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Buchstabe und Geist

Aus der Februar 1916-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Auf Seite 113 ihres Buches Wissenschaft und Gesundheit schreibt Mrs. Eddy: „Der Buchstabe der Wissenschaft erreicht die Menschheit heute in reichem Maße, ihr Geist aber kommt nur in geringen Graden.” Ferner gibt sie uns folgenden Rat: „Fahre fort mit gedanklichen Wahrheitsbegründungen ..., bis du ohne dieselben augenblicklich und allein durch die Macht des Geistes heilen kannst” („Miscellaneous Writings,“ S. 359). Beim Lesen dieser inhaltsschweren Zeilen drängt sich einem die Frage auf: Was ist denn der Geist der Christlichen Wissenschaft im Gegensatz zum Buchstaben dieser Lehre? Ist es der lebendige Strom des augenblicklichen Heilens, dann tut man wohl, alles aufzubieten, um sich diesen Geist anzueignen.

Als Christliche Wissenschafter suchen wir unsern Verpflichtungen getreulich nachzukommen. Wir lesen und arbeiten mit Interesse und Sorgfalt, finden aber nur allzuoft, daß wir in der Lösung unsrer Probleme nicht vorwärts kommen. Unsre Gewissenhaftigkeit im Forschen lind Arbeiten scheint keine Wahrheitsbeweise hervorzubringen. Wir machen dann wohl noch größere Anstrengungen, lesen mehr, arbeiten mehr, und trotzdem steht das Ergebnis nicht im richtigen Verhältnis zu unsern Bemühungen. Unsre Probleme bleiben dieselben, und wir erklären zuletzt mit einem Anflug von Bitterkeit, daß wir jetzt doch alles getan hätten, was in unsern Kräften steht.

Die christlich-wissenschaftlichen Wahrheitsbeweise werden nur dann erbracht, wenn solche Bemühungen zur Vergeistigung des individuellen Charakters führen, und zwar durch das tägliche, ja stündliche Überwinden der Versuchung, sterblich zu sein, der alten Denkweise nachzugeben, zu richten, Groll zu hegen, üble Nachreden zu führen — kurz, niederzureißen anstatt aufzubauen. Aber die Zeit bringt uns ihre Lehren, von denen wir manche erst dann erfassen, wenn sie uns aufgedrängt werden.

Eine Christliche Wissenschafterin wurde einst in einem Kaufladen plötzlich von einem früheren Leiden befallen. Noch ein weiterer Einkauf schien absolut notwendig, und sie suchte daher ein ruhiges Plätzchen auf, um sich zu sammeln; aber ihr Zustand verschlimmerte sich nur. Mit großer Mühe erreichte sie das Geschäft, wo sich dann der Ladendiener, dem sie ihre Wünsche auseinandersetzte, überaus gleichgültig, ungefällig und unhöflich benahm. In ihrem Zustand des Unwohlseins kam sie in große Versuchung, ihrer Gereiztheit Luft zu machen und dem Ladendiener scharf zu antworten; aber es gelang ihr, sich zu beherrschen. Sie verschloß dem heranziehenden Sturm ihr Bewußtsein, indem sie sich vergegenwärtigte, daß es die Liebe ist, die heilt und nicht der Zorn, und daß ihr eignes Benehmen nicht von dem Benehmen andrer beeinflußt werden dürfe, wollte sie sich anders ihres Namens würdig erweisen. Sie ignorierte daher das Betragen des Angestellten vollständig und erledigte ihren Einkauf mit der größten Freundlichkeit.

Als sie sich mit ihrem Paket entfernte, befand sie sich in solch gehobener Stimmung, daß sie nicht umhin konnte, nach der Ursache zu forschen; und nun wurde sie gewahr, daß das Übel gänzlich verschwunden war. Sie konnte es erst nicht begreifen, denn ihre mentale Arbeit schien fruchtlos gewesen zu sein. Bald aber kam sie zu der Überzeugung, daß die Heilung durch ihren Sieg über sich selber dort im Kaufladen herbeigeführt worden war, und ihr Bewußtsein wurde mit geistigem Licht und mit Frieden erfüllt. Und warum denn nicht? „Wer überwindet, dem will ich zu essen geben von dem verborgnen Manna.” Die folgenden Worte aus dem Johannes-Evangelium, deren Bedeutung der Betreffenden nie ganz klar gewesen war, kamen ihr dann in den Sinn: „Wer meine Gebote hat und hält sie, der ist’s, der mich liebet ... und Ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren.” Ich werde mich ihm offenbaren! Das war es; sie hatte die Gebote gehalten, und das geistige Gesetz hatte sich ihr geoffenbart.

Seit jenem Vorfall haben sich die Probleme dieser Wissenschafterin auf der Grundlage des richtigen Handelns als überaus einfach erwiesen. Eine andre Grundlage gibt es nicht. Diese Erfahrung wiederholte sich im wesentlichen noch öfters, und jedesmal brachte der Sieg über das eigne Ich ein unbeschreibliches Gefühl des Friedens und ein höheres geistiges Verständnis mit sich, was nicht nur einen Moment, sondern stunden- und tagelang andauerte. In solchen Fällen sind Wahrheitsbegründungen unmöglich; man besitzt ohne Begründung, heilt ohne Anstrengung. Ist nicht dies der Geist der Christlichen Wissenschaft im Gegensatz zum Buchstaben, das verborgene Manna, das süße Geheimnis des schmalen Weges, der, wenn er gefunden ist, den Ausspruch beweist: „Siehe, Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende”?

Warum haben wir nicht alle mehr Erfolg? Warum kämpfen wir nicht da wo wir kämpfen sollten, nämlich in unserm sündigen Selbst? Warum bitten wir nicht um Demut, Liebe und gute Werke, wie unsre Führerin uns lehrt? Ein gottwohlgefälliges Leben und das geistige Heilen sind nicht von einander zu trennen. Die persönliche Erfahrung lehrt, daß das geistige Gesetz sich uns in dem Maße entfaltet, wie wir uns ihm zuwenden und dem sterblichen Sinn den Rücken kehren.

Jesus sagte: „Willst du aber zum Leben eingehen, so halte die Gebote.” Wenn wir die Gebote nicht halten, so verletzen wir sie. Daß sogar ein so kleines Übel wie Reizbarkeit dem Christus die Türe verschließt, wird durch die Tatsache bewiesen, daß das Überwinden dieser Regung die Tür öffnet. Müßige Reden, Verleumdung, Selbstsucht und Unbarmherzigkeit kommen uns sehr hoch zu stehen. Betrachten wir doch nur ihre Ergebnisse: Leiden und Enttäuschung, trübe Stunden fruchtlosen Lesens und fruchtloser Arbeit, mentale Finsternis und Zweifel. Aber es kann dem abgeholfen werden. Wenn der Buchstabe versagt, so können wir gerade durch dieses Versagen lernen. Wir dürfen uns darauf verlassen, daß sich die göttliche Wahrheit in dem Maße entfalten wird, wie wir uns im Denken, Reden und Handeln nach der Christus-Norm richten; und in dem gleichen Maße werden wir die Segnungen der göttlichen Liebe in Empfang nehmen.

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