, die er erlangt hat, nicht Treue bewiesen hat. Vielleicht hat er es beim Glauben ohne Werke bewenden lassen, oder er hat auf Grund seiner Erfahrung hinsichtlich der Nutzlosigkeit allgemein angenommener Theorien sein Forschen nicht solange fortgesetzt, bis es ihm klar wurde, was praktisch verwertbar ist und seiner Not abhelfen kann. Er mag geglaubt haben, er habe sein Bestes getan; als aber das Erwachen kam, erkannte er, daß er hätte Besseres leisten können, wenn er auch scheinbar andern gegenüber im Nachteil war. Er hatte einen Begriff vom Guten, der wenigstens bis zu einem gewissen Grade praktisch war, und wenn er denselben nach bestem Wissen angewandt hätte, würde er viel gewonnen haben.
Die Christliche Wissenschaft mag manche als eine Theorie ansprechen, und es gibt wohl auch Menschen, denen der Umstand Befriedigung gewährt, daß sie eine Theorie gefunden haben, welche die Inkonsequenz andrer Theorien erkennen läßt und zeigt, daß sie deshalb versagten, weil sie nicht praktisch waren. Wer sich aber mit einer vielversprechenden Theorie zufrieden gibt, sollte bedenken, daß „der Buchstabe tötet, aber der Geist machet lebendig.” Wenn die Christliche Wissenschaft nicht praktisch angewandt wird, bringt sie keinen Erfolg. Ein Mensch sollte sich nicht rühmen, einen besseren Weg gefunden zu haben, wenn er denselben nicht wandelt, auch sollte er die Bemühungen derer nicht zu niedrig einschätzen, die ehrlich streben, auch wenn ihre Ansichten mit den seinen nicht übereinstimmen. Es mag jemand etwas Rechtes wollen und dabei in irriger Weise zu Werke gehen, hat aber damit doch wenigstens einen Versuch gemacht und somit besser gehandelt als derjenige, der das Rechte kennt, aber nicht dieser Erkenntnis gemäß handelt. Wohl glaubte er, er sei im Recht, lernte aber durch Erfahrung seinen Irrtum erkennen, und hierdurch wurde sein Wunsch nach Kenntnis und sein Entschluß, das Gelernte praktisch zu verwerten, nur noch stärker. Die Bereitwilligkeit zu lernen und der Wunsch zu handeln sind die wesentlichen Elemente des Fortschritts.
Was auch die Vergangenheit einem Menschen Gutes gebracht haben mag, hier ist sein Ausgangspunkt und hier findet er die Möglichkeit, mehr Gutes zu erlangen. Der Schüler der Christlichen Wissenschaft ist in der überaus glücklichen Lage, Wissenschaft und Gesundheit sowie andre Schriften der Führerin dieser Bewegung zu haben, die ihm den geistigen Sinn der Schrift erschließen. Nur in dem Maße wie die Menschen mit Gott bekannt werden, erlangen sie den Frieden und das Gute, welches ewig ist. Gott kennen ist ewiges Leben, und das Verständnis von Gott schließt alles Gute in sich, da Gott das unendliche Gute, die Quelle aller Wirklichkeit ist.
In Wissenschaft und Gesundheit schreibt Mrs. Eddy: „Den Vorsatz und Beweggrund, recht zu leben, können wir heute gewinnen. Hast du diesen Punkt erreicht, dann hast du so angefangen, wie du solltest. Du hast mit dem Einmaleins der Christlichen Wissenschaft begonnen, und nichts als unrechte Absicht kann deinen Fortschritt hindern.” Auch sagt sie: „Doch sollte der Fortschritt schmerzlos ... sein” (SS. 326, 324). Der Fortschritt des Schülers hängt ganz von ihm selber ab. Alle Mittel sind für ihn erreichbar, und es wird nur Treue von ihm erwartet. Er muß ein Täter des Worts sein, nicht bloß ein Hörer.
Seit Beginn des Christentums ist die Bibel als das Wort Gottes, als der Ausdruck des göttlichen Willens angesehen worden. Die erleuchteten Verfasser waren „heilige Menschen Gottes”, die da redeten „getrieben von dem Heiligen Geist”. Das Forschen in der Bibel und im christlich-wissenschaftlichen Lehrbuch vergeistigt das Denken und fördert die Tätigkeit im Guten. Hierin liegt das Wesentliche des wahren Fortschritts. Selbst wenn man jeden Tag nur ein wenig lernt, aber lebt, was man gelernt hat, kann man nicht stille stehen, geschweige denn zurückgehen, sondern muß dem Ziel harmonischen Seins näherkommen.
Wenn man auch die eignen Hoffnungen nicht in einem Tage verwirklicht sieht, so genügt doch die gegenwärtige Belohnung. Die Ergebnisse geistigen Fortschritts treten überall zutage. Gesundheit ist zugestandenermaßen der wichtigste unsrer irdischen Besitze. Geistiger Fortschritt bedeutet bessere Gesundheit. Es wird gewöhnlich angenommen, bessere Gesundheit werde durch materiellen Fortschritt, durch das Verständnis der sogenannten Gesundheitsgesetze und die Beachtung derselben erlangt. Gesundheit wird für einen Zustand des materiellen Körpers gehalten, und die Sterblichen glauben, sie würde gebessert oder verschlechtert, je nachdem die materiellen Gesundheitsgesetze beobachtet oder übertreten würden.
Die Christliche Wissenschaft demonstriert die Tatsache, daß Gehorsam gegen das geistige Gesetz das wirksamste Mittel gegen Krankheit ist. Es bessert die Gesundheit des Menschen und zugleich seinen moralischen Stand. Krankheit wie Sünde ist ein abnormer Zustand des menschlichen Gemüts. Die wahrhaft wirksame Art, gegen Sünde und Krankheit anzugehen, besteht darin, die Annahmen loszuwerden, welche Sünde und Krankheit hervorbringen. In Geist, Gott, gibt es keine Annahme von Sünde oder Krankheit; daher wird man in dem Maße, wie man an Gotteserkenntnis zunimmt, über die sterbliche Annahme von Krankheit erhoben, und das Ergebnis ist bessere physische und moralische Gesundheit.
Fortschritt bedeutet Schutz. Wenn man geistig fortschreitet, entrinnt man der Knechtschaft des Übels. Geistige Freiheit wirkt dem scheinbaren Einfluß irriger mentaler Suggestion entgegen. Jeder Schritt vorwärts führt uns jenseits des Bereichs einer Erscheinungsform des Bösen. Verständnis ist der Annahme nicht unterworfen und kann durch sie nicht beeinflußt werden. Nur die Annahme des Übels wird vom Übel berührt, und das Übel führt seine eigne Vernichtung herbei.
Johannes schrieb an einen der treuen Nachfolger der ursprünglichen Kirche: „Mein Lieber, ich wünsche in allen Stücken, daß dir’s wohl gehe und gesund seiest, wie es denn deiner Seele wohl gehet.” Fortschritt bedeutet Wohlfahrt. Die Beschränkungen der sterblichen Annahme können uns nicht der Früchte geistigen Verständnisses berauben. Vom geistig gesinnten Menschen schrieb der Psalmist: „Er hat Lust zum Gesetz des Herrn ... und was er macht, das gerät wohl.”
Gesundheit, Schutz und ein gewisses Maß des Wohlstandes sind wesentliche Bestandteile dauernden Glücks. Da diese Segnungen ein natürliches Ergebnis geistigen Fortschritts sind, so folgt hieraus, daß Fortschritt Glück bedeutet. Niemand bestreitet das Recht eines Menschen, gut zu sein. Sein Anrecht auf Gesundheit, Wohlstand und Glück ist ebenso gewiß wie sein Anrecht auf Güte und kann von ersterem nicht getrennt werden. Ohne Güte hat kein Gewinn eigentlichen Wert. Wenn wir uns der Allgegenwart und Allmacht des unendlich Guten bewußt werden, dann fallen uns alle notwendigen Dinge zu.