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„Das Licht der Welt”

Aus der Juli 1915-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Als Jesus zu seinen Nachfolgern sagte: „Ihr seid das Licht der Welt,” hatte er keine menschliche Eigenschaft oder kein menschliches Kennzeichen im Auge, sondern er bezog sich auf ihr geistiges Verständnis, das angefangen hatte, die Finsternis der materiellen Annahme zu zerteilen und den Weg zur Erlösung von allem Übel klarzulegen. Jahrhundertelang hatten die Völker auf diese Erlösung von den Ketten ihres Bedrückers gewartet. Zahlreich waren die Übel, von denen sie befreit zu werden hofften, und sie beteten um baldige Hilfe. Wie die Sterblichen von heutzutag, glaubten sie zu wissen, wovon sie der Erlösung bedurften, und erwarteten Großes. Zweifellos hatten sie auch Vermutungen aufgestellt über die Art und Weise, wie ihre Erlösung verkündet werden würde. Auf jeden Fall dachten sie, diese Erlösung müsse ganz neue Zustände schaffen, denn die bestehenden hatten ja nicht vermocht, ihr Heil herbeizuführen. Und dennoch waren sie kaum vorbereitet auf die wunderbare Lehre und die noch wunderbareren Werke des langersehnten Messias.

Bevor Jesus der Welt die Bergpredigt gab, hatte er in den Synagogen gelehrt und das Evangelium verkündigt. Sodann hatte er die Beweise erbracht, daß seine Lehre zur Anwendung im täglichen Leben bestimmt sei, indem er „heilte allerlei Seuche und Krankheit im Volk.” Es darf somit angenommen werden, daß viele, die sich zu diesem denkwürdigen Ereignis zusammengefunden, schon einen Schimmer der Wahrheit, die er lehrte, erblickt hatten, und sie wünschten mehr darüber zu vernehmen.

Geistige Wahrnehmung hat ihren Ursprung in Gott; sie entspringt nicht der sogenannten Intelligenz des sterblichen Gemüts, auch wird sie nicht von derselben genährt oder erhalten. Sie ist im göttlichen Gemüt, entspringt demselben und kann vom Menschen nur widergespiegelt werden. Wenn also Jesus zu seinen Jüngern sagte: „Ihr seid das Licht der Welt,” so meinte er offenbar mit diesem Licht das, was ihnen von Gott, dem unendlich Guten, geoffenbart war; und es wurde von ihnen verlangt, daß sie es leuchten lassen sollten, damit andre es auch zu sehen bekämen.

Zu Anfang seines öffentlichen Auftretens versuchte Jesus seinen Nachfolgern klar zu machen, daß sie arbeiten, d. h. das Gelernte im praktischen Leben anwenden müßten. Sie hatten das Licht nicht, um es unter einen Scheffel zu stellen oder es in der Abgeschlossenheit ihrer eignen Behausung zu genießen, sondern um es zum Wohl ihrer Mitmenschen leuchten zu lassen. Dieses Licht geistigen Verständnisses kommt nicht nur in Worten, sondern auch in Taten zum Ausdruck. Erst wenn man seinem höchsten Verständnis gemäß lebt, das heißt, wenn man praktisch anwendet was man von der Wahrheit versteht, läßt man sein Licht leuchten. Die Bergpredigt handelte nicht vom Glauben, sondern vom Tun, und der weise Arbeiter hört zu und tut dann danach. Nur was uns als Ergebnis einer getreuen, von rechten Motiven geleiteten Anwendung zur Erfahrung wird, kann den Stürmen des Irrtums widerstehen und die Güte Gottes offenbaren. Die Notwendigkeit, sein Licht leuchten zu lassen, erstreckt sich nicht nur auf die unmittelbaren Nachfolger unsres Meisters, sondern auch auf die Jünger von heutzutag, und zwar aus dem gleichen Grunde wie damals. Der Befehl lautet: „Laßt euer Licht leuchten vor den Leuten, daß sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.” Es ist nicht genug, daß das Licht leuchte; es muß so leuchten, daß es eine gewisse Aufgabe erfüllt. Das zu erreichende Ziel ist, daß diejenigen, welche das Licht erblicken, Gott preisen. Die Sterblichen sind geneigt, von einem persönlichen Standpunkt aus zu urteilen, und sie übersehen nur allzuoft, daß „alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von obenherab.” Erst das wahre Verständnis des Guten macht das Gute bleibend, und das wird nicht erreicht, solange die Menschheit nicht einsieht, daß „niemand ist gut denn der einige Gott.”

Vor Gott, dem unendlich Guten, gilt kein Ansehen der Person, und das bleibende Bewußtsein des wahren Seins kann erst durch die Ablegung der Persönlichkeit oder des persönlichen Begriffes des Guten gewonnen werden. Gott ist das einzige Gemüt. Mrs. Eddy sagt: „Das vermeintliche Vorhandensein von mehr als einem Gemüt war der Grundirrtum der Abgötterei” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 470). Ohne den Glauben an ein von Gott getrenntes Gemüt könnte es gar keinen persönlichen Begriff des Guten geben. Eine begrenzte, persönliche Auffassung des Guten ist eine abgöttische Annahme, und solange sie existiert, ist es unmöglich, Gott als das göttliche Prinzip zu erkennen.

Das ewige Leben schließt alles Wahre in sich. Jesus bestimmte das ewige Leben als die Erkenntnis Gottes und des zu Seinem Bilde geschaffenen Menschen. Es war seine Aufgabe, den Weg des Heils zu weisen, den Weg zum ewigen Leben. Die Menschen brauchen nur von dem Werke des Bösen oder von dem Glauben an ein von Gott getrenntes Etwas erlöst zu werden. Daraus geht hervor, daß ein richtiges Verständnis von Gott und der Beziehung des Menschen zu Ihm das einzige wirksame Heilmittel für das Böse ist.

Nur uneigennützige Beweggründe dürfen uns veranlassen, dieses Licht leuchten zu lassen. „Wer sich selbst erhöhet, der wird erniedriget.” Manchmal sind die Versuchungen des Bösen so hinterlistig, daß sie kaum als solche erkannt werden. Sogar zwei der Jünger fielen einer falschen Einflüsterung zum Opfer, als sie den Meister baten, er möchte ihnen in seinem zukünftigen Reiche die Ehrenplätze anweisen. Dieser Vorfall zeigt, wie wenig sie verstanden, daß „Gott die Person nicht ansiehet,” sondern daß wir „auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi” sind. Im wahren Bewußtsein des Seins hat die irrige, sterbliche Annahme, daß eine Person über der andern stehe, keinen Platz.

Durch die guten Werke, die jemand vollbringt, der von richtigen Beweggründen geleitet ist, werden die Menschen Gott preisen; und nicht nur der Vollbringer dieser Werke, sondern auch seine Mitmenschen werden dementsprechend gesegnet. Es kann vorkommen, daß der aufrichtigste Schüler mißverstanden wird oder daß ihm seine Beweggründe falsch ausgelegt werden. Solange er jedoch auf einer richtigen Grundlage baut, werden seine Bemühungen nicht erfolglos sein. Welcher Art die unternommene Arbeit auch sei, das einzige Ziel sollte sein, der Menschheit einen richtigeren Begriff von Gott beizubringen. Die Belohnung des Arbeiters wird nach der Ehrlichkeit seiner Beweggründe bemessen, auch wenn andern durch seine guten Werke nicht geholfen wird.

„Der Sohn kann nichts von ihm selber tun,” „der Vater aber, der in mir wohnet, derselbige tut die Werke.” Diese Aussprüche Jesu muß der Schüler verstehen lernen. Erst wenn der Empfänger einer Wohltat dieselbe als das Werk Gottes anerkennt und dafür wirklich dankbar ist, hat sie ihren Zweck erfüllt. Ein kranker Mann mag geheilt werden und er mag die Bemühungen andrer anerkennen und würdigen, aber solange er dadurch nicht ein besseres Verständnis von Gott als Geist erlangt, genießt er die Frucht des guten Werkes nur in geringem Maße. Nur einer von den zehn Aussätzigen, die Jesus geheilt hatte, kehrte zurück um Dank zu sagen. Die übrigen neun freuten sich ohne Zweifel ihres Gesundwerdens und anerkannten und schätzten, was der Meister für sie getan hatte; aber das höchste Maß des Guten wurde nur demjenigen zuteil, welcher erkannte, daß seine Heilung das Werk Gottes war. Es ist anzunehmen, daß er sich schon vor seiner Heilung zu dem Gott Israels bekannt hatte; als er aber durch sein Gesundwerden lernte, daß Gott imstande ist, alle Krankheiten, auch die sogenannten unheilbaren Leiden des Fleisches zu heilen, gewann er einen geistigeren Begriff vom Höchsten Wesen, als er zuvor hatte.

Der Kranke glaubt, er müsse von einem physischen Leiden geheilt werden, und dem ist natürlich so; doch was er am meisten nötig hat, ist mehr Gotteserkenntnis. Ist seine Wiederherstellung von geistigem Wachstum begleitet, so beweist das, daß er sein Heil den Forderungen des göttlichen Prinzips gemäß ausarbeitet, und sein Werk wird bestehen. Betrachtet er jedoch seine Heilung einfach als eine Erlösung von einem physischen Übel, so gewinnt er nicht in dem Maße, wie er sollte. Da er nicht erkannt hat, was von ihm verlangt wird, fährt er fort, sich mit irrigen Annahmen zu beschäftigen, und früher oder später muß er ihnen wieder zum Opfer fallen.

Diejenigen, welche sich des hohen Vorrechts erfreuen, andern zu helfen, sollten stets auf das höchste Gute hinarbeiten und dasselbe bestimmt erwarten. Die Entfaltung der geistigen Idee im menschlichen Bewußtsein darf nicht durch unwürdigen Ehrgeiz gehindert werden. Gewiß sollten die ehrlichen Bemühungen der Hilfeleistenden Anerkennung und Würdigung finden; aber wenn sich das Denken nicht über den Persönlichkeitsbegriff erhebt, bleibt es innerhalb der Begrenzungen der sterblichen Annahme. Der Glaube an eine gute Persönlichkeit bedingt den Glauben an eine schlechte Persönlichkeit, während das Böse in einem vom unendlichen Guten erfüllten Bewußtsein keinen Platz findet.

Die Selbstgerechtigkeit ist eines der hartnäckigsten Übel, denn der Sterbliche freut sich im Gedanken an seine eigne Güte. Der „heiliger-denn-du” Gedanke haftet stets dem Persönlichkeitsbegriff an. Gerade diese irrtümliche Annahme ist es, die einen Anhänger der Wahrheit veranlaßt, einen andern zu verfolgen, der in vollerem Maße seiner Erkenntnis gemäß lebt, als der Angreifer. Wer ein höheres Verständnis von der Wahrheit hat als ein andrer, braucht deshalb nicht zu prahlen; im Gegenteil, er sollte erkennen wie dementsprechend größer die Verantwortlichkeit ist, die ihm zufällt.

„Ihr seid das Licht der Welt.” Wohl viele Menschen haben diese Worte unsrer Meisters speziell auf sich und ihre Zeit bezogen; und vielleicht war eine solche Auslegung ihrem Persönlichkeitsgefühl nicht unangenehm. Sie würdigen wohl die Ehre, „das Licht der Welt” zu sein; aber die Verantwortlichkeit, die dies mit sich bringt, lassen sie außer acht. Sie kommen in die Versuchung, ihr Licht leuchten zu lassen, damit man ihre guten Werke sehe und sie dementsprechend lobe. Ein gutes Werk ist immer lobenswert, hat aber seine Mission nicht in vollstem Maße erfüllt, solange es nicht zu der Verherrlichung unsres Vaters führt.

Wenn ein Mensch erkannt hat, daß alles Gute, das er besitzt, eine Gabe Gottes ist, und wenn er dafür wahre Dankbarkeit bezeugt, so kann er nicht umhin, die Bemühungen derer, die ihm den Weg gewiesen, richtig einzuschätzen. Dies macht ihn weder zum Anhänger noch zum Verehrer der Persönlichkeit, sondern er strebt in seinem ganzen Tun danach, Gott zu ehren. Der Apostel fragt: „Wer ist nun Paulus? wer ist Apollos? Diener sind sie, durch welche ihr seid gläubig worden. ... Ich habe gepflanzet, Apollos hat begossen; aber Gott hat das Gedeihen gegeben. Der aber pflanzet und der da begeußt, ist einer wie der andre. ... Denn wir sind Gottes Mitarbeiter.” Geistige Erkenntnis ist ganz und gar uneigennützig, und alle, die sich von ihr leiten lassen, folgen in den Fußtapfen dessen, der nichts für sich beanspruchte. Er lehrte nur das, was er vom Vater gelernt hatte. Alles, was er tat, war das Werk Gottes, des allmächtigen Guten.


Was heute nicht geschieht, ist morgen nicht getan,
Und keinen Tag soll man verpassen;
Das Mögliche soll der Entschluß
Beherzt sogleich beim Schöpfe fassen;
Er will es dann nicht fahren lassen
Und wirket weiter, weil er muß.

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