In allen christlichen Ländern beten tagtäglich ungezählte Tausende: „Dein Wille geschehe wie im Himmel, also auch auf Erden;” und doch sind sich nur wenige der hohen Bedeutung dieser Bitte bewußt, nur wenige haben einen Begriff davon, wie viel sie in sich schließt. Abgesehen von kirchlichen Lehrunterschieden setzt sie bei dem Betenden den innigen Wunsch voraus, daß er selbst den Willen Gottes so tun möge, wie er im Himmel getan wird — daß sein Denken, Reden und Handeln eine Wiederspiegelung des Willens der unendlichen Weisheit und Liebe sei. Er muß die Ermahnung des Apostels Paulus befolgen: „Der Mensch prüfe aber sich selbst,” denn nur so kann er feststellen, inwieweit er den Willen des Fleisches erfüllt und dadurch sein Gebet unwirksam gemacht hat. Es ist dies gewiß eine wichtige Frage, denn das Gebet, welches uns Christus Jesus gelehrt hat, läßt uns klar erkennen, daß das Reich Gottes erst dann auf Erden kommen wird, wenn die Menschen den Willen Gottes so tun, wie ihn der Meister tat.
Die geistige Auslegung dieser Bitte auf Seite 17 von Wissenschaft und Gesundheit lautet: „Befähige uns zu wissen, daß Gott — wie im Himmel, also auch auf Erden — allmächtig, allerhaben ist.” Dieses Wissen ist es, das uns befähigt, Gottes Willen dem Beispiel Jesu gemäß zu erfüllen; denn wenn die Allerhabenheit des Geistes nicht erkannt und anerkannt wird, findet ein endloser Kampf zwischen menschlichen Willensäußerungen statt, wobei weder Gott noch der Mensch richtig erkannt wird. Wie traurig ist es doch, daß so viele in den Irrtum verfallen sind, als könne ihnen die Erfüllung ihres eignen Willens Genuß und Befriedigung gewähren. Sie sind blind gegenüber der Tatsache, daß der menschliche Wille nur Enttäuschung bereitet in der Form von Sünde, Kummer und Krankheit. Erst wenn wir den Willen Gottes klar erkannt haben, kann „die Sonne der Gerechtigkeit” aufgehen mit „Heil [Heilung] unter ihren Flügeln.” Die wahre Freude, die Freude, welche uns niemand rauben kann, fühlen wir, wenn wir mit dem Psalmisten sagen können: „Deinen Willen, mein Gott, tu ich gerne, und dein Gesetz hab ich in meinem Herzen.”
Diese Worte enthalten die Erfüllung einer weiteren Verheißung: „Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben.” Die Christliche Wissenschaft legt dar, wie wir uns diese Verheißung sofort zunutze machen können. Sie lehrt, daß der irrige Glaube an die materiellen Gesetze der Sünde und des Todes durch die Wahrheit beseitigt werden muß, damit das Gesetz Gottes zur Geltung komme. Jesus, der des Vaters Willen genau kannte, sagte: „Also auch ist’s vor eurem Vater im Himmel nicht der Wille, daß jemand von diesen Kleinen verloren gehe,” ja nicht ein einziges Schaf, das in der Irre geht.
Als der Psalmist die Wunder und Pracht des gestirnten Himmels betrachtete, erkannte er in etwas die göttliche Weltordnung und ihre alles durchdringende Harmonie, worauf er sich die Frage stellte: „Was ist der Mensch?” Es kann uns nur von Nutzen sein, wenn wir bei unserm Bestreben, den Willen Gottes zu erfüllen, an die Worte unsrer verehrten Führerin auf Seite 87 von „Retrospection and Introspection“ denken: „Der Ausspruch, ‚Ordnung ist des Himmels erstes Gesetz,‘ ist ewig wahr; er ist so einleuchtend, daß er zum Gemeinplatz geworden ist; seine Richtigkeit tritt in der Religion und der Gelehrsamkeit ebenso offen zutage wie in der Astronomie.”
Viele Fehlschläge, die den Sterblichen zur Erfahrung werden, sind auf Mangel an Ordnung zurückzuführen, in zeitlichen wie in geistigen Dingen. Der treibende Gedanke hinter jeder Tätigkeit sollte geistiger Art sein, und in geistigen Dingen ist Vollkommenheit ein unumgängliches Erfordernis. Wenn Ordnung das „erste Gesetz” unsrer Tätigkeit ist, werden wir das Rechte zur rechten Zeit tun. Dies bedeutet natürlich, daß das Geistige in allen Dingen den Vorrang hat; und wenn wir mit dem Geistigen anfangen, mit dem, was wahrhaftig, ehrbar, gerecht, keusch, lieblich ist und „wohl lautet,” dann wird die geringste Arbeit gut verrichtet, und es geschieht dadurch der Wille Gottes. Wir dürfen nie den Willen aus dem Auge verlieren, der stets Gutes bewirkt, denn nur dadurch geben wir unserm Leben den wahren Wert. Je mehr uns der Wunsch beseelt, vom göttlichen Willen beherrscht zu werden, desto mehr verlieren wir Zweifel und Furcht. Wir halten uns dann vertrauensvoll an unsern himmlischen Vater, denn wir wissen, daß „niemand kann seiner Hand wehren.”